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Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts

1. Der in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam, wenn zuvor eine Missachtung des Auswahlrechts des Angeklagten auf Benennung eines Verteidigers seiner Wahl gemäß § 142 Abs. 5 StPO durch das Gericht erfolgt ist.

2. Die Missachtung des Auswahlrechts des Angeklagten auf Benennung eines Verteidigers seiner Wahl gemäß § 142 Abs. 5 StPO durch das Gericht begründet den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Hamm, Beschl. v. 16.2.2021 – III – 5 RVs 3/21

I. Sachverhalt

Das AG hat im angefochtenen Urteil u.a. die Schuld des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgestellt und die Verhängung einer Jugendstrafe vorbehalten. Da der vom Angeklagten gewählte Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung nicht anwesend war, ordnete das AG gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Angeklagten diesem einen Sicherungsverteidiger bei. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung erklärte der Angeklagte, dass er auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil verzichte. Gegen das Urteil legte der Angeklagte sodann Sprungrevision ein, die Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das OLG führt aus, dass die Revision des Angeklagten trotz des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts zulässig sei, da dieser wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam sei. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sei ein Rechtsmittelverzicht wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam, wenn er auf einer vom Gericht zu verantwortenden unzulässigen Einwirkung beruhe. Eine derartige Einwirkung komme insbesondere in Betracht, wenn dem Angeklagten vom Gericht eine Erklärung über den Rechtsmittelverzicht abverlangt werde, ohne ihm zunächst Gelegenheit zu geben, sich dazu erst nach einer Beratung mit seinem Verteidiger zu äußern, der Rechtsmittelverzicht mithin praktisch unter Umgehung oder Ausschaltung des Verteidigers erwirkt werde. Ausgehend von diesem Maßstab sei eine unzulässige Beeinflussung des Gerichts anzunehmen, da dem Angeklagten keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, die Fragestellung, ob er auf Rechtsmittel verzichten wolle, vor Abgabe der betreffenden Erklärung mit dem von ihm gewählten und im Hauptverhandlungstermin nicht anwesenden Pflichtverteidiger zu erörtern. Die Beratungsmöglichkeit mit dem weiteren Verteidiger sei nicht ausreichend, da die Bestellung des weiteren Verteidigers zum sogenannten Sicherungsverteidiger nicht nur gegen den Willen des Angeklagten, sondern auch verfahrensfehlerhaft erfolgt sei, da dem Angeklagten keine Gelegenheit eingeräumt worden sei, einen Vorschlag zu unterbreiten. Bleibe der notwendige Verteidiger in der Hauptverhandlung aus, sei dem Angeklagten vor der Bestellung eines neuen Verteidigers Gelegenheit zu geben, einen Vorschlag zu unterbreiten. Dieses Vorschlagsrecht diene dem Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seines Vertrauens sowie der effektiven Verteidigung. Da dieses Auswahlrecht seitens des Gerichts übergangen worden sei, sei dem Angeklagten die Möglichkeit genommen worden, die Frage des Rechtsmittelverzichtes mit dem Verteidiger seines Vertrauens zu beraten. Die unzureichende Beratungsmöglichkeit sei daher durch die Justiz zu vertreten, so dass ein bindender Rechtsmittelverzicht nicht vorliege.

Abschließend stellt das OLG fest, dass der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO vorliege. Durch die Missachtung des Auswahlrechtes des Angeklagten sei dieser nicht hinreichend verteidigt gewesen, wodurch der Angeklagte durch die gegen seinen Willen erfolgte Beiordnung des Sicherungsverteidigers in erheblicher Weise in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt worden sei.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung fügt sich in die bisherige Praxis der obergerichtlichen Rechtsprechung ein. Gemäß § 142 Abs. 5 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Da diese Vorschrift sowohl für die Fälle des § 144 StPO als auch für die Fälle des hier einschlägigen § 145 StPO gilt, musste das OLG im vorliegenden Verfahren nicht darüber entscheiden, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Bestellung eines neuen Verteidigers gegeben waren. Im Verhalten des Tatrichters dürfte das OLG – ohne dies ausdrücklich auszusprechen – zugleich einen Verstoß gegen das Fair-trial-Prinzip sowie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör angenommen haben. Auch wäre denkbar, die Vorgehensweise des Gerichts unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht zu rügen – dies selbst dann, wenn Ziel des Gerichts nicht eine Benachteiligung des Angeklagten, sondern eine sowohl zeit- als auch kostensparende schnelle und abschließende Verfahrenserledigung gewesen sein sollte. Während die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung der Revision von Amts wegen zu prüfen ist, bedurfte es zur Begründung der Einschränkung der Verteidigungsrechte i.S.d. § 338 Nr. 8 StPO einer Verfahrensrüge, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprach. Diesen Anforderungen wurde die Revisionsbegründung des gewählten Pflichtverteidigers gerecht. Da der gewählte Pflichtverteidiger zugleich die Entpflichtung des Sicherungsverteidigers beantragt hat, muss der neue Tatrichter nunmehr auch über diese Frage entscheiden.

StA Ümit Görgün, Arnsberg, und StA Sebastian Wirwa, Arnsberg

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