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Rechtsprechungsübersicht zu den Körperverletzungsdelikten

Diese Übersicht der neueren Rechtsprechung zu den Körperverletzungsdelikten schließt an die Beiträge in StRR 11 und 12/2018, 5 an. Berücksichtigung fanden Entscheidungen bis Mai 2021.

I.Körperverletzung, § 223 StGB

Dass die Drohung mit einer Gaspistole im Rahmen eines Raubgeschehens beim Opfer zu – psychisch vermittelten – physischen Folgen führt, die als Gesundheitsbeschädigung i.S.v. § 223 StGB einzuordnen sind, und der Täter mit dieser Möglichkeit gerechnet und sie billigend in Kauf genommen hat, versteht sich nicht von selbst. Es bedarf vielmehr der näheren Begründung, warum in einem solchen Fall von einem Vorsatz hinsichtlich der psychisch vermittelten gesundheitlichen Auswirkungen, in diesem Falle von muskulären Verspannungen beim Opfer in Folge der Bedrohung, auszugehen ist (BGH NStZ-RR 2020, 212 f.)

II.Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB

1. Gefährliches Werkzeug, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Im Berichtszeitraum finden sich mehrere Entscheidungen, die sich mit dem Klassiker des „beschuhten Fußes“ beschäftigen.

So führt der 5. Strafsenat des BGH die Rechtsprechung fort, wonach sich die Gefährlichkeit schon aus der Beschaffenheit des Schuhs oder aus der konkreten Art seiner Verwendung ergeben könne. Auch ein Straßenschuh ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug anzusehen, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird, da durch die Bewehrung des Fußes stärkeren Tritten Vorschub geleistet werde (NStZ-RR 2019, 345).

Zum gleichen Ergebnis kommt das OLG Oldenburg: Schuhe kommen als gefährliche Werkzeuge in Betracht, je nach Art des Einsatzes neben festen, schweren Schuhen auch gewöhnliche Straßen- und handelsübliche Turnschuhe. Hinsichtlich Letzterer wird ein gefährlicher Einsatz im Allgemeinen dann bejaht, wenn mit dem beschuhten Fuß gegen einen besonders empfindlichen Körperteil, wie zum Beispiel Gesicht, Kopf, Bauch oder die Genitalien, getreten wird (StraFo 2019, 217 f.)

Anders liegt der Fall nach Auffassung des HansOLG in Bremen bei einem Schlag mit einem in der flachen Hand gehaltenen Mobiltelefon, da hiermit nach Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung eine Eignung zur Herbeiführung erheblicher Körperverletzungen nicht festzustellen sei. Anderes könne gelten, wenn der Schlag mit einer Ecke oder Kante des Telefons ausgeführt wurde (StV 2020, 320).

Nach herrschender Rechtsprechung muss die Verletzung außerdem unmittelbar durch ein von außen einwirkendes gefährliches Werkzeug verursacht werden. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die Verletzung also auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen sein. Verletzungen, die erst durch ein anschließendes Sturzgeschehen oder eine Ausweichbewegung des Tatopfers verursacht worden sind, genügen insoweit nicht (BGH NStZ-RR 2020, 281).

Bringt der Täter sein Opfer während eines Videochats dazu, sich lebensgefährliche Stromschläge zuzufügen, indem er vortäuscht, als Arzt eine wissenschaftliche Studie durchzuführen, und vorgibt, dass durch eine Versuchsteilnahme keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten sei, nimmt er nicht – straflos – an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung teil, sondern übt die Tatherrschaft aus und ist somit mittelbarer Täter eines Tötungs- und Körperverletzungsdelikts kraft überlegenen Sachwissens. Allerdings stelle das Stromkabel im skizzierten Sachverhalt selbst kein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, denn seine Gefährlichkeit beruhe auf der Stromspannung und dem – bei Auflegen auf den Körper – folgenden Stromfluss. Der fließende Strom kann jedoch nicht unter den Begriff „Werkzeug“ subsumiert werden (LG München II JuS 2020, 987 f.)

In Strafverfahren vor dem LG Bochum hatte die Angeklagte, die weder approbierte Ärztin noch zugelassene Heilpraktikerin war, nicht fachgerechte Injektionen eines Hyaluronsäurepräparats zur Unterspritzung von Lippen durchgeführt. Dies erfülle den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs, denn die verwendeten Fertigspritzen seien geeignet, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Zwar seien ärztliche Gerätschaften im Rahmen ihrer regulären und bestimmungsgemäßen Anwendung nicht als gefährliches Werkzeug anzusehen (BGH NJW 1987, 2946), dieser Grundsatz finde aber keine Anwendung auf Fälle, in denen der Täter die erforderliche Zulassung zu Heilberufen nicht innehabe.

Mit der gleichen Begründung sah das LG auch die von den Patientinnen erteilten Einwilligungen als unwirksam an, da diese auf einer Täuschung über die berufliche Qualifikation der Angeklagten beruhten (LG Bochum PStR 2020, 145 f.).

2. Hinterlistiger Überfall, § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung „mittels eines hinterlistigen Überfalls“ setzt die Ausnutzung eines Überraschungsmoments durch planmäßiges Verbergen der Verletzungsabsicht voraus, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen.

Der 2. Strafsenat des BGH verneinte dies in einem Fall, in dem der Täter, der sich durch List Zutritt zur Wohnung verschafft hat, das Opfer später offen angriff. Der besondere Unrechtsgehalt der Tatbestandsvariante resultiere gerade daraus, dass der Angriff für das Opfer völlig unvorhergesehen komme (BGH NStZ 2020, 42 f.).

3. Lebensgefährdende Behandlung, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

In einer Entscheidung zu der Strafvorschrift des § 96 AufenthG (Einschleusen von Ausländern) führte der 1. Strafsenat des BGH aus, dass die dortige Tatbestandsalternative des Abs. 2 S. 1 Nr. 5, die eine erhöhte Strafdrohung für Fälle vorsehe, in denen die Geschleusten einer das Leben gefährdenden Behandlung (1. Alt.) ausgesetzt werden, mit derjenigen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gleichbedeutend ist. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn die Behandlung, der der Geschleuste während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen, eine konkrete Lebensgefahr muss noch nicht eingetreten sein.

Der BGH bejahte dies in seiner Entscheidung angesichts der Feststellungen, wonach die Fahrt rund 20 Stunden dauerte, auf der nur durch eine Plane bedeckten Lkw-Ladefläche Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt herrschten und das zur Tarnung geladene, schwere Frachtgut nicht gesichert war.

Die 3. Tatbestandsalternative, die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung, sah der BGH demgegenüber als nicht erfüllt an. Diese setze voraus, dass die Sicherheit des Geschleusten nach objektiv-nachträglicher Prognose so stark beeinträchtigt sei, dass das Eintreten oder Ausbleiben einer schweren Gesundheitsschädigung nur noch vom Zufall abhänge. Anders als bei der 1. Alt. müsse eine ausreichend konkrete Gefahr vorgelegen haben, was nach den Feststellungen nicht der Fall gewesen sei (BGH NStZ 2020, 677 ff.; BGHR AufenthG § 96 Abs. 2 Nr. 5 Lebensgefährdung 1).

In einer weiteren Entscheidung befasste sich der 4. Strafsenat des BGH mit einem Fall, in dem der Angeklagte das Opfer durch Abbremsen von der Motorhaube abgeschüttelt hatte, mit den erforderlichen Urteilsfeststellungen für eine lebensgefährdende Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.

Der BGH entschied unter Berücksichtigung seiner ständigen Rechtsprechung, dass die Tathandlung nicht zwingend zu einer konkreten Lebensgefahr führen müsse, aber unter den konkreten Umständen des Einzelfalls generell geeignet gewesen sein müsse, eine Lebensgefahr zu begründen. Eine abstrakte Lebensgefahr verstehe sich angesichts der nur geringen Verletzungen des Opfers nicht von selbst, weil das Urteil keine Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit enthalte. Die Tatsache, dass er das Fahrzeug nach dem Abwurf des Geschädigten sogleich zum Stillstand abbremste, könne dafür sprechen, dass die Anfahr- und Abwurfgeschwindigkeit gering gewesen sei.

Auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite monierte der BGH das Urteil des LG. Für den Körperverletzungsvorsatz sei neben dem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkenne, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns für das Leben des Opfers ergebe. Dabei müsse der Täter sie nicht als solche bewerten, jedoch müsse die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein. Im Urteil sei nicht dargetan, dass der Angeklagte über eine einfache Körperverletzung hinaus eine potentielle Gefährdung des Lebens des Tatopfers erkannte und billigte. Angesichts der rudimentären Feststellungen zum Unfallhergang (Aufprall-/Abwurfgeschwindigkeit) und angesichts der festgestellten eher geringen Verletzungsfolgen hätte es der näheren Erörterung zum Vorstellungsbild des Angeklagten bedurft (NStZ 2021, 107 f.; StV 2021, 118 f.).

III.Misshandlung von Schutzbefohlenen, § 225 StGB

In zwei kurz aufeinanderfolgenden Entscheidungen führt der 4. Strafsenat die BGH-Rechtsprechung zum „Quälen“ i.S.v. § 225 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB fort.

Danach bedeute Quälen das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand erfüllten, könnten als ein Quälen zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmache. Ob sich mehrere Körperverletzungshandlungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung in diesem Sinne zusammenfügen, sei aufgrund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei seien räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren.

In dem einen Fall beanstandete der BGH, dass das LG zwar eine „Vielzahl“ von Misshandlungen festgestellt habe, es habe aber angesichts des Tatzeitraums von drei Jahren und drei Monaten nicht ausreichend erörtert, ob und inwieweit fehlende zeitliche Dichte – es lagen teils mehrere Monate zwischen den Misshandlungen – der Annahme einer einzigen Tathandlung des Quälens entgegenstünden (StV 2020, 119 f.).

Zur subjektiven Tatseite weist der BGH darauf hin, dass der Umstand, dass der Angeklagte das „Bestrafungssystem“ für seine Kinder erst „im Laufe der Zeit entwickelt“ habe, dagegen spreche, dass der Angeklagte bereits bei der ersten Verletzungshandlung mit dem bedingten Vorsatz handelte, seine Kinder zu quälen (StV 2021, 119 f.).

Andererseits hatte der BGH an einem Urteil, in dem das LG fast tägliche Misshandlungen über einen Zeitraum von drei Monaten festgestellt hatte, nichts zu beanstanden, da das Urteil auch ausreichende Ausführungen zum bedingten Vorsatz der Angeklagten enthielt (NStZ-RR 2021, 174).

Demgegenüber hat LG Neuruppin in einem Berufungsurteil aus dem Jahr 2019 den bedingten Vorsatz des Quälens verneint. Dort hatte eine Erzieherin ein Kind mehrfach im Bett fixiert, um das Einhalten der Mittagsruhe durchzusetzen.

Die allein in Betracht kommenden Leiden seelischer Art, die durch die Beklemmungen unter der fixierten Decke entstanden seien, gingen für jeden Einzelfall betrachtet nicht über das durchschnittliche Maß hinaus und seien daher jeweils nicht als erheblich einzustufen. Insoweit sei zu bedenken, dass der Junge zum Teil trotz seines Unbehagens eingeschlafen sei. Von einem tatbestandlich erforderlichen überdurchschnittlichen, länger andauernden Leiden war nicht auszugehen und dieses war jeweils auch nicht vom Vorsatz der Angeklagten umfasst. Vielmehr stellen sich die einzelnen Taten gerade nicht als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen dar, sondern als eine jeweils situationsabhängige Reaktion auf das unterschiedliche Verhalten des Kindes, deren Wiederholung eben nicht auf einem Gesamtplan beruhte (12 Ns 2/19, bei juris).

Das LG Essen sah die Tatbestandsalternative der rohen Misshandlung in einem Fall als erfüllt an, in dem ein Kleinkind in einem nicht belüfteten Raum, in dem Temperaturen von über 30° C herrschen, mit weniger als einem halben Liter Flüssigkeit für viele Stunden eingesperrt worden war, denn dies stellte eine üble, unangemessene Behandlung dar, durch die nicht nur das seelische, sondern auch das körperliche Wohlbefinden des Kindes erheblich beeinträchtigt und eine Schädigung der Gesundheit hervorgerufen werden könne (22 Ks – 70 Js 361/19 – 20/19, 22 Ks 20/19, bei juris).

IV.Schwere Körperverletzung, § 226 StGB

Der 5. Strafsenat des BGH hatte sich mit dem Merkmal der „geistigen Krankheit“ als schwere Folge der Körperverletzung auseinanderzusetzen.

Ein bei dem Geschädigten verursachtes schweres hirnorganisches Psychosyndrom mit u.a. Orientierungsstörungen, einer Störung der Aufmerksamkeit sowie von Konzentrations- und Merkfähigkeit unterfalle unstreitig diesem Merkmal. Die schweren Folgen müssten nach ständiger Rechtsprechung aber von „längerer Dauer“ sein, wobei dies nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen sei, es genüge, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – Krankheitszustands nicht abgesehen werden könne. Andererseits komme es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Deswegen ließ der BGH das Urteil des LG insoweit unbeanstandet, dort waren in den fünf Monaten seit der Tat erhebliche Behandlungsfortschritte beim Geschädigten festgestellt worden und weitere Verbesserungen nach Einschätzung des Sachverständigen sicher zu erwarten (StV 2020, 83 ff.).

Zwar kann der Qualifikationstatbestand im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben oder bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion zu bejahen sein, wenn dabei ein Grad an Verunstaltung der äußeren Gesamterscheinung erreicht wird, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt. Der 3. Strafsenat sah § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB im Falle einer Narbe von ca. 25 cm Länge am Bauch des Opfers als nicht erfüllt an (NStZ 2020, 136 ff.) und verwies auf ältere Senatsrechtsprechung (BGHR StGB § 226 Entstellung 1; StV 2006, 233, dort: Narben an Unterschenkel und Kniekehle).

V.Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB

Das LG Krefeld war mit einem Verfahren befasst, in dem ein Heilpraktiker bei der Zubereitung zugelassener Arzneimittel den Wirkstoff fahrlässig stark überdosiert hatte, was zum Tod dreier Patientinnen führte.

Zur Frage des bedingten Körperverletzungsvorsatzes bei § 227 StGB führte die Schwurgerichtskammer aus, es fehle an dem für die Annahme des Vorsatzes notwendigen voluntativen Element, denn es konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte eine Körperverletzung der verstorbenen Patientinnen wollte bzw. billigend in Kauf nahm. Die Annahme, dass die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Behandler nicht am Wohl des Patienten orientiert gewesen sei, liegt auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes/Heilpraktikers häufig fern, so dass die ausdrückliche Erörterung der Frage, ob dieser den Patienten vorsätzlich an Leben oder Gesundheit geschädigt hat, nur unter besonderen Umständen geboten sei. Eine objektiv festgestellte schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht führt nicht automatisch zu der Annahme, dass ein Behandler bei der objektiv grob fehlerhaften Behandlung mit Körperverletzungs- oder gar Tötungsvorsatz gehandelt hat. Ein Indiz für das Fehlen des erforderlichen voluntativen Elementes ist vielmehr anzunehmen, wenn das Verhalten des Behandlers nachdrücklich darauf schließen lässt, dass er den Ernst der Lage völlig verkannt hat. Dem folgend erkannte das LG lediglich auf (u.a.) fahrlässige Tötung in drei Fällen (MedR 2020, 290 f.; medstra 2021, 51 ff.).

VI.Einwilligung, § 228 StGB

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit als Körperverletzung zu bewerten, auch wenn er in heilender Absicht erfolgt. Selbst ein im Einklang mit den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommener Eingriff erfüllt den Straftatbestand. Er kann nur durch wirksam erklärte oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten gerechtfertigt werden.

Der 2. Strafsenat des BGH hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem ein Pfleger einem Sterbenden eine höhere als vom Arzt verordnete Dosis Morphin zur Schmerzlinderung injiziert hatte. Das LG hatte die Tat als nicht von der Einwilligung des Patienten gedeckt angesehen.

Dies beanstandete der BGH, das LG habe fehlerhaft die Prüfung einer mutmaßlichen Einwilligung unterlassen, weil es aus der bewussten Umgehung bzw. eigenmächtigen Erweiterung einer ärztlichen Verordnung durch den Angeklagten als Nichtarzt eine generelle Unmöglichkeit der Rechtfertigung der Körperverletzung durch (mutmaßliche) Einwilligung abgeleitet habe. Beim Sterben eines unheilbar Kranken, dem unmittelbar vor dem Tod nur noch durch Schmerzbekämpfung geholfen werden kann, bestehe aber eine besondere Ausnahmesituation. Trete deshalb der Gesichtspunkt des Handelns aufgrund einer ärztlichen Verordnung in den Hintergrund, schließe die Eigenschaft des Handelnden als Nichtarzt oder sein Handeln unter Abweichung von einer ärztlichen Anordnung die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch mutmaßliche Einwilligung nicht zwingend aus (StV 2021, 115 ff.).

In einem ähnlich gelagerten Fall beschäftigte sich wiederum der 2. Strafsenat mit der Frage, ob die Körperverletzung infolge Sittenwidrigkeit eben nicht durch Einwilligung gerechtfertigt gewesen sei. In der umfangreich begründeten Entscheidung, die sich mit gesetzgeberischen Intentionen des Betäubungsmittelstrafrechts sowie zivilrechtlichen Regelungen zur Einwilligung (§ 630d BGB) befasste, vermisste der BGH eine umfassende Auseinandersetzung mit allen für den mutmaßlichen Patientenwillen gewichtigen Umständen. Zwar gehöre die Beachtung ärztlicher Anordnungen im Regelfall zu dem, was als gemeinhin vernünftig anzusehen sei. Jedoch könne beim eigentlichen Sterbevorgang unmittelbar vor dem Tod auch die Schmerzbekämpfung mit allen verfügbaren und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Mitteln als vernünftig und deshalb dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprechend anzusehen sein (BGHSt 64, 69 ff.; StV 2020, 296 ff.)

Im Kontext einer Schlägerei, bei der ein Beteiligter zu Tode kam, stellte der 1. Strafsenat klar, dass die bei einem verabredeten Zweikampf begangenen Körperverletzungen nicht rechtswidrig seien, wenn die Kontrahenten stillschweigend davon ausgegangen waren, dass es im Rahmen des Zweikampfs zu Faustschlägen in das Gesicht und gegen den Kopf mit entsprechenden Verletzungen kommen würde, und sie zumindest stillschweigend und wirksam in solche Körperverletzungshandlungen eingewilligt hätten. Auch 15-jährige Jugendliche könnten in diesem Umfang über das Rechtsgut ihrer körperlichen Unversehrtheit disponieren und seien in diesem Alter in der Regel auch einwilligungsfähig (StRR 12/2020, 28 ff.; StV 2021, 117).

Rechtsanwalt Christian Lorenz, Berlin

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