1. Impfausweise sind „Gesundheitszeugnisse“ gem. §§ 277, 279 StGB.
2. Die Fälschung von Impfausweisen in Papierform zwecks Vorlage bei einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats war bis 23.11.2021 nicht strafbar.
(Leitsätze des Verfassers)
LG Paderborn, Beschl. v. 1.12.2021 – 5 Qs 33/21
I. Sachverhalt
Der Beschuldigte wird verdächtigt, im September 2021 Impfausweise gefälscht und verkauft zu haben, indem er gelbe Blankett-Impfausweise im Internet bestellte, sich Aufkleber von Covid-19-Impfstoffen beschaffte, diese an die vorgesehene Stelle in den Impfpässen einklebte, jeweils handschriftlich ein erdachtes Datum für eine Erst- und Zweitimpfung eintrug, in der Spalte „Unterschrift und Stempel des Arztes“ einen Stempel eines Impfzentrums und darauf eine unleserliche Unterschrift anbrachte, um den Anschein einer ordnungsgemäßen Erst- und Zweitimpfung gegen Covid-19 zu erwecken. Einen der auf diese Art und Weise hergestellten Impfausweise soll er für sich genutzt haben. Er soll durch Vorlage eines auf seinen Namen lautenden Impfausweises in einer Apotheke ein digitales Covid-19-Impfzertifikat erlangt haben, das er sodann regelmäßig in einem Berufskolleg vorgezeigt haben soll, um den anderenfalls erforderlichen Schnelltest zu umgehen. Er soll weitere 40 bis 50 der auf diese Art und Weise hergestellten Impfausweise zu einem Stückpreis zwischen 100 EUR und 230 EUR an Dritte weiterverkauft haben, wobei die Eintragung der Personalien jeweils durch die Käufer erfolgte. Nach einer aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses beim Beschuldigten durchgeführten Durchsuchung hat das AG auf Beschwerde des Verteidigers die Bestätigung der Beschlagnahme von dabei gefundenen Gegenständen abgelehnt. Die Beschwerde der StA blieb erfolglos.
II. Entscheidung
Das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten sei nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlungen geltenden Straftatbestände nicht strafbar gewesen. Eine Strafbarkeit nach den §§ 275, 276 StGB wegen der Vorbereitung der Fälschung bzw. des Verschaffens von amtlichen Ausweisen komme nicht in Betracht, da es sich bei Impfausweisen nicht um amtliche Ausweise handele, sondern um solche, die von Ärzten ausgestellt werden. Das ergebe sich auch daraus, dass der Gesetzgeber sich – insoweit allerdings erst nach den hier zu beurteilenden Tatzeiträumen – zu einer seit dem 24.11.2021 geltenden Neuregelung in § 275 Abs. 1a) StGB veranlasst gesehen hat, die nun auch die Vorbereitung der Herstellung von unrichtigen Impfausweisen unter Strafe stellt.
Das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten erfülle auch nicht den Tatbestand der Fälschung und des Gebrauchs von Gesundheitszeugnissen gem. § 277, 279 StGB. Zwar handele es sich bei Impfausweisen um Gesundheitszeugnisse. Denn Gesundheitszeugnisse seien körperlich oder elektronisch fixierte Erklärungen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen erfasst sind. Nicht erforderlich sei hingegen, dass die Bescheinigung eine Diagnose oder eine sachverständige Stellungnahme enthält (OLG Stuttgart NJW 2014, 482). Es genügten auch Angaben tatsächlicher Natur im Hinblick auf die Durchführung therapeutischer Maßnahmen. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze falle auch die Bescheinigung über die Durchführung einer Covid-19-Impfung unter das Tatbestandsmerkmal des „Gesundheitszeugnisses“. Ein Anfangsverdacht des unbefugten Ausstellens von Gesundheitszeugnissen bestehe aber deshalb nicht, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte von dem gefälschten Impfausweis zur Täuschung einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft Gebrauch gemacht hat. Bei einer Apotheke handele es sich mangels Eingliederung in das staatliche Verwaltungsgefüge nicht um eine Behörde. Der Umstand, dass den Apotheken durch die Regelung in § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 IfSG staatliche Aufgaben – insbesondere Bescheinigung der Impfung in einem digitalen Impfzertifikat nach Prüfung der Identität der geimpften Person und nach Prüfung der Authentizität der Impfdokumentation – übertragen worden sind, führe nicht zur Annahme einer Behördeneigenschaft i.S.d. § 277 StGB a.F. Denn wie sich bereits aus den Legaldefinitionen des § 11 Abs. 1 Nr. 2c) und Nr. 4a) StGB ergebe, differenziere der Gesetzgeber zwischen Behörden und sonstigen Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Daraus ergebe sich aber auch, dass die Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung auf private Stellen, die zudem nicht in das Gefüge der öffentlichen Verwaltung eingegliedert sind, nicht dazu führen könne, dass sie als „Behörden“ i.S.d. § 277 StGB a.F. behandelt werden (LG Osnabrück, Beschl. v. 12.10.2021 – 3 Qs 38/21). Ein Anfangsverdacht ergebe sich auch nicht daraus, dass das digitale Impfzertifikat nach Übermittlung der in § 22 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 IfSG genannten personenbezogenen Daten gem. § 22 Abs. 5 S. 3 IfSG durch das Robert-Koch-Institut technisch erzeugt wird. Zwar setze der Tatbestand des Gebrauchmachens gegenüber einer Behörde keine eigenhändige Begehung voraus, sodass eine mittelbare Täterschaft grundsätzlich denkbar wäre. Jedoch setzte der Tatbestand des „Gebrauchmachens“ ebenso wie bei § 267 StGB voraus, dass das Gesundheitszeugnis dem Beweisadressaten zur sinnlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht wird (LG Osnabrück a.a.O.). Das Gesundheitszeugnis müsse in den Machtbereich des Beweisadressaten kommen, sodass dieser ohne Weiteres die Möglichkeit hat, davon Kenntnis zu nehmen (BGHSt 26, 64 = NJW 1989, 1099 zu § 267 StGB). Da § 22 Abs. 5 5. 3 IfSG regelt, dass die Apotheken lediglich die dort genannten personenbezogenen Daten, hingegen nicht den Impfausweis an sich oder auch nur eine Kopie davon an das Robert-Koch-Institut übermitteln, habe das RKI als Behörde und als tauglicher Täuschungsadressat i.S.d. § 277 StGB a.F. gerade keine eigene Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Impfausweises. Bei der Vorlage bei dem Berufskolleg habe es sich bei dem in Rede stehenden Zertifikat nicht um ein gefälschtes Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F. gehandelt, weil es tatsächlich von der angegebenen Person nach § 22 Abs. 5 bis Abs. 7 IfSG ausgestellt wurde (Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159).
Schließlich liege auch kein Anfangsverdacht wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB vor, weil der Tatbestand des § 277 StGB im Anwendungsbereich von Gesundheitszeugnissen als lex specialis eine Sperrwirkung entfaltet, die einen Rückgriff auf den allgemeineren Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB verhindert (so im Ergebnis auch: LG Osnabrück a.a.O.). Das Verhältnis der beiden Tatbestände zueinander i.S.v. lex generalis (§ 267 StGB) und lex specialis (§ 277 StGB a.F.) ergebe sich aus deren systematischer Stellung im 23. Abschnitt des Strafgesetzbuches (MüKo/Erb, StGB, 3. Aufl. 2019, § 277 Rn 11). Während die dem gesamten Abschnitt vorangestellte Norm des § 267 StGB sich auf „Urkunden“ im Allgemeinen beziehe, verenge sich der Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB a.F. dem Tatobjekt nach auf „Gesundheitszeugnisse“, mithin eine speziellere Form der Urkunde, beschränke die diesbezügliche Strafbarkeit zudem auf den Adressatenkreis von Behörden und Versicherungsgesellschaften und sehe hierfür eine deutlich geringere Strafandrohung im Höchstmaß vor als der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB. Sinn und Zweck der Beschränkung des Adressatenkreises auf Behörden und Versicherungsgesellschaften in der Regelung des § 277 StGB a.F. sei ersichtlich der Gedanke, dass die Vorlage von gefälschten Gesundheitszeugnissen bei diesen Adressaten aufgrund der Geltendmachung etwaiger Leistungsansprüche im Zusammenhang mit Erkrankungen in besonderem Maße geeignet ist, erhebliche wirtschaftliche Schäden zu verursachen. Für die Annahme, dass der Gesetzgeber diese Fallkonstellation im Verhältnis zu den Fällen des Gebrauchs eines falschen Gesundheitszeugnisses im sonstigen Rechtsverkehr – beispielsweise der Vorlage eines gefälschten Attests zum Zwecke der Krankmeldung beim Arbeitgeber – zudem noch privilegieren wollte, sei nichts ersichtlich. Nach Auffassung der Kammer habe ein Rückgriff auf den Tatbestand des § 267 StGB bei einer derart unklaren Regelungslage jedenfalls allein schon aus Gründen des Bestimmtheitsgrundsatzes und des Analogieverbotes zu unterbleiben. Die Kammer verkenne nicht, dass eine derartige gesetzessystematische Auslegung der im hier relevanten Tatzeitraum geltenden Straftatbestände eine Strafbarkeitslücke offenbart, siehe sich aber aus den dargelegten Gründen an einer anderweitigen Auslegung gehindert. Für die Altfälle bleibt eine Sicherstellung etwaiger gefälschter Impfausweise auf Grundlage des polizei- und ordnungsbehördlichen Gefahrenabwehrrechts unbenommen.
III. Bedeutung für die Praxis
Wie auch in anderen Bereichen (Subventionsbetrug bei Corona-Hilfen, falsche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht; näher Deutscher, zfs 2021, 544, 546 ff.) war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Fälschung von Impfausweisen zum Portfolio der strafwürdigen Verhaltensweisen in der Pandemie hinzukommen würde. Bei aktuellen Ereignissen hinkt die Gesetzeslage der Realität oft hinterher. Das LG Paderborn begründet eingehend und überzeugend, dass für Fälle wie diesen bis November 2021 eine Strafbarkeitslücke bestand. Immerhin hat der Gesetzgeber recht schnell reagiert und durch das ÄnderungsG vom 23.11.2021 (in Kraft seit dem 24.11.2021) durch Änderung der §§ 275, 277–279 StGB diese Lücken geschlossen. Allenfalls die vom LG mit der h.A. angenommene Sperrwirkung gegenüber § 267 StGB ist diskutabel, da sie eine schwer nachvollziehbare Privilegierung darstellt, deren kriminalpolitscher Sinn nicht erkennbar ist (Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 277 Rn 1).
RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum