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Sicherstellung eines Mobiltelefons in der Hauptverhandlung

Die Sicherstellung eines Mobiltelefons zum Zwecke der Auswertung mit dem Ziel festzustellen, ob unerlaubte Aufnahmen in der Hauptverhandlung gefertigt worden sind, ist von der Befugnis zu sitzungspolizeilichen Maßnahmen gem. § 176 GVG nicht gedeckt. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.3.2021 – 1 Ws 81/21

I. Sachverhalt

Durch sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der Strafkammer wurde das Mobiltelefon des Angeklagten sichergestellt, nachdem sich nach Urteilsverkündung und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung ein Zuschauer gemeldet und mitgeteilt hatte, dass der Angeklagte zuvor mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen im Sitzungssaal gefertigt habe. Der Vorsitzende hat seine Anordnung damit begründet, dass überprüft werden solle, ob der Angeklagte Bild-, Audio- und/oder Videoaufnahmen von der Hauptverhandlung und daran Beteiligter gefertigt habe. Der Angeklagte händigte sein Mobiltelefon aus, erklärte aber, den Entsperrcode jetzt nicht angeben zu können. Der Vorsitzende leitete das Mobiltelefon an die Staatsanwaltschaft weiter mit der Bitte um Auswertung dahingehend, ob sich Bild-, Video- und/oder Audiodateien der Hauptverhandlung darauf befinden. Die Auswertung ist zwischenzeitlich erfolgt.

Der Verteidiger des Angeklagten hat gegen die Sicherstellung Beschwerde eingelegt. Diese hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Zwar können sitzungspolizeiliche Maßnahmen grundsätzlich nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Ausnahmsweise ist die Beschwerde aber zulässig, wenn der Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des Betroffenen beeinträchtigt werden (KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 176 GVG Rn 7 m.w.N.). Dies ist hier angesichts der erst zum Ende der Hauptverhandlung nach der Urteilsverkündung erfolgten Sicherstellung des Mobiltelefons, das zur weiteren Auswertung an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde, der Fall.

Die Beschwerde hatte auch in der Sache Erfolg. Das OLG führt aus: Die sitzungspolizeiliche Gewalt des Vorsitzenden nach § 176 GVG bezwecke die Wahrung der Ordnung in der Sitzung und ermächtigt ihn zu Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern (KK-StPO/Diemer, a.a.O., § 176 GVG Rn 1). Sie erfasse in zeitlicher Hinsicht über die eigentliche Hauptverhandlung i.S.v. § 169 GVG hinaus auch die Zeitspannen davor und danach, in denen mit der Sache zusammenhängende Angelegenheiten abgewickelt werden sowie die Verfahrensbeteiligten und Zuhörer üblicherweise den Sitzungssaal betreten oder verlassen, einschließlich der Sitzungspausen (BeckOK-GVG/Allgayer, 9. Ed. 15.11.2020 Rn 1, GVG § 176 Rn 1).

Danach könne im Rahmen der sitzungspolizeilichen Anordnung beispielsweise einem Störer das Fotografieren untersagt und erforderlichenfalls der Fotoapparat bis zum Schluss der Sitzung weggenommen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 176 GVG Rn 7 m.w.N.). Die Sicherstellung eines Mobiltelefons über das Ende der Hauptverhandlung hinaus stelle demgegenüber keine sitzungspolizeiliche Maßnahme mehr da, da diese nicht dem Zweck diene, einen störungsfreien und gesetzmäßigen Sitzungsablauf zu gewährleisten (so auch: LG Landau, Beschl. v. 14.11.2017 – 5 Qs 19/17). So verhält es sich jedoch hier. Die Maßnahme habe erkennbar dem Zweck gedient, das Speichermedium des Mobiltelefons nach Schluss der Hauptverhandlung daraufhin auswerten zu lassen, ob der Angeklagte verbotene und ggf. etwa nach §§ 33 Abs. 1, 22 KunstUrhG strafbare Aufnahmen gefertigt hat, und sei demzufolge durch die sitzungspolizeilichen Befugnisse nicht gedeckt. Eine Beschlagnahmeanordnung nach § 94 Abs. 1 StPO komme als Grundlage der Sicherstellung ebenfalls nicht in Betracht, da der Vorsitzende der Berufungskammer zu einer solchen nicht befugt gewesen sei; die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts zur Beschlagnahme gem. § 98 Abs. 1 StPO beschränke sich auf Beweisgegenstände, die das anhängige Strafverfahren betreffen (KK-StPO/Greven, 8. Aufl. 2019, StPO § 98 Rn 7). Die Anordnung sei daher aufzuheben.

III. Bedeutung für die Praxis

M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Die vom OLG vorgenommene Abgrenzung der Zuständigkeit des Vorsitzenden entspricht der ihm in § 176 GVG eingeräumten Sitzungsgewalt. M.E. hätte hier der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme des Mobiltelefons beantragen müssen (§§ 94, 98 StPO). Dem entspricht der Hinweis des OLG, dass darauf verweist, dass soweit der Verdacht einer Straftat bestehe, es der Staatsanwaltschaft unbenommen bleiben, einen Beschlagnahmebeschluss des zuständigen Ermittlungsrichters zu beantragen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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