Pflichtverteidiger: sofortige Beschwerde; Verteidigerwechsel
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist gemäß § 142 Abs. 7 S. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die nach § 142 Abs. 7 S. 2 StPO jedoch ausgeschlossen (unstatthaft) ist, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO stellen kann. Ob die teils durch unbestimmte Rechtsbegriffe („kurze Frist“; „wichtiger Grund“) formulierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gegeben sind, hat das zunächst nach § 142 Abs. 3 StPO zuständige Gericht bzw. – nach Anklageerhebung – dessen Vorsitzender (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) zu beurteilen. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, zur Beurteilung der Statthaftigkeit (§ 142 Abs. 7 S. 2 StPO) einer auf Auswechslung eines beigeordneten Verteidigers gerichteten sofortigen Beschwerde sämtliche Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO vollständig und abschließend zu prüfen und damit erstmalig über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Norm zu befinden.
OLG Hamburg, Beschl. v. 4.5.2021 – 2 Ws 37/21
Pflichtverteidiger: Terminschwierigkeiten
Die Verhinderung des Pflichtverteidigers an fast allen bei dem hinzugezogenen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen für die Durchführung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehenden Terminen kann in einer Haftsache auch gegen den Willen des Angeklagten die Entpflichtung des Rechtsanwalts gem. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO rechtfertigen, wenn die Terminskollision nicht aufgelöst werden kann und eine Verlegung der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würde.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.5.2021 – 1 Ws 132/21
Pflichtverteidiger: schwierige Rechtslage
Es liegt eine schwierige Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, wenn es maßgeblich auf die Auslegung von Begriffen aus dem Nebenstrafrecht und dabei insbesondere auch auf die – stellenweise auch für erfahrene Rechtsanwender – unübersichtlichen Normen und Anlagen des SprengG, vor allem aber des WaffG, ankommt.
LG Magdeburg, Beschl. v. 4.5.2021 – 21 Qs 14/21
Pflichtverteidiger: Einziehung
Die „Schwere der Tat“ kann sich auch aus mittelbaren Folgen des Verfahrens ergeben, insbesondere kann – bei einer Gesamtwürdigung der Umstände – auch eine Einziehung von Wertersatz in sehr großem Umfang eine Rolle spielen.
AG Eggenfelden, Beschl. v. 31.5.2021 – 1 Cs 502 Js 5973/21
Fristsetzung für Beweisantragsstellung: Wiedereintritt in die Beweisaufnahme
Bestimmt der Vorsitzende des Tatgerichts nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen, steht einer Bescheidung von nach deren Ablauf gestellten Beweisanträgen im Urteil nicht grundsätzlich entgegen, dass wieder in die Beweisaufnahme eingetreten worden ist. Dies gilt jedoch ausnahmsweise nicht für solche Beweisanträge, die sich erst aus der Beweisaufnahme nach Wiedereintritt ergeben. Hierzu sind regelmäßig Darlegungen im Beweisantrag erforderlich.
BGH, Beschl. v. 21.4.2021 – 3 StR 300/20
Verständigung: Zeitpunkt der Belehrung
Belehrt das Gericht den Angeklagten erst nach einer getroffenen Verständigung über deren Reichweite und Folgen, ist die Verständigung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Daran ändert der Umstand nichts, dass das Geständnis erst nach dem Hinweis des Gerichts abgelegt wurde.
BGH, Beschl. v. 30.3.2021 – 2 StR 383/20
Gemeinschaftlicher Nebenklagevertreter
Für die Bestellung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters i.S.d. § 397b Abs. 1 StPO genügt es, wenn die Interessen der Nebenkläger „gleichgelagert“ sind; sie müssen nicht identisch sein. Erst dann, wenn die Interessen in ihrer Gesamtheit so gegenläufig und widersprüchlich sind, dass deren gleichzeitige Wahrnehmung dem Mehrfachvertreter wegen „widerstreitender Interessen“ gemäß § 43a Abs. 4 BRAO berufsrechtlich untersagt wäre, scheidet eine gemeinschaftliche Vertretung aus.
KG, Beschl. v. 26.4.2021 – 2 Ws 33/21
Verschlechterungsverbot: Ratenzahlung
Das Verschlechterungsverbot gilt bei Berufung des Angeklagten auch für die Höhe der Raten, es sei denn, es liegen neue Tatsachen i.S.d. § 459a Abs. 2 S. 2 StPO vor.
KG, Beschl. v. 5.2.2021 – (3) 121 Ss 189/20 (1/21)
Berufung: Annahmeberufung; Berufung des Nebenklägers
In den Fällen, in denen eine Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil nach § 313 Abs. 1 S. 2 StPO der Zulassung bedürfte, ist eine Sprungrevision nach § 335 Abs. 1 StPO (vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Zulassungsvoraussetzungen) immer, d.h. auch ohne vorherige Berufungszulassung, zulässig. Es besteht die Verpflichtung des Nebenklägers, spätestens in der Revisionsbegründung deutlich zu machen, dass er mit seinem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel i.S.v. § 400 StPO verfolgt, namentlich dass das Urteil wegen einer zum Anschluss als Nebenkläger berechtigenden Gesetzesverletzung angefochten werde. Es muss zumindest die entfernte rechtliche Möglichkeit einer Verurteilung nach dem nebenklagefähigen Straftatbestand bestehen. Ein Beschluss, mit dem eine Zulassung der Nebenklage nach § 395 Abs. 3 StPO erfolgt, ist für das Revisionsgericht bindend.
OLG Hamm, Urt. v. 11.5.2021 – 4 RVs 7/21
Außervollzugsetzung: Antrag der Staatsanwaltschaft
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls im Ermittlungsverfahren hat keine Bindungswirkung für den Haftrichter. § 120 Abs. 3 StPO ist nicht entsprechend anwendbar.
OLG Celle, Beschl. v. 17.5.2021 – 2 Ws 145/21
Wiederholungsgefahr: Höchstdauer der Haft
Die Jahresfrist nach § 122a StPO ruht während der Hauptverhandlung.
OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2021 – 2 Ws 150–152/21
Kraftfahrzeugrennen: Polizeiflucht
Die Tathandlung i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss u.a. im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht des Täters getragen sein, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die unter den konkreten situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Da diese Absicht nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns zu sein braucht, werden von der Vorschrift beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle erfasst, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2021 ‒ 4 StR 225/20, VRR 4/2021, 13 = StRR 5/2021, 27).
BGH, Beschl. v. 29.4.2021 – 4 StR 165/20
Geldwäsche: durch Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen
Durch Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen sind kein taugliches Tatobjekt i.S.d. § 261 Abs. 1 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9.3.2021.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 26.5.2021 – 4 Ws 53/21
Beleidigung: „Schwuchtel“, „Pussy“
Die Bezeichnung eines Mannes als „Schwuchtel“ ist eine Herabwürdigung einer Person alleine wegen ihrer (vermeintlichen) sexuellen Orientierung, die auch eine besonders zu missbilligende Geringschätzung homosexueller Männer im Allgemeinen mit sich bringt. Diese ist daher unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls und dem Kontext ihrer Äußerung als sog. Formalbeleidigung strafbar. Hingegen stellt die Bezeichnung als „Pussy“ nicht schlechthin eine Beleidigung dar.
AG Frankfurt a.M., Urt. v. 15.1.2021 – 907 Cs 7680 Js 229740/19
Bußgeldverfahren: Mittelgebühr
In straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist grundsätzlich der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt der Gebührenbemessung gerechtfertigt.
AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 3.6.2021 – 621 OWi 128/21