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Verletzter; Angehöriger eines Getöteten; besondere Schutzbedürftigkeit

1. § 406g Abs. 3 StPO lässt die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleiterin grundsätzlich auch für Angehörige einer bei einer rechtswidrigen Tat Getöteten zu.

2. Die erforderliche besondere Schutzbedürftigkeit ergibt sich aber nicht allein aus der Angehörigeneigenschaft.

3. In die bei der Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit vorzunehmende Gesamtwürdigung kann eingestellt werden, dass der Angehörige vor der Hauptverhandlung aus finanziellem Interesse zahlreiche freiwillige Medienauftritte absolviert und dabei über den Tod des engen Familienmitglieds berichtet hat. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 19.2.2021 – 2 Ws 51/21

I. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer tritt in einem Verfahren wegen Mordes an seiner Schwester als Nebenkläger auf. Ihm ist ein Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO bestellt. Darüber hinaus beantragte er die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleiterin für die Dauer des Strafverfahrens.

Diesen Antrag hat die Strafkammer zurückgewiesen. § 406g Abs. 3 StPO sehe die Möglichkeit einer solchen Beiordnung nicht vor, da Angehörige von getöteten Opfern nicht Verletzte im Sinne dieser Vorschrift seien. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Wenngleich dem Rechtsmittel im Ergebnis der Erfolg versagt blieb, sei, so das OLG, die Auffassung der Strafkammer, Angehörige seien nicht „Verletzte“ i.S.d. § 406g Abs. 3 StPO, rechtlich nicht haltbar. Das LG übersehe insoweit bereits die in § 406g Abs. 3 StPO vorhandene Bezugnahme auf § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO, der explizit auch die Angehörigen eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten umfasse. Zudem entspreche es, so der Senat unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien weiter, dem gesetzgeberischen Willen, auch Angehörigen die Möglichkeiten der psychosozialen Prozessbegleitung zu gewähren. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus europäischen Richtlinien.

Indes habe die Strafkammer zutreffend ausgeführt, dass allein der Umstand, Angehöriger einer bei einer rechtswidrigen Tat Getöteten zu sein, nicht ausreiche, um die für eine Beiordnung nach § 406g Abs. 3 S. 2 StPO erforderliche besondere Schutzbedürftigkeit zu begründen. Zudem begegne es keinen Bedenken, dass das LG zahlreiche Medienauftritte des Beschwerdeführers, der mehrfach freiwillig von dem Tod seiner Schwester in Presse und Fernsehen berichtet habe, zu seinem Nachteil in die vorzunehmende Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände eingestellt hat. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass finanzielle Interessen eine maßgebliche Rolle bei den Medienauftritten des Beschwerdeführers gespielt haben dürften. Schließlich sei die Ablehnung einer besonderen Schutzbedürftigkeit auch deshalb nicht zu beanstanden, weil die Strafkammer eine zeugenschaftliche Vernehmung des Beschwerdeführers nicht beabsichtige, er über einen Beistand verfüge und zudem als Nebenkläger zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht verpflichtet sei.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Dass dem Beschwerdeführer vorliegend zu Unrecht die Verletzteneigenschaft abgesprochen wurde, ergibt sich aus der in § 406g Abs. 3 S. 2 StPO enthaltenen Verweisung auf § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO, der Angehörige ausdrücklich erwähnt. Der Beschluss überzeugt aber auch, soweit die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung abgelehnt wurde. Wer, wie vorliegend der Nebenkläger, aus finanziellen Interessen bereits vor der Hauptverhandlung wiederholt in den Medien auftritt und dort aus freien Stücken über den dem Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalt und den Tod einer Angehörigen berichtet, erscheint durchaus in der Lage, an einer Hauptverhandlung teilzunehmen, zumal wenn er dort anwaltlich vertreten und überdies nicht als Zeuge vorgesehen ist.

RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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