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Rechtsprechungsübersicht: Verständigung in Strafverfahren (2017–2020)

I.Grundlagen

Das BVerfG hat das VerständigungsG vom 29.7.2009 (BGBl I, S. 2353), in Kraft getreten am 4.8.2009, in seinem Grundsatzurteil vom 19.3.2013 (BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058 = StRR 2013, 179 [Deutscher]) für verfassungsgemäß erachtet, allerdings Vollzugsdefizite in der Praxis konstatiert, strenge Vorgaben für Verständigungen und die Mitteilungspflicht sowie deren revisionsrechtliche Beurteilung aufgestellt und informelle Absprachen für unzulässig erklärt. Darauf aufbauend hat es die Anforderungen an die Beruhensprüfung bei der Revision konkretisiert und verschärft (NJW 2015, 1235 = NStZ 2015, 170; NStZ 2015, 172 m. Anm. Knauer/Pretsch, Bespr. Deutscher, StRR 2015, 88). Dabei wird betont, dass die Mitteilungspflicht nicht nur die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten schützen, sondern auch die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten soll. In der Folge hat sich zu den verschiedenen Fragen eine umfangreiche Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte entwickelt (s. die Rechtsprechungsübersichten von Deutscher, StRR 2014, 288; StRR 3/2017, 4; ZAP Fach 22 R, 931; Krawczyk/Schüler, StRR 2014, 284). Seither ist die Frequenz einschlägiger Entscheidungen kleiner geworden. Die für die Praxis wesentlichen Fragen scheinen geklärt. Hier wird im Anschluss an die Übersicht in StRR 3/2017, 4 die Rechtsprechung zu Fragen der Verständigung seit 2017 bis Ende 2020 dargestellt.

Hinweis

Als Gesamtdarstellung wird verwiesen auf die beiden Werke von Burhoff, Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 107 ff. und Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019, Rn 181 ff. Grundwissen zur Verständigung bei Rönnau, JuS 2018, 114. Rechtsprechungsübersichten bei Metz, NStZ-RR 2019, 161 und fortlaufend bei Bittmann (zuletzt ZWH 2019, 201). Zur Zukunft der Verständigung in Strafsachen Jahn, StraFo 2021, 48.

II.Materiell: Gegenstand, Zustandekommen und Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c StPO)

1. Gegenstand der Verständigung (§ 257c Abs. 2 StPO)

a) Materielles Recht

Nach § 257c Abs. 2 S. 3 StPO dürfen der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht Gegenstand einer Verständigung sein. Das BVerfG hat in seiner Grundsatzentscheidung die Ansicht vertreten, eine Verständigung über die Vornahme oder das Unterlassen einer Strafrahmenverschiebung wegen des Vorliegens eines besonders schweren oder eines minder schweren Falles sei wie eine unzulässige Verständigung über den Schuldspruch einzustufen (BVerfGE 133, 168 Rn 74). Der BGH (NStZ 2017, 363 m. Anm. Bittmann) meint hingegen, dies sei mit strafrechtsdogmatischen Grundsätzen kaum in Einklang zu bringen, da es sich um den Bereich der Strafzumessung und damit der Rechtsfolge handelt (früher bereits BGH NStZ 2013, 540 = StRR 2013, 343 [Deutscher]: s.a. BGH NStZ 2017, 52 m. Anm. Claus = StRR 5/2017, 11 [Deutscher]). Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann auch im Rahmen einer „Gesamtwürdigung“ nicht Gegenstand einer Verständigung sein (BGH VRS 139, 331). Die Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB gehört nicht zu den einer Verständigung zugänglichen Rechtsfolgen gemäß § 257c Abs. 2 StPO. Denn die Entscheidung steht nicht im Ermessen des Gerichts, sondern ist zwingend vorgeschrieben. Zwingende Maßnahmen der Vermögensabschöpfung sind als solche einer Verständigung nicht zugänglich (BGH NStZ 2018, 366 = StRR 6/2018, 13 [Burhoff

Hinweis

Da die bußgeldrechtliche Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 29a OWiG nicht zwingend ist („kann“), ist diese einer Verständigung zugänglich (Deutscher, VRR 8/2019, 4, 9 und in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1101).

b) Verfahrensrecht

Gegenstand einer Verständigung kann über den Wortlaut des § 257c Abs. 2 S. 1 StPO hinaus auch eine Verfolgungsbeschränkung nach § 154 StPO sein, soweit sich diese auf eine andere bei demselben Gericht anhängige Tat bezieht und somit innerhalb der Kompetenz des Gerichts liegt (BGH NStZ-RR 2017, 350 = StraFo 2017, 456; BGH NStZ 2018, 49 m. Anm. Bittmann = StraFo 2017, 504; BGH NStZ 2019, 684 m. Anm. Bittmann = StraFo 2019, 504 = StRR 2/2020, 13 [BurhoffEckstein, NStZ 2017, 609). Allerdings ist es unzulässig, Absprachen über den Schuldspruch, etwa durch die Zusage des Einstellens wesentlicher Tatteile nach § 154a StPO, zum Gegenstand einer Verständigung zu machen (BGH NStZ 2017, 244 m. Anm. Bittmann). Eine teilweise Berufungsrücknahme in Form einer nachträglichen Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch kann Gegenstand einer Verständigung sein (OLG Brandenburg NStZ 2020, 759; a.A. wohl OLG Jena StV 2019, 838). Eine vollständige, verfahrensübergreifende Rechtsmittelrücknahme soll als Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten gem. § 257c Abs. 2 S. 1 Alt. 3 StPO gelten und damit ohne Bruch mit dem verfassungsgerichtlichen Verbot von verfahrensübergreifenden Gesamtlösungen zum Gegenstand einer Verständigung gemacht werden können (OLG Hamburg NStZ 2017, 307 m. abl. Anm. Bittmann, zw.).

2. Zustandekommen der Verständigung (§ 257c Abs. 3 und 5 StPO)

Die nach § 257c Abs. 5 StPO vorgeschriebene Belehrung des Angeklagten im Rahmen einer Verständigung muss nicht nur vor seinem Geständnis, sondern bereits vor seiner Zustimmung zu der Verständigung erfolgen. Der Angeklagte muss vor ihrem Zustandekommen bereits bei Unterbreitung eines Verständigungsvorschlags über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt werden (BGH NStZ 2019, 169 = StraFo 2019, 163; BGH StV 2019, 380). Das gilt auch, wenn der Verteidiger bereits vor dem Verständigungsvorschlag des Gerichts eine geständige Einlassung in Aussicht gestellt hat (BGH NStZ-RR 2017, 120 Ls.). Ein Angeklagter muss vor einer Verständigung, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden (BGH NStZ 2018, 420 = StraFo 2018, 389). Eine verspätete Belehrung (dazu BGH NStZ-RR 2019, 27 = StRR 4/2019, 10 [Burhoff]) kann durch rechtsfehlerfreie Wiederholung geheilt werden. Dafür bedarf es eines ausdrücklichen Hinweises auf den Belehrungsfehler und auf die daraus folgende gänzliche Unverbindlichkeit der Zustimmung des Angeklagten sowie einer Nachholung der versäumten Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO und der erneuten Einholung einer nunmehr verbindlichen Zustimmungserklärung (BGH NStZ-RR 2017, 151). Die Zustimmung des Angeklagten zu einem vom Gericht in der Hauptverhandlung unterbreiteten Verständigungsvorschlag muss schon wegen der Bindungswirkung ausdrücklich erfolgen. Eine nur konkludente Erklärung reicht nicht aus (BGH NStZ 2019, 688 m. Anm. Kudlich = StraFo 2019, 467). Eine vor der Aussetzung der Hauptverhandlung zustande gekommene Verständigung verliert ihre Bindungswirkung. Darüber und über die Unverwertbarkeit seiner damaligen verständigungsbedingten Einlassung ist der Angeklagte bei Neubeginn der Hauptverhandlung zu belehren. Die in der ausgesetzten Hauptverhandlung erfolgte Belehrung reicht nicht aus (BGH NStZ 2019, 483 = StraFo 2019, 334).

3. Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO)

a) Widerruf der Zustimmung

Nach Zustandekommen einer Verständigung durch Zustimmung des Angeklagten und der StA zu dem Vorschlag des Gerichts (§ 257c Abs. 3 S. 4 StPO) kann die StA diese nachträglich nicht wieder einseitig zu Fall bringen. Die durch eine zustande gekommene Verständigung eingetretene Bindungswirkung entfällt weder durch den „Widerruf“ der StA noch kraft Gesetzes, vielmehr bedarf es dazu einer Entscheidung durch das Tatgericht, wenn und soweit es die Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 S. 1 oder 2 StPO bejaht. Ein Entfallen der Bindungswirkung der Verfahrensabsprache setzt zudem weiter voraus, dass das Gericht wegen der veränderten Beurteilungsgrundlage bzw. wegen des Abweichens des Angeklagten von dem erwarteten Prozessverhalten zu der Überzeugung gelangt, dass die in Aussicht gestellte Strafober- oder Strafuntergrenze (§ 257c Abs. 3 S. 2 StPO) nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Eine Lösung von der Verständigung kann nur gerechtfertigt sein, wenn das später gezeigte tatsächliche Prozessverhalten des Angeklagten aus der Sicht des Gerichts der Strafrahmenzusage die Grundlage entzieht (BGH NStZ 2017, 373 = StraFo 2017, 110 = StRR 5/2017, 12 [Deutscher]).

b) Gescheiterte Verständigung

Das Geständnis aus einer gescheiterten Verständigung unterliegt der Disposition des Angeklagten. Deshalb ist es ihm bei Abschluss einer neuen Verständigung unbenommen, auf sein ursprüngliches Geständnis auch konkludent zurückzugreifen. In dem formgerechten Abschluss einer zweiten Verständigung kann daher die konkludente Erklärung des Angeklagten liegen, das Gericht möge sein Geständnis aus der zuvor gescheiterten Verständigung zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Das Verwertungsverbot aus § 257a Abs. 4 S. 3 StPO betrifft nur diejenigen Fälle, in denen es nach dem Scheitern einer Verständigung unter den Voraussetzungen des § 257c Abs. 4 S. 1 und 2 StPO zu keiner neuen Verständigung kommt, bei der ein Angeklagter erneut ein gleichlautendes Geständnis ablegen möchte (BGH, Beschl. v. 29.6.2017 – 5 StR 226/17, juris). Außerhalb einer Verständigung gem. § 257c StPO besteht keine Bindung des Tatgerichts an den von ihm für den Fall des Zustandekommens einer Absprache in Aussicht gestellten Strafrahmen (BGH NStZ 2018, 419). Erst recht muss es nicht die dort angesprochene Strafuntergrenze einhalten (BGH NStZ 2018, 232 m. Anm. Schneider = StRR 1/2018, 10 [Burhoff]).

c) Auswirkungen auf dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO)

Der Abschluss einer Verständigung schließt die Pflicht zur Amtsermittlung nicht aus. Ein aufgrund einer Verständigung abgelegtes Geständnis ist anhand von Beweismitteln auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Strengere Anforderungen als bei einem in herkömmlicher Verfahrensweise abgegebenen Geständnis sind an die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses und deren Darlegung im Urteil aber nicht zu stellen (BGH NStZ 2017, 173). In die Würdigung einer entscheidungserheblichen Aussage eines Tatbeteiligten muss in der Regel eine vorangegangene Verständigung in dem gegen ihn wegen desselben Tatkomplexes durchgeführten Verfahren – unabhängig davon, ob es Teil des Verfahrens gegen den Angeklagten oder formal eigenständig ist – erkennbar einbezogen werden. Das gilt auch, wenn die Angaben nicht denselben Tatkomplex betreffen, aber von wesentlicher indizieller Bedeutung für die Würdigung des einzigen Belastungszeugen sind und es besondere verfahrensrechtliche Anhaltspunkte für die Gefahr einer falschen Einlassung gibt. Hiervon ist dann auszugehen, wenn im Rahmen der Verfahrensverständigung ein nicht aus sich selbst heraus nachvollziehbarer Wechsel der Einlassung vollzogen wird und dies dazu führt, dass eine dritte Person, hier der Angeklagte, dadurch faktisch belastet wird (BGH NStZ-RR 2019, 226 = StRR 10/2019, 11 [Burhoff]). Auch wenn der Angeschuldigte eine Verständigung nach § 257c StPO erstrebt, ist das Gericht nicht verpflichtet, schon vor Erstellung des Gutachtens mit der Hauptverhandlung zu beginnen, da das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21, 64 StGB vor einer Verständigung festzustellen und nicht disponibel ist (OLG Nürnberg, Beschl. v. 3.4.2018 – 1 Ws 104/18 H, juris).

III.Formell: Mitteilungs- und Dokumentationspflichten (Transparenzgebot; § 243 Abs. 4 StPO u.a.)

1. Verständigungsbezogene Gespräche

Mitteilungspflichtig sind Gespräche, die als Vorbereitung einer Verständigung in der Hauptverhandlung verstanden werden können, wenn also ausdrücklich oder konkludent Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gesetzt werden („synallagmatischen Verknüpfung“). Die Abgrenzung zu Gesprächen, die ausschließlich organisatorische und verfahrenstechnische Fragen zum Gegenstand haben, oder zu unverbindlichen Rechtsgesprächen ist fließend und daher schwer und nur im Einzelfall zu bestimmen.

Mitteilungspflichtig ist jedes ausdrückliche oder konkludente Bemühen um eine Verständigung in Gesprächen, die von den Verfahrensbeteiligten insoweit als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können (BGH NStZ 2019, 484). Eine Vorbesprechung ist eine verständigungsbezogene Erörterung, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (BGH NStZ 2020, 237 m. Anm. Bittmann: auch BGH NStZ 2017, 596 m. Anm. Bittmann). Erörtern der Gerichtsvorsitzende und der Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung die Möglichkeit einer Beschränkung der Anklagevorwürfe sowie die Haftfrage für den Fall der Ablegung eines Geständnisses, liegt eine verständigungsbezogene mitteilungspflichtige Unterredung vor (BGH NStZ 2021, 61 = StraFo 2021, 29) Ein mitteilungspflichtiges Verständigungsgespräch liegt auch bei einem Gespräch vor, bei dem während einer Verhandlungsunterbrechung lediglich die StA, nicht jedoch auch das Gericht selbst Strafober- und -untergrenzen benennt (BGH NStZ 2018, 487 m. Anm. Bittmann = StraFo 2018 198). Die Mitteilungspflicht gilt auch dann, wenn eine Verständigung letztlich nicht zustande kommt oder der Vorsitzende keine konkreten Vorstellungen zu einer möglichen Verständigung geäußert und noch keinen eigenen Standpunkt gebildet hat (BGH NStZ 2020, 751 m. Anm. Bittmann).

Nicht jedes Gespräch der Verfahrensbeteiligten über Themen, die grundsätzlich einer Verständigung zugänglich sind, rechtfertigt allerdings die Annahme des Vorliegens mitteilungsbedürftiger verständigungsbezogener Erörterungen. Hiervon kann vielmehr nur dann ausgegangen werden, wenn die Unterredung hinreichend deutlich den Verständigungsbezug in Gestalt einer synallagmatischen Verknüpfung in Aussicht gestellter Handlungen nach § 257c Abs. 2 S. 1 StPO erkennen lässt (BGH NStZ 2017, 658 m. Anm. Bittmann). Werden bei einem im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gespräch Fragen des prozessualen Verhaltens mit dem Verfahrensergebnis in Zusammenhang gebracht, liegt die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe, weshalb ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit einer Verständigung im Raum steht. Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses (BayObLG, Beschl. v. 2.12.2020, 2020 StRR 105/20, juris; OLG Zweibrücken NStZ 2021, 253) sowie die Mitteilung einer Ober- und Untergrenze der nach dem Verfahrensstand vorläufig zu erwartenden Strafe durch das Gericht sind unverbindliche Erörterungen des Gerichts ohne Verständigungsbezug und lediglich Ausdruck eines transparenten kommunikativen Verhandlungsstils (BGH NStZ 2019, 684 m. Anm. Bittmann = StraFo 2019, 2019, 504 = StRR 2/2020, 13 [Burhoff]). Ein einseitiges Ansinnen des Verteidigers auf ein verständigungsbezogenes Gespräch, auf das das Gericht nicht eingeht, ist nicht mitteilungsbedürftig (OLG Saarbrücken NStZ 2017, 182).

Hinweis

Verständigungsgespräche in der Hauptverhandlung selbst in Anwesenheit von Angeklagten und Verteidigern bedürfen keiner gesonderten Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO (BGH NStZ 2017, 299; BGH wistra 2017, 446). Kommt es nach deren Beginn außerhalb zu Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung i.S.v. § 257c StPO ist, hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 S. 2 StPO das und deren wesentlichen Inhalt bekanntzugeben. Die Mitteilungspflicht besteht erst recht, wenn die Erörterungen zu einer Einigung geführt haben (BGH NStZ 2021, 310 m. Anm. Knauer/Pretsch = StraFo 2020, 417).

2. Umfang der Mitteilung

a) Die mitteilungspflichtigen Umstände

Nach § 243 Abs. 4 S. 1 ist der wesentliche Inhalt von Verständigungsgesprächen mitzuteilen. Alle wesentlichen Elemente einer Verständigung sind zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung zu machen und unterliegen der Protokollierungspflicht. Auch im Falle erfolgloser Verständigungsbemühungen gehört zum mitteilungsbedürftigen Inhalt, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (BGH StraFo 2020, 491; 2021, 126). Die Information, dass das Gericht zu einem Vorschlag (noch) keinen Standpunkt eingenommen hat, ist gleichfalls ein wesentlicher und demzufolge mitteilungspflichtiger Umstand (BVerfG NJW 2020, 2461 = StraFo 2020, 147 = StRR 6/2020, 12 [DeutscherBittmann). Es genügt nicht den Anforderungen des § 243 Abs. 4 S. 2 StPO, wenn der Vorsitzende lediglich das Ergebnis eines mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gesprächs ohne die vorgenannten Umstände mitteilt (BGH NStZ 2017, 363 m. Anm. Bittmann = StraFo 2018, 156; NStZ-RR 2018, 355 m. Anm. Müller-Metz = StraFo 2018, 521; StV 2019, 377; zur Rechtsprechung bis 2016 zu den inhaltlichen Anforderungen Deutscher, StRR 3/2017, 4, 6).

b) Wechsel des Spruchkörpers

Wird das Strafverfahren nach Übernahme und Verbindung vor einem anderen – an den Erörterungsgesprächen nicht beteiligten – Spruchkörper geführt, soll keine Mitteilungspflicht bestehen (KG StRR 10/2019, 15 [abl. Deutscher]).

c) Mehrere Gespräche

Von der Mitteilungspflicht wird der Inhalt sämtlicher Vorgespräche umfasst, die auf eine Verständigung ausgerichtet sind. Eine Mitteilung, nach der ausgehend von einem inhaltlich mitgeteilten vorangegangenen Gespräch ein weiteres Verständigungsgespräch zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten geführt wurde, reicht nicht aus. Es muss auch der Inhalt dieses Gesprächs mitgeteilt bzw., sofern dies der Fall war, ausdrücklich klargestellt werden, dass die Gespräche inhaltlich übereinstimmten (BGH NStZ 2017, 482 m. Anm. Bittmann = StRR 7/2017, 8 [Deutscher]). Das gilt erst recht bei Änderung einer bereits bestehenden Verständigung bezüglich einer Erhöhung der vorgesehenen Strafuntergrenze (BGH NStZ 2021, 310 m. Anm. Knauer/Pretsch = StraFo 2020, 417).

d) Form der Dokumentation der Mitteilung

Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen, ist der Protokollierungspflicht des § 273 Abs. 1a S. 2 StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle unverwechselbar bezeichnet wird (BGHSt 64, 168 = NJW 2019, 3316 = StraFo 2019, 468).

IV.Verständigung und Befangenheit

Bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen mit einzelnen Angeklagten unter Ausschluss von Mitangeklagten muss der Richter besondere Zurückhaltung üben, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Denn bei den am Gespräch nicht beteiligten Angeklagten können berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen, wenn aus ihrer Sicht zu befürchten steht, dass auf Betreiben des Richters ihre Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne ihre Kenntnis gleichsam mitverhandelt wird. Dem Richter obliegt es in einem solchen Fall, eine umfassende und unverzügliche Information aller Verfahrensbeteiligter über die Durchführung und den Inhalt des Gesprächs zu gewährleisten, um von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit sowie der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorzubeugen und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Rechnung zu tragen. Das ist nicht der Fall bei einem heimlichen Gespräch mit dem Verteidiger nur eines der Angeklagten über eine „Aufklärungshilfe“ (BGH NStZ 2019, 223 m. Anm. Ventzke = StraFo 2019, 196 = StRR 3/2019, 9 [Deutscher]). Es stellt regelmäßig keinen Befangenheitsgrund dar, wenn ein Gericht ungeachtet der Ablehnung eines Verfahrensbeteiligten (hier: StA) an einem bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung geäußerten Verständigungsvorschlag festhält und ihn deshalb noch einmal in der Hauptverhandlung unterbreitet (BGH NStZ 2020, 749 = StraFo 2020, 452 = StRR 12/2020, 21 [Deutscher]). Die Erklärung des Vorsitzenden der Berufungskammer, seine Ausführungen zu den Strafmaßvorstellungen eingangs der Hauptverhandlung im Rahmen der Erörterungen nach § 257b StPO würden Vertrauensschutz genießen, eine Abweichung hiervon würde die Erteilung eines Hinweises voraussetzen (§ 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO), ist nicht geeignet, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO), da sie den gesetzlichen Vorgaben entspricht (OLG Düsseldorf StraFo 2019, 158 = StRR 11/2019, 16 Burhoff]). Die Besorgnis der Befangenheit kann begründet sein, wenn der Vorsitzende bei einem außerhalb der Hauptverhandlung erteilten Rat zur Rücknahme eines Rechtsmittels zum Ausdruck bringt oder den Eindruck erweckt, bereits festgelegt zu sein, etwa einen nach Form und Inhalt unangemessenen Einschüchterungsversuch oder eine unzulässige Willensbeeinflussung unternimmt, so dass ein besonnener Angeklagter die Befürchtung hegen muss, das Gericht werde sich nur unwillig und voreingenommen mit dem Rechtsmittel befassen (OLG Hamm StRR 3/2019, 13 [Burhoff]).

V.Revisionsrechtliche Fragen (Transparenzgebot)

1. Anforderungen an die Verfahrensrüge

Zur Ermöglichung der revisionsgerichtlichen Überprüfung von die Mitteilungspflicht auslösenden Verständigungsgesprächen hat der Revisionsführer Tatsachen zum Inhalt der Erörterungsgespräche vorzutragen. Es ist die bestimmte Behauptung von Tatsachen erforderlich, die eine Überprüfung möglich machen, ob ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensverständigung gegeben waren, wovon jedenfalls dann auszugehen ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Verbindung mit dem Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach einer Straferwartung nahelag und die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (BGH NStZ 2017, 424).

2. Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler

Das BVerfG (NJW 2020, 2461 = StraFo 2020, 147 = StRR 6/2020, 12 [Deutscher]) hat seinen Standpunkt zum Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht einerseits bekräftigt, andererseits leicht modifiziert: Die gesetzlichen Transparenz- und Dokumentationspflichten nach § 243 Abs. 4 StPO dienten dem Zweck, eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die StA und das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen. Zusätzlich dienten sie dem Schutz der Grundrechte des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten vor einem sich im Geheimen vollziehenden „Schulterschluss“ zwischen Gericht, StA und Verteidigung. Bei einer Verletzung von Transparenz- und Dokumentationspflichten werde sich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige informelle Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht. Auch im Falle ergebnisloser Verständigungsgespräche werde das Beruhen des Urteils auf einer fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Mitteilung oftmals nicht sicher ausgeschlossen werden können. Die Revisionsgerichte seien allerdings nicht gehindert, aufgrund einer an den Umständen des Einzelfalles ausgerichteten Gesamtbetrachtung ausnahmsweise zu einem Ausschluss des Beruhens zu gelangen. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung könnten die Schwere des Verstoßes und die Art der in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilten Gesprächsinhalte von Bedeutung sein. Auch dass der Angeklagte umfassend über die außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche informiert war, könne ein zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein. Die Unterrichtung des Angeklagten durch seinen Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche vermöge die Mitteilung durch das Gericht in der Hauptverhandlung jedoch grundsätzlich nicht zu ersetzen (ebenso BGH NStZ 2017, 244 m. Anm. Bittmann). Ein Einfluss einer unzureichenden Information der Öffentlichkeit auf das Urteil könne ausnahmsweise ausgeschlossen werden, wenn der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzeswidrigen Absprache gerichtet waren. Die Frage des Beruhens dürfe nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden.

Ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten führt grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen ist (BGH NStZ 2020, 93; StV 2021, 3). Ein Beruhen des Aussageverhaltens des Angeklagten auf einer unzulässig weiten „Sanktionsschere“ kann ausgeschlossen werden, wenn trotz des Hinweises des Vorsitzenden auf die jeweiligen Strafrahmen bei geständiger Einlassung bzw. streitiger Verhandlung der Angeklagte beim Bestreiten der Tatvorwürfe bleibt. Denn insofern ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte sich in einer Drucksituation befand, die ihn zur Abgabe eines Geständnisses gedrängt hat (BGH NStZ 2018, 419). Auf einem festgestellten Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO beruht das Urteil nicht, wenn sicher ausgeschlossen werden kann, dass durch die Verletzung der Informationspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten betroffen ist. Das ist der Fall, wenn dem Angeklagten aufgrund der vorangegangenen – unvollständigen – Mitteilung des Vorsitzenden bekannt war, dass eine Einigung über eine Bewährungsstrafe gerade nicht zustande gekommen war, da die Vorstellungen über die zu verhängenden Strafen zwischen StA und Verteidigung zu weit auseinanderfielen. Wenn der Angeklagte sich dann dennoch entschlossen hat, sich weiter zur Sache einzulassen und seinen Verzicht auf die Herausgabe des sichergestellten Geldes zu erklären, ist damit auszuschließen, dass dies aufgrund eines infolge der unvollständigen gerichtlichen Mitteilung beim Angeklagten hervorgerufenen Informationsdefizits erfolgt ist und seine Selbstbelastungsfreiheit beeinträchtigt sein könnte. Vielmehr geschah dies erkennbar lediglich in der Hoffnung, gleichwohl im Falle eines Geständnisses und eines Verzichts eine Bewährungsstrafe zu erhalten, ohne dass diese Erwartung durch die unvollständige Information hervorgerufen worden sein könnte (BGH NStZ 2017, 658 m. Anm. Bittmann). Wenn ein Angeklagter von seinem Verteidiger nicht über am ersten Hauptverhandlungstag geführte Verständigungsgespräche informiert wird, kann dies nur in eng begrenzten Ausnahmefällen dazu führen, dass der Angeklagte sich bei einer prozessordnungsgemäßen Mitteilung des Verständigungsgesprächs durch das Gericht anders verhalten hätte. In aller Regel beruht das Urteil nicht auf diesem Verfahrensfehler (BGH NStZ-RR 2020, 87). Das Beruhen kann auch ausgeschlossen werden, wenn das Informationsdefizit sich als geringfügig darstellt und grundsätzlich sichergestellt war, dass verständigungsbezogene Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO nicht informell und unkontrolliert im Geheimen stattfinden, was durch die Mitteilungspflichten des § 243 Abs. 4 StPO verhindert werden soll (BGH NStZ 2020, 751 m. Anm. Bittmann).

3. Weitere Aspekte der Revision

Die Verfahrensrüge, § 243 Abs. 4 S. 2 StPO sei verletzt, bleibt erfolglos, wenn nach Einholung dienstlicher Erklärungen durch das Revisionsgericht feststeht, dass es solche Gespräche nicht gegeben hat. Soweit die Revision nach Bekanntwerden der dienstlichen Erklärungen nunmehr einen Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht von Erörterungen im Sinne von § 257b StPO rügt, gibt sie ihrer Verfahrensrüge eine andere Angriffsrichtung, weshalb sie insoweit unzulässig ist (BGH NStZ-RR 2018, 24 Ls.). Greift die StA ein Urteil, dem eine Verständigung zugrunde liegt, zuungunsten des Angeklagten mit der Revision an, ist die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (OLG Naumburg NStZ 2020, 238).

VI.Sonstige Verfahrensfragen

1. Zuständigkeit

Eine Zuständigkeit des LG, welche zur Verweisung gemäß § 270 StPO führt, ergibt sich nicht daraus, dass nach Scheitern von Verständigungsgesprächen beim AG (Schöffengericht) dieses einen besonderen Umfang der Sache (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG) annimmt (BGHSt 61, 277 = NJW 2017, 280 m. Anm. Zopfs = NStZ 2017, 100 m. Anm. Moldenhauer = StraFo 2017, 27 = StRR 12/2016, 9 [DeutscherGodendorff, StV 2017, 626; s.a. Pauka/Link/Armenat, StraFo 2017, 10).

2. Ausschluss des Rechtsmittelverzichts (§ 302 Abs. 1 S. 2 StPO)

Ein Rechtsmittelverzicht ist ausgeschlossen, wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist. Ist im Sitzungsprotokoll ausdrücklich vermerkt, dass eine Verständigung nicht stattgefunden hat, so zählt diese Feststellung zu den wesentlichen Förmlichkeiten und nimmt an der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls teil (BayObLG, Beschl. v. 2.12.2020 – 202 StRR 105/20, juris). Gegen den die wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (BGH NStZ-RR 2019, 318). Maßgeblich für die Unwirksamkeit eines vom Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzichts ist, dass dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257c StPO unter zumindest informeller Beteiligung des Gerichts vorangegangen ist. Eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt bei einer Verständigung zwischen dem Angeklagten und der StA ohne gestaltende Beteiligung des Gerichts nicht in Betracht (OLG Hamm NStZ 2017, 725).

Richter am Amtsgericht Dr. Axel Deutscher, Bochum

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