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StRR-Kompakt

Zeugnisverweigerungsrecht: Ergänzungspfleger

Die fachgerichtliche Auffassung, die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts eines minderjährigen Kindes in einem gegen seinen gesetzlichen Vertreter gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen sei auch ohne vorherige Feststellung der Aussagebereitschaft des Kindes möglich, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Elternrecht des Beschuldigten führt zu keiner abweichenden Bewertung.

BVerfG, Beschl. v. 31.3.2020 – 1 BvR 2392/19

Frist zum Stellen von Beweisanträgen: erneuter Eintritt in die Beweisaufnahme

Es erscheint zweifelhaft, ob die Auslegung des § 244 Abs. 6 StPO, wonach eine Frist zum Stellen von Beweisanträgen wirksam bleibt, auch wenn das Gericht nach der Fristsetzung erneut in die Beweisaufnahme eintritt, dem Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren genügt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die unter Ablehnung des Beweisantrags ergangene Verurteilung wahrt jedoch nicht den Grundsatz der Subsidiarität, wenn die Beschwerdeführerin im Erkenntnisverfahren weder einen Zwischenrechtsbehelf nach § 238 Abs. 2 StPO eingelegt noch im Wege der Glaubhaftmachung nach § 244 Abs. 6 Satz 5 StPO geltend gemacht hat, aus welchen Gründen ihr die Stellung des Beweisantrags vor der Fristsetzung nicht möglich war.

BVerfG, Beschl. v. 8.5.2020 – 2 BvR 1905/19

Insolvenzantrag der Staatsanwaltschaft: Rechtsweg

Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, nach § 111i Abs. 2 StPO einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet. Der Überprüfung unterliegt dabei nur, ob die Voraussetzungen des § 111i Abs. 2 StPO vorliegen.

BGH, Beschl. v. 10.6.2020 – 5 ARs 17/19

Strafklageverbrauch: Zusammentreffen von Besitz von BtM und anderen Straftaten

Beim zeitgleichen Zusammentreffen zwischen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und anderen Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten ist materiell-rechtlich nur dann von einer Tat auszugehen, wenn ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen den Taten besteht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die zur Verwirklichung des einen Tatbestandes beitragende Handlung zugleich der Begründung oder Aufrechterhaltung des durch das Dauerdelikt geschaffenen rechtswidrigen Zustandes dient. Straftaten, die demgegenüber nur gelegentlich eines Dauerdelikts begangen werden, stehen mit diesem in Realkonkurrenz; eine bloße Gleichzeitigkeit der Handlungen genügt für die Annahme von Tateinheit nicht.

OLG Celle, Beschl. v. 28.5.2020 – 2 Ss 42/20

Pflichtverteidiger: KiPo-Verfahren

Aufgrund der Besonderheit des Verfahrensgegenstandes ist in einem sog. Kinderpornografieverfahren dem Beschuldigten ein Verteidiger als Pflichtverteidiger wegen der Schwierigkeit der Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen. Denn der Beschuldigte kann in diesen Fällen nicht selbst, sondern nur durch einen Verteidiger Akteneinsicht nehmen.

LG Halle, Beschl. v. 29.6.2020 – 10a Qs 59/20

Pflichtverteidiger: Zeitpunkt der Bestellung

Das Antragsrecht des § 141 Abs. 1 StPO besteht erst ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte über den Tatvorwurf unterrichtet wird. Erforderlich ist, dass der Verdächtige oder beschuldigte Personen von den zuständigen Behörden durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden.

LG Ulm, Beschl. v. 26.6.2020 – 3 Qs 39/20

Pflichtverteidiger: nachträgliche Bestellung

Gemäß § 141 Abs. 1 StPO ist dem Beschuldigten im Fall einer notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Verteidiger zu bestellen, wenn er dies beantragt. Der Umstand, dass das Verfahren in der Folge gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, ändert nichts an dem Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers. Nach der Neufassung der §§ 140 ff. StPO kommt daher auch eine rückwirkende Bestellung in Betracht.

AG Tiergarten, Beschl. v. 30.6.2020 – 350 Gs 1352/20

Bestellung eines Nebenklägerbeistandes: Beschwerde des Angeklagten

Eine Beschwerde des Angeklagten gegen die Bestellung eines Nebenklägerbeistands ist mangels Beschwer unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte geltend macht, die Beistandsbestellung verstoße gegen § 146 StPO analog und § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BORA.

OLG Celle, Beschl. v. 29.6.2020 – 3 Ws 154/20

Beweisantrag: Ablehnung wegen Prozessverschleppung

Soll ein vom Angeklagten oder seinem Verteidiger im Rahmen der Schlussausführungen gestellter Hilfsbeweisantrag wegen Verschleppungsabsicht des Antragstellers abgelehnt werden, bedarf es eines besonderen Beschlusses. Daran hat sich durch die seit dem 13.12.2019 gültige Gesetzesänderung in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO, wonach nunmehr die Möglichkeit gegeben ist, einen Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht nicht durch Beschluss des Gerichts, sondern durch den Vorsitzenden zurückzuweisen, nichts geändert.

OLG Oldenburg, Beschl. v. 6.7.2020 – 1 Ss 90/20

Selbstleseverfahren: Inbegriff der Hauptverhandlung

Das Urteil beruht nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung i.S. des § 261 StPO, wenn zwar für eine Urkunde durch Beschluss das Selbstleseverfahren im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO angeordnet worden ist, das Tatgericht sodann aber nicht feststellt, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben.

OLG Naumburg, Beschl. v. 30.6.2020 – 1 Rv 94/20

Beschwerde: E-Mail

Die Form der Einlegung einer Beschwerde – per „JPG-Bilddatei“ im Anhang einer E-Mail – steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht grundsätzlich entgegen.

LG Hechingen, Beschl. v. 22.6.2020 – 3 Qs 45/20

Verjährung: Einholung eines Sachverständigengutachtens

Wird ein schon erteilter Gutachtenauftrag später ergänzt, kommt es für die Frage der erneuten Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 OWiG darauf an, ob die Ergänzung innerhalb des schon erteilten Gutachtenauftrages liegt oder ob zu weiteren Fragen gutachterlich Stellung genommen werden soll, die von dem früheren Auftrag noch nicht umfasst waren.

LG Mönchengladbach, Beschl. v. 10.6.2020 – 39 Qs 11/20

Pauschgebühr: Rückforderung eines Vorschusses

Ein dem Rechtsanwalt gewährter Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr (§ 51 RVG) kann auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ganz oder teilweise zurückgefordert werden, wenn später eine Pauschgebühr nicht oder nicht in der dem Vorschuss entsprechenden Höhe bewilligt wird. Etwas anderes kann gelten, wenn über den Vorschussantrag des Pflichtverteidigers nicht etwa in einem frühen Verfahrensstadium entschieden wird, sondern zu einem Zeitpunkt, in dem das (erstinstanzliche) Verfahren bereits abgeschlossen ist. Soweit jedoch durch eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung ein (gebührenrechtlicher) Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ist diesem ggf. bei der Rückforderung eines Vorschusses durch Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.6.2020 – III 1 Ws 289/19

Bußgeldverfahren: zusätzliche Verfahrensgebühr

Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG fällt nur an, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenserledigung konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre. Das ist im Rechtsbeschwerdezulassungsverfahren fernliegend. Die Zustimmung des Verteidigers zu einer von der Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgeschlagenen Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG ist keine Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV.

LG Saarbrücken, Beschl. v. 29.6.2020 – 8 Qs 69/20

Zusätzliche Verfahrensgebühr: unterbrochene Hauptverhandlung

Die Gebühr Nr. 4141 VV RVG kann demnach auch noch entstehen, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Dies setzt aber voraus, dass ein vorheriger Hauptverhandlungstermin ausgesetzt wurde und der neue Hauptverhandlungstermin z.B. aufgrund von Einstellung oder Berufungsrücknahme entbehrlich wird.

LG Siegen, Beschl. v. 3.7.2020 – 10 Qs 61/20

Geplatzter Termin: anberaumter Termin

Auch ein (nur) telefonisch mit dem Verteidiger abgestimmter Termin ist ein anberaumter Termin i.S.v. Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG. Eine Ladung ist nicht erforderlich.

AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 3.4.2020 – 620 Ls 192/18

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Einziehung

Das am 1.7.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, nach dem als Vermögensabschöpfungsmaßnahme nur noch die Einziehung vorgesehen ist, hat gebührenrechtlich zur Folge, dass die Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen gem. Nr. 4142 VV RVG für die Tätigkeiten des Verteidigers unabhängig davon entsteht, ob die Vermögensabschöpfung (auch) der Entschädigung von Tatverletzten dient oder ob dies nicht der Fall ist.

AG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.6.2020 – 911 Ls – 5163 Js 232283/19

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