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Maskenpflicht in der Hauptverhandlung, Nachweis für Ausnahme

1. Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht in der Hauptverhandlung sind § 238 Abs. 1 StPO, § 176 GVG.

2. Eine solche Anordnung ist zur Verhinderung der Ansteckung mit dem Corona-Virus geeignet und geboten.

3. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht darf sich nicht pauschal auf „medizinische Gründe“ beschränken, sondern muss zur Glaubhaftmachung Tatsachen zum Beleg dieser Feststellung aufweisen. (Leitsätze des Verfassers)

LG Chemnitz, Beschl. v. 12.4.2021 – 4 Qs 108/21

I. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer ist der gewählte Verteidiger der Angeklagten im Strafverfahren vor dem AG. Die Ladung des Verteidigers enthielt die Hinweise: „In der Verhandlung besteht aus Infektionsschutzgründen Maskenpflicht. Sie werden aufgefordert, eine FFP2-Maske oder OP-Maske mitzubringen und bereits beim Betreten des Gerichtsgebäudes zu tragen. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht wird nur anerkannt, wenn es den Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer entspricht. Das Attest muss im Original vorgelegt werden.“ Zur Hauptverhandlung erschien der Beschwerdeführer ohne jegliche Mund-Nasen-Bedeckung. Der Aufforderung des Gerichts, eine Maske zu tragen, verweigerte sich der Beschwerdeführer. Stattdessen legte er ein Dokument einer Dipl.-Med. vor. Auf diesem war der bloße Hinweis „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ abgedruckt. Sonstige Daten fehlten auf dem Vordruck. Der Beschwerdeführer erklärte im eigenen Namen „an Eides statt“, dass er „aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage sei, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen“. Die Vorsitzende ordnete daraufhin an, dass der Verteidiger den Sitzungssaal aufgrund des Infektionsschutzes zu verlassen habe. Hiergegen hat der Beschwerdeführer noch im Termin zur mündlichen Verhandlung „Beschwerde“ eingelegt. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin ausgesetzt. Mit Beschluss wurde die sitzungspolizeiliche Anordnung aufrechterhalten. Weiterhin wurde der Verteidiger für die Hauptverhandlung nicht von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit. Hilfsweise ordnete das Gericht an, dass der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung und an den nachfolgenden Sitzungstagen jeweils einen Nachweis einer Testung auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 als PCR-Test oder Schnelltest (nicht Selbsttest) vorzulegen hat. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Es könne offenbleiben, ob die Beschwerde mit Blick auf § 238 Abs. 1 StPO zulässig ist, da sie jedenfalls in der Sache unbegründet sei. Die Rechtsgrundlage für die sitzungspolizeiliche Anordnung seien § 238 Abs. 1 StPO und § 176 GVG. Im Rahmen der Verfahrensleitung habe das Gericht das Interesse an der Effektivität der Rechtspflege, die Gewährleistung des Zugangs zu Gericht (Art. 19 Abs. 4 GG), damit verbunden auch das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) sowie den Schutz der Unversehrtheit aller Personen, die vor Gericht erscheinen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), zu wahren und jeweils u.U. gegeneinander abzuwägen. Insbesondere bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG komme den Gerichten ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (so ausdrücklich BVerfG NStZ-RR 2021, 19). Dieser Spielraum gelte auch bei der Überprüfung von Maßnahmen zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus. Werden solche Maßnahmen zum Schutz von Personen ergriffen, unterlägen die Entscheidungen hierzu nur sehr eingeschränkter Kontrolle durch ein Rechtsmittelgericht. Die Anordnung, eine OP-Maske während einer Gerichtsverhandlung zu tragen, stütze sich damit auf § 238 Abs. 1 StPO, § 176 GVG und sei verfassungsmäßig (BVerfG a.a.O.). Letztendlich sei die Entscheidung des Gerichts allein auf Ermessensfehler überprüfbar. Ermessensfehler lägen hier nicht vor (wird ausgeführt). Hieraus ergebe sich bereits, dass es unerheblich ist, ob andere staatliche Stellen (so vom Beschwerdeführer behauptet) vom Beschwerdeführer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verlangen oder dessen Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung billigen. Es handele sich bei der sitzungspolizeilichen Anordnung des AG um eine eigenständige Anordnung aufgrund des geltenden Prozessrechts. Die Pflicht des Gerichts, alle Personen, die an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen, zu schützen, gebiete es gar, Schutzmaßnahmen gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu ergreifen. Die Anordnung des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung in Form von FFP2-Masken oder (einfachen) OP-Masken, wie vom AG gefordert, sei geeignet, dieses Ziel zu erreichen, und auch angemessen (BVerfG a.a.O.; DAR 2021, 45 = StRR 10/2020 32 = VRR 10/2020, 20 [jew. Deutscher]). In gleicher Weise sei die Anordnung im angefochtenen Beschluss rechtmäßig, hilfsweise (also statt der Maskenpflicht) einen negativen Corona-Test, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, zu jeder Sitzung vorzulegen.

Soweit der Betroffene behauptet, er sei aus medizinischen Gründen vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit, sei die Forderung des AG nicht zu beanstanden, dass sich aus dem sodann vorzulegenden ärztlichen Attest die Art der Erkrankung ergeben muss, die eine solche Befreiung rechtfertigt, um den Einwand des Betroffenen nachvollziehen zu können. Bezüglich der Glaubhaftmachung einer etwaigen medizinischen Indikation zur Befreiung von der Maskenpflicht würden die allgemeinen Grundsätze hierzu im Rahmen der StPO gelten. Allgemein anerkannt sei es, dass im Fall einer Glaubhaftmachung einer Erkrankung, eines Gebrechens oder sonstiger Beeinträchtigung medizinischer Art durch den Betroffenen (bspw. im Rahmen des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten gem. § 329 Abs. 7 StPO) das Gericht die entsprechende Behauptung durch Einholung eines ärztlichen Attestes prüfen kann, durch das sich unmittelbar die Art und der Umfang der körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung ergeben muss (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 329 Rn 42). Das Gericht müsse in die Lage versetzt werden, die Behauptungen zu überprüfen. Ein Attest, das sich allein in der Feststellung beispielsweise einer behaupteten Verhandlungsunfähigkeit erschöpft, reiche nicht aus, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen der Behauptungen zu prüfen (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 45 Rn 6). Die gleichen Grundsätze würden daher auch für die Überprüfung der Behauptung gelten, man könne eine Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen nicht tragen. Damit müssen sich aus einem Attest, welches durch einen – mittels Anschrift, Kontaktdaten und eigenhändiger Unterschrift erkennbaren – approbierten Arzt oder eine approbierte Ärztin ausgestellt wurde und das den Betroffenen eindeutig identifiziert, insbesondere die Art und der Umfang der Beeinträchtigung erkennen lassen, aus der die Schlussfolgerung gezogen wird, dass der Betroffene eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht tragen könne. Nur ein Attest mit einem solchen Inhalt könne das Gericht tatsächlich in die Lage versetzen, die behauptete Ausnahme von der notwendigen Schutzmaßnahme zu überprüfen. Dies bedeute nicht, dass das Gericht seine eigene Sachkunde an die Stelle der sachverständigen Einschätzung des Arztes oder der Ärztin stellen darf.

Darüber hinaus schließe auch die Regelung in der Sächsischen Corona-Schutzverordnung eine Glaubhaftmachung nicht aus. Richtig sei zwar, dass in § 3 Abs. 3 S. 4 der Sächsischen Corona-Schutzverordnung in der Fassung bis zum 29.3.2021 (nunmehr wortgleich in § 3 Abs. 4 S. 1 in der Fassung seit dem 29.3.2021) normiert ist, dass zur Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Tragepflicht die Einsichtnahme in ein ärztliches Attest genügt. Die Entwicklung der Sächsischen Corona-Schutzverordnung zeige aber, dass die Fälle, in denen es um einen Nachweis einer Befreiung von der Tragepflicht vor einem Gericht geht, offensichtlich durch den Verordnungsgeber überhaupt nicht bedacht worden sind. Selbst in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zum Umfang der Glaubhaftmachung einer medizinischen Indikation für die Befreiung von der Maskenpflicht sei nach der herrschenden Auffassung anerkannt, dass die Glaubhaftmachung ein ärztliches Attest verlange, das die Beeinträchtigung so wiedergibt, dass die prüfende Behörde die Tatsachen, die zu dieser Einschätzung geführt haben, überprüfen kann. Weiterhin sei es das Ziel der Betroffenen, mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen einen rechtlichen Vorteil zu erwirken, nämlich die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. In derartigen Konstellationen müsse die Verwaltung bzw. das Gericht, wie auch in anderen Rechtsgebieten, aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbstständig zu prüfen (OVG Münster, Beschl. v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20, juris). Soweit etwa das OVG Berlin-Brandenburg in einem jüngeren Beschluss vom 4.1.2021 (OVG 11 S 132/20, juris) in einem Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz entschieden hat, dass ein Antragsteller zunächst entgegen der ausdrücklichen Regelung in der brandenburgischen Eindämmungsverordnung in einem ärztlichen Attest keine konkrete gesundheitliche Beeinträchtigung angeben muss, stehe diese Auffassung der hiesigen nicht entgegen. Zunächst habe das OVG Berlin-Brandenburg ausdrücklich offengelassen, ob die entsprechende ausdrückliche Regelung in der dortigen Eindämmungsverordnung voraussichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig sein wird, und hat das Hauptsacheverfahren ausdrücklich als „offen“ eingeschätzt. Weiterhin habe das OVG in der genannten Entscheidung im Eilrechtsschutz nur deswegen keine Pflicht des konkreten Antragstellers zur Offenlegung seiner Diagnose gesehen, weil der Antragsteller dort glaubhaft machen konnte, dass er befürchte, dass seine Diagnose „im Dorf die Runde mache“. Eine solche Befürchtung der Offenlegung der Diagnose bestehe bei der Vorlage eines Attests allein bei der Strafrichterin erkennbar nicht.

Das „Attest“, welches der Beschwerdeführer dem AG im Termin zur mündlichen Hauptverhandlung vorgelegt hat, genüge den obigen Grundsätzen ersichtlich nicht. Zunächst enthalte es nicht die notwendigen Informationen zu der medizinischen Beeinträchtigung, die das Tragen einer Maske unmöglich (oder jedenfalls gefährlich etc.) machen könnte. Allein die Mitteilung „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ genüge hierfür ersichtlich nicht. Dies gelte selbst vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer sodann „an Eides statt“ erklärte, aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung keine Maske tragen zu können. Zunächst verkenne der Beschwerdeführer, dass die eigene eidesstattliche Versicherung eines Antragstellers bzw. Betroffenen regelmäßig kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung ist (vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 30.11.2017 – 3 StR 539/17; Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 45 Rn 9 m.w.N.). Weiterhin enthielten selbst diese Erklärungen keine überprüfbaren Tatsachen zu seiner vermeintlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung. Zudem sei das Attest im Zeitpunkt der Verhandlung über sechs Monate alt gewesen. Die Praxis der Ärztin liege knapp 90 Kilometer vom Wohnort des Beschwerdeführers entfernt. Auch enthält diese Bescheinigung zwar den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers, jedoch keine Versicherungsnummer.

III. Bedeutung für die Praxis

Zu den Leitsätzen 1 und 2 entspricht die Ansicht des LG den Überlegungen des OLG Celle im Beschl. v. 15.4.2021 (StRR 5/2021 [Deutscher], in dieser Ausgabe), das sich seinerseits auf die knappe Begründung des BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss (MDR 2020, 1523) stützen konnte. Auch der Verteidiger unterliegt sitzungspolizeilichen Anordnungen; nur Ordnungsmittel nach § 178 GVG sind ausgeschlossen. Corona-Schutzverordnungen der Länder können nicht in die bundesgesetzlich geregelte gerichtliche Sitzungspolizei und Verhandlungsführung eingreifen. Bedeutsam sind die Erwägungen zum Umfang des Nachweises für eine Befreiung von der Maskenpflicht. Die Anlehnung an die Erfordernisse zum Nachweis einer krankheitsbedingten Abwesenheit (hierzu OLG Braunschweig NStZ 2014, 289) sind überzeugend. Anderenfalls wären Schutzanordnungen wie hier leicht durch pauschale Atteste ohne nähere Angaben auszuhebeln, zumal dies zur Umgehung der Maskenpflicht in der Öffentlichkeit nicht eben selten praktiziert wird (pauschale Gefälligkeitsatteste). Auch insoweit können Corona-Schutzverordnungen der Länder keine Vorgaben für die rein strafprozessualen Anforderungen an die Glaubhaftmachung aufstellen. Das Fehlen von inhaltlichen Vorgaben an das ärztliche Attest dort (wie etwa in § 4 Abs. 4 S. 2 CoronaSchutzVO NRW vom 23.4 2021, GV NRW 2021, 416b) hat daher keine Aussagekraft für das Strafverfahren.

Kleines Kuriosum am Rande, das den Hintergrund des Verhaltens des Verteidigers vielleicht zu erhellen vermag: Nach den Feststellungen des AG ist der Beschwerdeführer ausweislich seiner von ihm im Internet veröffentlichten Vita als Schamane tätig.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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