Beitrag

Zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung

1. Ein Raub liegt vor, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels nicht zu einer Gewahrsamsübertragung durch den Genötigten führt, sondern lediglich zur Möglichkeit des Gewahrsamsbruchs durch den Täter.

2. Das ist der Fall, wenn der Geschädigte während eines Kampfes sein Handy zu Boden fallen lässt und der Täter es sodann nach Hinweis des Geschädigten auf dessen Lagerort an sich nimmt.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urt. v. 12.8.2021 – 3 StR 474/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Nötigung verurteilt. Der Angeklagte erwarb von dem Geschädigten zum Preis von 4.500 EUR eine Uhr, von der er davon ausging, es handele sich um eine echte Rolex Submarine, Herstellungsjahr 1986. Tatsächlich war die Uhr gefälscht. Der Angeklagte beschloss deshalb, den Geschädigten unter Druck zu setzen, um ihn zur Rückerstattung des Kaufpreises zu veranlassen. Trotz Drohungen mit Textnachrichten kam der Geschädigte diesem Ansinnen nicht nach. Erbost über das Verhalten des Geschädigten fasste der Angeklagte den Entschluss, sich an ihm zu rächen und ihm eine „Abreibung“ zu erteilen. Er ging deshalb zum Schein auf ein neues Verkaufsangebot des späteren Tatopfers ein, um es zu einem Treffen zu veranlassen und anlässlich dieser Gelegenheit unter Verwendung eines Schlagrings zusammenzuschlagen. Der arglose Geschädigte ließ sich hierauf ein. Als er auf den Angeklagten wartete, ging dieser unvermittelt auf ihn zu, drückte ihn gegen einen Pkw, nahm seinen Kopf mit dem linken Arm in den Schwitzkasten und schlug mehrfach mit der Faust der rechten Hand, an der er den Schlagring trug, gegen den Kopf des Opfers. Im Zuge der körperlichen Auseinandersetzung ließ der Geschädigte versehentlich sein Handy zu Boden fallen. Schließlich gelang es ihm, sich loszureißen und in Richtung Hauseingang zu laufen. Der Angeklagte folgte ihm und schubste ihn mehrfach gegen die Hauswand. Schließlich fasste der Angeklagte spontan den Entschluss, Bargeld und andere Wertgegenstände – insbesondere das Handy – des Geschädigten an sich zu nehmen, um sich hierdurch mit Blick auf den ihm zustehenden Anspruch auf Kaufpreisrückerstattung schadlos zu halten, gegebenenfalls auch durch Weiterveräußerung des Mobiltelefons. Er forderte das Opfer deshalb auf, seine Taschen zu entleeren und Handy, Geldbörse und sonstige Wertsachen zu übergeben. Der Geschädigte kam dem nach und übergab dem Angeklagten unter anderem sein Portemonnaie mit 61 US-Dollar. Hinsichtlich des Mobiltelefons wies er ihn darauf hin, dass dieses auf dem Bürgersteig liege. Währenddessen beschimpfte ihn der Angeklagte weiter, fragte nach dem von ihm gezahlten Kaufpreis und stellte dem Opfer in Aussicht, es umzubringen, sollte es noch einmal jemanden betrügen. Sodann begab er sich zurück zum Bürgersteig und nahm das zu Boden gefallene Handy an sich. Mit ihrer erfolgreichen Revision will die StA eine Verurteilung wegen schweren Raubs erreichen.

II. Entscheidung

Die Strafkammer sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es liege hinsichtlich des Handys keine Wegnahme i.S.d. § 249 StGB vor. Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolge nach ständiger Rechtsprechung des BGH nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten. Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liege Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so sei – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen (BGH, Beschl. v. 24.4.2018 – 5 StR 606/17, juris Rn 13 m.w.N.). Noch zutreffend habe die Strafkammer angenommen, dass der Geschädigte durch das versehentliche Zu-Boden-Fallen des Handys den Gewahrsam daran nicht verlor, sondern lediglich eine Gewahrsamslockerung eingetreten war. Jedoch halte die Bewertung, der Hinweis auf den Auffindeort des Handys stelle eine Vermögensverfügung i.S.d. §§ 253, 255 StGB dar, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn in der Preisgabe des Ortes, an dem der begehrte Gegenstand zu finden ist, liege noch keine Gewahrsamsübertragung. Vielmehr werde dem Täter lediglich die Möglichkeit zum Gewahrsamsbruch und damit der eigentlichen vermögensschädigenden Handlung durch das Ansichnehmen des jeweiligen Gegenstandes eröffnet (BGH a.a.O.; NStZ-RR 2010, 46, 48; NStZ 2006, 38; NStZ-RR 2011, 80). Das neue Tatgericht werde auch Gelegenheit haben, hinsichtlich der von dem Angeklagten erzwungenen Herausgabe der 61 US-Dollar näher darzulegen, inwieweit dieser davon ausging, berechtigt zu sein, die ihm zustehende Forderung auf Rückzahlung des Kaufpreises durch Ansichnahme des Bargelds durchzusetzen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Abgrenzung des Raubes (Wegnahme) von der räuberischen Erpressung (Weggabe) füllt ganze juristische Bibliotheken, auch wenn wegen der Rechtsfolgenverweisung in § 255 StGB („gleich einem Räuber“) identische Strafrahmen gelten und der Streit daher im Ergebnis – Stichwort: Schuldspruchberichtigung – kaum Bedeutung besitzt. Mit der vorliegenden Entscheidung setzt der BGH seine Rechtsprechung kontinuierlich fort. Hiernach liegt Raub vor, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels nicht zu einer Gewahsamsübertragung durch den Genötigten führt, sondern lediglich zur Möglichkeit des Gewahrsamsbruchs durch den Täter (Nw. bei Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 255 Rn 6). Hier hat der Geschädigte den Gewahrsam an seinem Handy durch das Fallenlassen nicht verloren, sondern erst durch die Ansichnahme durch den Angeklagten nach Fassen des neuen Tatentschlusses und final hierauf gerichteten weiteren Drohungen. Ob der Angeklagte im Rahmen des Raubes nicht die Absicht rechtswidriger Zueignung hatte, weil er sich aufgrund des vorherigen Geschehens um die gefälschte Uhr für berechtigt hielt (hierzu Fischer, § 249 Rn 19a, 19b), ist eine Frage der konkreten Feststellungen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…