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StRR-Kompakt 2021-04

Fortentwicklung der StPO

Der Gesetzentwurf zur „Fortentwicklung der StPO“ befindet sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Inzwischen liegt die BT-Drucks 19/7654 vor, in der die Bundesregierung zu den „Anmerkungen“ des Bundesrates (vgl. Beschluss zu BR-Drucks 57/12) Stellung genommen hat.

Kostenansatz: Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Beim Ansatz von Verfahrenskosten im Strafprozess kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt sein, was zu einer Grundrechtsverletzung beim Verurteilten führen kann, wenn ihm außergewöhnlich hohe Verfahrenskosten auferlegt werden, die zu einer nicht mehr hinnehmbaren Gesamtbelastung führen (hier: hohe Sachverständigenkosten in einem sog. KiPo-Verfahren).

BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19

Nebenklage: Anschluss wegen unterlassener Hilfeleistung

Besondere Gründe i.S.d. § 395 Abs. 3 StPO sind gegeben, wenn der möglicherweise durch die Tat Verletzte nach einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtschau prozessual schutzbedürftig ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn schwere Folgen der Tat vorliegen, mithin wenn beim Verletzten körperliche oder seelische Schäden mit einem gewissen Grad an Erheblichkeit bereits eingetreten oder zu erwarten sind. Wird die Verurteilung des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) erstrebt, ist der in Not geratene Verletzter, denn Schutzgut des § 323c StGB sind zumindest auch die bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgüter des in Not Geratenen. Das gilt vor allem, wenn der in Not Geratene durch die verfahrensgegenständliche Tat u.a. eine Niere verloren hat.

BGH, Urt. v. 28.1.2021 – 3 StR 279/20

Befangenheit: Übergehen eines Akteneinsichtsgesuchs

Der Umstand, dass das Akteneinsichtsgesuch des Rechtsanwalts durch den Senat übergangen worden und es dennoch zu einer einstimmigen Zurückweisung der Beschwerde gekommen ist, kann jedenfalls dann, wenn – wie hier – mehrfach auf das offene Akteneinsichtsgesuch hingewiesen worden ist, einem Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der beteiligten Richter zu zweifeln.

BGH, Beschl. v. 29.1.2021 – Anwst (B) 4/20

Strafklageverbrauch: Bedrohung und folgende Vergewaltigung

Wird eine Tat aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt rechtskräftig abgeurteilt, können weitere Taten aus diesem Lebenssachverhalt nicht mehr verfolgt werden (hier: Bedrohung und Vergewaltigung).

BGH, Beschl. v. 19.1.2021 – 2 StR 458/20

Pflichtverteidiger: rückwirkende Bestellung

Zur rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers gibt es auch nach Umsetzung der Richtlinie 2016/1919/EU („PKH-Richtlinie“) durch das Gesetz zur Neureglung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 keinen Anlass.

OLG Braunschweig, Beschl. v. 2.3.2021 – 1 Ws 12/21

Beweisverwertungsverbot: abgehörtes Verteidigergespräch

Anhaltspunkte für den konkreten Verdacht i.S.d. § 160a Abs. 4 S. 1 StPO dürfen nicht allein aus der in Frage stehenden Ermittlungsmaßnahme erlangt werden.

LG Düsseldorf, Beschl. v. 15.2.2021 – 10 Qs 46/20

Verständigung: Mitteilungspflicht

Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen Beteiligten gestoßen sind.

BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – 2 StR 459/19

Psychosoziale Prozessbegleitung: Begriff des Verletzten

Verletzter i.S.v. § 406g Abs. 3 StPO ist auch ein Angehöriger eines bei einer rechtswidrigen Tat Getöteten.

OLG Celle, Beschl. v. 19.2.2021 – 2 Ws 51/21

Wiedereinsetzung: verspätetes Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung

Den Angeklagten trifft an seinem verspäteten Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung ein Verschulden, wenn er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen bei der Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel sowie bei der Einlasskontrolle im Gericht nicht einplant.

KG, Beschl. v. 15.1.2021 – 3 Ws 5/21

Berufungsverwerfung: öffentliche Zustellung der Ladung

Die Anordnung der öffentlichen Zustellung erfordert einen Gerichtsbeschluss, der – jedenfalls kurz – zu begründen ist. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht und hat die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge. Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung setzt im Falle eines Ladungsmangels auch bei öffentlicher Zustellung der Ladung voraus, dass der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen des Angeklagten war. Ein für das Ausbleiben nicht kausaler Ladungsmangel ist mit der Revision zu rügen.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2021 – III-2 RVs 5/21

Durchsuchung: Vollstreckungshaftbefehl

Die gerichtliche Anordnung der Freiheitsentziehung durch eine rechtskräftige Entscheidung umfasst alle Maßnahmen gegen den Verurteilten, die zur Verwirklichung des Strafausspruchs notwendig werden, mithin auch die Durchsuchung der Wohnung zwecks Ergreifung des – der Ladung zum Strafantritt nicht folgenden – Beschuldigten auf der Grundlage eines durch die Staatsanwaltschaft erlassenen Vollstreckungshaftbefehls; einer gesonderten richterlichen Durchsuchungsanordnung bedarf es insoweit nicht.

OLG Koblenz, Beschl. v. 4.3.2021 – 1 Ws 53/21

Dringender Tatverdacht: EncroChat

Schon die Verwendung eines Krypto-Handys der Fa. EncroChat deutet auf ein konspiratives Verhalten zur Begehung und Verdeckung von Straftaten hin und begründet „dringenden Tatverdacht“. Die von französischen Ermittlungsbehörden gewonnenen „EncroChat-Erkenntnisse“ und die darauf aufbauenden Beweisergebnisse sind in deutschen Strafverfahren verwertbar.

OLG Rostock, Beschl. v. 23.3.2021 – 20 Ws 70/21

Haftentschädigung: Höhe

Die Entschädigung für einen Tag unrechtmäßig erlittener Haft ist vor dem Hintergrund der zum 8.10.2020 in Kraft getretenen Änderung des § 7 Abs. 3 StrEG, wonach die Entschädigung für den Tag einer rechtmäßig angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 EUR (anstatt zuvor 40,00 EUR) beträgt, auf 100,00 EUR zu bemessen.

OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 Ws 67/20

Dauerstraftat: Zäsuwirkung bei der Trunkenheitsfahrt

Zu einer Zäsur der Dauerstraftat der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr wird es regelmäßig auch dann kommen, wenn ein alkoholbedingtes Unfallereignis nur deshalb keinen Unfall im Rechtssinne (§ 142 Abs. 1 StGB) darstellt, weil an dem gegnerischen Fahrzeug wegen Vorschäden keine zusätzliche Werteinbuße eingetreten ist. Fährt der Täter nach einem jedenfalls derart alkoholbedingten Zusammenstoß weiter, so wird dies regelmäßig aufgrund eines neuen Tatentschlusses des sich seiner Fahrunsicherheit nun bewusst gewordenen Fahrers geschehen.

KG, Beschl. v. 12.2.2021 – 3 Ss 5/21

Gefährliche Körperverletzung: Hinterlist

Hinterlistig ist ein Überfall, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Es muss also ein Überraschungsangriff beabsichtigt, die wahre Absicht verdeckt und der Überfall gezielt in einer für das Opfer überraschenden Weise durchgeführt werden. Hierfür genügen in der Regel das Entgegentreten mit vorgetäuschter Friedfertigkeit oder ein von Heimlichkeit geprägtes Vorgehen.

BGH, Beschl. v. 15.1.2020 – 3 StR 386/20

Raub: Zueignungsabsicht

Die Zueignungsabsicht im Sinn des § 249 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen Dritten erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines Dritten „einverleiben“ oder zuführen will. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Täter die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören“, „zu vernichten“, „preiszugeben“, „wegzuwerfen“, „beiseite zu schaffen“ oder „zu beschädigen“.

BGH, Beschl. v. 12.1.2021 – 4 StR 501/20

Volksverhetzung: Verwendung des „Judensterns“

Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Worts „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“, „AFD-Wähler“, „SUV-Fahrer“ und „Islamophob“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlichen geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB und stellt auch keine Beleidigung der unter nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Juden dar.

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.3. 2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Strafzumessung: nebelhafte Ausführungen

Die Erklärung des Tatgerichts, es habe einem Angeklagten sein Prozessverhalten „übelgenommen“, sich durch die obergerichtliche Rechtsprechung jedoch gehindert gesehen, dies strafschärfend zu berücksichtigen, lässt besorgen, dass das Unwerturteil rechtsfehlerhaft Eingang in die Strafzumessung gefunden hat.

KG, Beschl. v. 4.12.2020 – 3 Ss 79/20 –

Corona-VO: Zeitgesetz

Ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) liegt vor, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll. § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2.4.2020 erweist sich als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.

OLG Hamburg, Beschl. v. 17.2.2021 – 2 RB 69/20

Corona-VO: Begriff der Ansammlung

Eine Ansammlung i.S.d. 4. CoBeVo Rheinland-Pfalz erfordert ein gezieltes Zusammensein von Menschen an einem Ort um der kollektiven Ansammlung willen, was nicht schon bei jeder bloß zufällig gegebenen gleichzeitigen Anwesenheit von mehreren Menschen erfüllt ist.

OLG Koblenz, Beschl. v. 8.3.2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20

Corona-VO: Feststellungen zur Ansammlung

Der Tatrichter muss bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Zusammenkunfts- und Ansammlungsverbot gem. § 12 Abs. 1 CoronaSchVO NW i.d.F. vom 27.4.2020 Feststellungen treffen, die erkennen lassen, dass es sich nicht um eine von dem Verbot ausgenommene Ansammlung oder Zusammenkunft i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 CoronaSchVO NW i.d.F. vom 27.4.2020 handelt.

OLG Hamm, Beschl. v. 11.3.2021 – 4 RBs 57/21

Wirksamkeit der Zustellung: Heilung einer unwirksamen Zustellung

Im Falle einer unwirksamen Zustellung eines Bußgeldbescheids kann eine Heilung des Zustellungsmangels gem. § 8 VwZG auch durch den tatsächlichen Zugang einer technischen Reproduktion des Originaldokuments erfolgten. Ein von einem Dritten gefertigtes und über das Mobiltelefon weitergeleitetes Foto eines Bußgeldbescheids – hier mit WhatsApp – stellt eine technische Reproduktion des Originaldokuments dar und verschafft dem Betroffenen zuverlässig Kenntnis über den Inhalt des zuzustellenden Dokuments.

OLG Celle, Beschl. v. 10.3.2021 – 2 Ss (OWi) 348/20

Umsatzsteuer: unterschiedliche Umsatzsteuersätze

Entscheidend für die Anwendung eines Umsatzsteuersatzes ist der Zeitpunkt der Erledigung des anwaltlichen Auftrags. Der Auftrag des Verteidigers endet i.d.R. mit der Erreichung des Rechtsschutzziels.

LG Itzehoe, Beschl. v. 18.2.2021 – 2 Qs 209/20

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