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Zeitpunkt der Tatvollendung bei Steuerhinterziehung

Bei den Veranlagungssteuern wie Körperschaft- und Gewerbesteuer ist im Fall der Hinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) die Tat vollendet, wenn es aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu niedrigeren Steuerfestsetzungen gekommen ist; hingegen ist es im Fall der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) zur Tatvollendung dann gekommen, wenn entweder Schätzungsbescheide mit zu niedrigen Festsetzungen bekanntgegeben wurden oder wenn zuvor die Veranlagungsarbeit für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen im zuständigen Finanzamt abgeschlossen wurde.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 6.4.2021 – 1 StR 60/21

I. Sachverhalt

Der Angeklagte hatte in den Veranlagungszeiträumen 2011 bis 2013 als faktischer Geschäftsführer (§ 35 AO) der C UG zum jeweiligen Abgabetermin (31.5. des Folgejahres) keine Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen für die C UG abgegeben. Erst nach Bekanntgabe des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens und seiner Bestellung zum Geschäftsführer der C UG gab er im Juni 2016 entsprechende Erklärungen ab, die aber unrichtige Angaben zu den Betriebsausgaben enthielten. Das LG verurteilte ihn insofern wegen vollendeter Steuerhinterziehung, ohne jedoch festzustellen, ob und wann diesbezügliche Schätzungsbescheide ergangen waren bzw. die Veranlagungstätigkeit für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen im zuständigen Finanzamt abgeschlossen worden war. Vielmehr unterstellte das LG einen Abschluss der Veranlagungstätigkeit spätestens ein Jahr nach dem gesetzlichen Abgabetermin. Der BGH hat das Verfahren an das LG zurückverwiesen.

II. Entscheidung

Da es sich bei der Körperschaft- wie auch der Gewerbesteuer um Veranlagungssteuern handele, ist im Fall der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) hinsichtlich der Beurteilung der Frage, wann Tatvollendung eingetreten und somit das Versuchsstadium verlassen ist, auf den Zeitpunkt der zu niedrigen Steuerfestsetzung abzustellen (Gehm, Kompendium Steuerstrafecht, 3. Aufl. 2017, S. 150).

Im Fall der Nichtabgabe der Steuererklärung ist bei Veranlagungssteuern in diesem Zusammenhang relevant, wann Schätzungsbescheide mit zu niedrigen Festsetzungen bekanntgegeben wurden oder wann die Veranlagungsarbeit für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen im zuständigen Finanzamt abgeschlossen wurde (Gehm, a.a.O., S. 152f.).

Da die Vorinstanz aber keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen hat, müssen die Feststellungen nachgeholt werden, ob und wann Schätzungsbescheide bekanntgegeben wurden, respektive, wenn keine solchen ergingen, wann im Großen und Ganzen die Veranlagungstätigkeit im zuständigen Finanzamt abgeschlossen wurde. Eine Feststellung, dass der jeweilige Abgabetermin bereits rund ein Jahr verstrichen ist, ersetzt nicht letztere Festsetzung und rechtfertigt nicht die Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung.

Auch dass die Steuererklärungen schließlich im Juni 2016 verspätet abgegeben wurden, lässt keinen Rückschluss auf die Tatvollendung zu, da nicht festgestellt wurde, inwiefern dies niedrige Steuerfestsetzungen bewirkte.

III. Bedeutung für die Praxis:

Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Grundsteuer sind Veranlagungssteuern, bei ihnen setzt die Finanzbehörde die Steuer mit Steuerbescheid fest. Erst im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Steuerbescheide bestimmt sich die Fälligkeit dieser Steuern (Steinberger, in: Zugmaier/Nöcker, AO Komm., § 376 (Stand: 1.3.2021) Rn 32).

Der BGH besteht darauf, dass bezüglich der Klärung der Frage, wann das Versuchsstadium ende, im Fall der Veranlagungssteuern nicht nur Feststellungen zu Schätzungsbescheiden getroffen werden müssen, sondern auch genau zu klären ist, wann die jeweilige Veranlagungstätigkeit im Großen und Ganzen im Finanzamt abgeschlossen war. Dies ist der Fall, wenn 90 bis 95 % der Veranlagungstätigkeit erledigt sind (Gehm, a.a.O., S. 316). Hingegen wird teilweise, wie vom LG, eine Bearbeitungsdauer von längstens einem Jahr in diesem Zusammenhang angenommen (Jäger, in: Klein, AO Komm., 15. Aufl. 2020, § 370 Rn 92c). Dem hat der BGH aber nun eine Absage erteilt.

Wird der Steuerpflichtige bei einer Veranlagungsteuer gemäß § 162 AO höher oder gar zutreffend geschätzt, bleibt die Tat endgültig im Versuchsstadium stecken (Gehm, a.a.O., S. 153).

Bei Fälligkeits- bzw. Anmeldesteuern wie der Umsatzsteuer, bei welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst berechnen muss und sich deren Fälligkeit nach einem gesetzlich festgelegten Termin ausrichtet, gibt es im Fall der Nichtabgabe kein Versuchsstadium, denn mit Verstreichen der entsprechenden Abgabefrist ist Tatvollendung eingetreten (Gehm, a.a.O., S. 153).

Im Fall der Abgabe einer unrichtigen Steueranmeldung ist die Tat im gesetzlichen Abgabezeitpunkt grundsätzlich vollendet, in Erstattungs- bzw. Herabsetzungsfällen ergibt sich hingegen, dass erst mit der Zustimmung des Finanzamts gemäß § 168 S. 2 AO die Tat vollendet ist und folglich vom Abgabezeitpunkt bis zu dieser Vollendung Versuch vorliegt (Gehm, a.a.O., S. 151 f.; BGH NZWiSt 2021, 186 m. Anm. Hänle).

Was die Tatbeendigung anbelangt, besteht zwar für die Gewerbesteuer im Fall der Nichtabgabe der Steuererklärung die Besonderheit, dass der fiktive Zeitpunkt für den Erlass des Gewerbesteuermessbescheides durch das Finanzamt sowie sodann für den Erlass des Gewerbesteuerbescheides durch die Gemeinde zu ermitteln ist (Gehm, a.a.O., S. 317), für den Zeitpunkt der Tatvollendung stellt der BGH hier aber nur auf ersteren Zeitpunkt ab. Dies lässt sich daraus erklären, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt zu einer Gefährdung des Rechtsgutes Gewerbesteuer derart gekommen ist, dass diese auch nicht mehr rechtzeitig i.S.v. § 370 Abs. 4 S. 1 3. Alt. AO von der Gemeinde festgesetzt werden kann (Joecks, in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rn 544).

Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof

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