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Zusätzliche Verfahrensgebühr nach Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl

Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG bezieht sich (nur) auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs ein Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird, nicht hingegen auf eine Ds-Sache, in der die Hauptverhandlung bereits anberaumt war und nur mangels Anwesenheit des Angeklagten nicht bis zum Abschluss durchgeführt werden konnte. (Leitsatz des Verfassers)

AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 4.2.2021 – 254 Ds 231/19

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem Verfahren mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Als der Angeklagte zur Hauptverhandlung beim AG nicht erschienen ist, hat das AG gem. § 408a Abs. 1 StPO einen Strafbefehl erlassen. Da der Rechtsanwalt zunächst keinen Kontakt zu seinem Mandanten bekommen konnte, um die Frage zu besprechen, ob Einspruch eingelegt werden soll oder nicht, hat er gem. § 410 StPO Einspruch eingelegt. Nachdem er nach etwa drei Wochen die Angelegenheit besprechen konnte, ist der Einspruch zurückgenommen worden. Bei der Vergütungsfestsetzung hat der Rechtsanwalt auch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Nr. 3 VV RVG geltend gemacht. Diese wurde nicht festgesetzt. Das Rechtsmittel des Pflichtverteidigers hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Das AG meint, dass die Gebühr gemäß VV 4141 RVG nicht entstanden sei. Sofern ein Verteidiger den Angeklagten dahingehend berate, gegen einen Strafbefehl nach § 408a StPO keinen Einspruch einzulegen, entstehe diese unstreitig nicht (u.a. OLG Nürnberg Rpfleger 2009, 645 = RVGreport 2009, 464 = StRR 2010, 115). Dies gelte entsprechend auch für eine baldige Rücknahme des Einspruchs.

Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG beziehe sich auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs ein Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde. Hier handele es sich jedoch um eine Ds-Sache, in der die Hauptverhandlung bereits anberaumt war und nur mangels Anwesenheit des Angeklagten nicht bis zum Abschluss durchgeführt werden konnte. Anders wäre der kostenrechtliche Ansatz nur dann zu bewerten, wenn nach der Eröffnung des Hauptverfahrens und vor Terminierung der Verteidiger an dem Erlass eines Strafbefehls mitwirke (AG Bautzen AGS 2007, 307), so dass der Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, was hier nicht der Fall gewesen sei.

Auch in den Konstellationen, in denen ein Hauptverhandlungstermin bereits stattgefunden habe, ausgesetzt wurde und nur durch Rücknahme des Rechtsmittels der neu anberaumte Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, entstehe die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht (OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.3.2011 – 2 Ws 177/11). Dasselbe gelte für das Entfallen von Fortsetzungsterminen (OLG Köln AGS 2006, 339). Daher ergebe sich auch aus einer analogen Anwendung von Nr. 4141 VV RVG hier keine andere Bewertung.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Es ist erschreckend, wie Gerichte zum Teil mit den anwaltlichen Gebühren umgehen und wie gering die Kenntnisse im Gebührenrecht sind. Zudem hat man auch den Eindruck – zumindest mal wieder bei dieser Entscheidung –, dass man als Entscheider nicht mal eben in einen Kommentar schaut, um eine Frage/Antwort abzusichern. Da wird offenbar einfach nur in Internetdatenbanken pp. gesucht und die Entscheidung, die zu passend scheint, als das Nonplusultra dargestellt, ohne zu hinterfragen, ob das überhaupt die h.M. ist und ob man, wenn man ein wenig gesucht hätte, auf der dann gefundenen Grundlage nicht ggf. anders entscheiden müsste. Aber: Warum soll man sich die Mühe machen? Es ist ja nicht das eigene Geld, um das es geht.

2. Zur Sache: Hätte hier der Amtsrichter mal in einen Kommentar geschaut, er wäre – hoffentlich – zu einer anderen Entscheidung gekommen bzw. hätte kommen müssen. Im Einzelnen:

a) Schon der Ansatz, die Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG beziehe sich nur auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs ein Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, ist falsch. Er ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Das unterscheidet in Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG nämlich nicht zwischen einem „originären“ Strafbefehlsverfahren und einem nach § 408a StPO erlassenen Strafbefehl. In der Nr. 3 heißt es einfach nur: „…durch Rücknahme gegen den Strafbefehl …“. Dementsprechend wird auch an keiner Stelle in Rechtsprechung oder Literatur bisher die vom AG vertretene Auffassung vertreten. Gott sei Dank, denn sie widerspricht auch Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG, die honorieren soll, dass das Verfahren ohne Hauptverhandlung zu Ende geht, wodurch dem Verteidiger Gebühren, nämlich die Terminsgebühr für die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin, verloren gehen. Dafür bietet die Nr. 4141 VV RVG einen Ausgleich. Das gilt aber auch in den Fällen, in denen ggf. ein Strafbefehl nach § 408a StPO erlassen worden und vom Verteidiger, der keinen Kontakt zum Mandanten hat, vorsorglich Einspruch eingelegt worden ist. Die Fälle sind ja gar nicht so selten. Wird der Einspruch nun nicht zurückgenommen, nimmt das weitere Verfahren den normalen Gang eines Strafbefehlsverfahrens: Es muss nach § 411 StPO Hauptverhandlungstermin anberaumt werden und es ergeht ggf. dann doch noch ein Urteil. In dem Fall entsteht für den Verteidiger die Terminsgebühr. Die entgeht ihm aber, wenn er den vorsorglich eingelegten Einspruch nach Beratung mit dem Mandanten zurücknimmt, weil dieser mit den vom Strafbefehl angeordneten Rechtsfolgen einverstanden ist. Das ist genau die Interessenlage, die der Gesetzgeber mit der Nr. 4141 VV RVG im Auge hatte (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 4141 VV Rn 1 ff. m.w.N.). Warum das AG das anders sieht, erschließt sich nicht. Der Hinweis auf AG Bautzen AGS 2007, 307 führt nicht weiter, da die Verfahrenssituationen nicht vergleichbar sind. Darauf hätte man mit etwas Überlegung auch kommen können.

b) Auch die übrigen Ausführungen des AG stützen die getroffene Entscheidung nicht.

Der Hinweis auf OLG Nürnberg Rpfleger 2009, 645 = RVGreport 2009, 464 = StRR 2010, 115 geht fehl. Abgesehen davon, dass die vom OLG Nürnberg vertretene Auffassung nicht unstreitig ist (vgl. die a.A. AG Berlin-Tiergarten (sic!) RVGreport 2010, 140 = RVGprofessionell 2010, 40 = AGS 2010, 220 = StRR 2010, 400, Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 12 m.w.N.), handelt es sich bei der vom OLG Nürnberg entschiedenen Konstellation auch um einen anderen Fall. Dort war kein Einspruch eingelegt worden, das Verfahren ging also auf jeden Fall ohne Hauptverhandlung zu Ende. Hier war aber Einspruch eingelegt.

Soweit das AG auf OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 5.3.2011 – 2 Ws 177/11 und OLG Köln AGS 2006, 339 verweist, ist das ebenfalls nicht zielführend. Die Entscheidung des OLG Köln betraf das Entfallen von Fortsetzungsterminen, womit wir es hier nicht zu tun haben. Und die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist nun wahrlich kein Beleg für die offenbar auch vom AG vertretene Auffassung, dass in den Fällen, in denen ein Hauptverhandlungstermin bereits stattgefunden habe, ausgesetzt wurde und nur durch Rücknahme des Rechtsmittels der neu anberaumte Hauptverhandlungstermin entbehrlich wurde, die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht entstehe. Denn das ist nun wahrlich nicht der Fall, weil es dem Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG widerspricht, und wird auch in der Rechtsprechung und Literatur weitgehend anders gesehen (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 45 m.z.w.N.). Gerade an der Stelle hätte dem AG ein Blick in einen Kommentar sicherlich geholfen. Was in dem Zusammenhang der Hinweis auf eine „analoge Anwendung“ der Nr. 4141 VV RVG bringen soll, erschließt sich mir nicht.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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