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Hemmung der Unterbrechungsfrist

Die Hemmung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1 und Abs. 2 StPO kann bei wiederholter Erkrankung einer oder mehrerer der in § 229 Abs. 3 S. 1 StPO genannten Personen grundsätzlich mehrmals eintreten. Ausreichend ist, wenn zwischen zwei Unterbrechungen nach § 229 Abs. 3 S. 1 StPO mindestens an einem Tag verhandelt worden ist. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 18.11.2020 – 4 StR 118/20

I. Sachverhalt

Das Landgericht hatte den Angeklagten u.a. wegen schweren Bandendiebstahls verurteilt und außerdem eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendete sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hatte beim BGH keinen Erfolg. Der BGH hat die Revision als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

II. Entscheidung

Der Angeklagte hatte u.a. gerügt, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 2 StPO seien in zwei Fällen nicht gewahrt worden, da die wiederholte Hemmung der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 3 StPO gegen die Konzentrationsmaxime verstoßen habe. Der Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Hauptverhandlung, die am 13.2.2018 begonnen hatte, wurde am 18.9.2018 – dem 21. Hauptverhandlungstag – unterbrochen und am 29.10.2018 fortgesetzt. Die Unterbrechungsfrist war gemäß § 229 Abs. 3 S. 1 StPO wegen der Erkrankung einer beisitzenden Richterin gehemmt, was das LG durch Beschluss feststellte. Vom 29.10.2018 bis zur Unterbrechung am 18.12.2018 fand die Hauptverhandlung an insgesamt neun Tagen statt und wurde am 6.2.2019 fortgesetzt. Während dieser Unterbrechung war die Vorsitzende erkrankt; das LG stellte durch Beschluss die abermalige Hemmung der Unterbrechungsfrist fest. Vom 6.2.2019 bis zum 12.3.2019 fand die Hauptverhandlung an insgesamt sechs Hauptverhandlungstagen statt. Am 12.3.2019 wurde sie bis zum 16.4.2019 unterbrochen. Während dieser Unterbrechung war erneut die beisitzende Richterin erkrankt. Das LG stellte abermals durch Beschluss die Hemmung der Unterbrechungsfrist fest. Aussetzungsanträge der Verteidigung lehnte es ab. Der Angeklagte war der Auffassung, eine wiederholte Hemmung der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 3 StPO komme hier nicht in Betracht, so dass die Unterbrechungen vom 18.12.2018 bis zum 6.2.2019 sowie vom 12.3. bis zum 16.4.2019 die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO überschritten hätten. Das hat der BGH anders gesehen.

Ob und unter welchen Voraussetzungen bei wiederholter Erkrankung einer der in § 229 Abs. 3 StPO (in der Fassung v. 5.7.2017) genannten Personen der Lauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO bestimmten Fristen jeweils erneut gehemmt wird, sei höchstrichterlich bislang nicht entschieden worden. Auch Rechtsprechung der OLG liege hierzu – soweit ersichtlich – nicht vor. In der Literatur findet sich zwar keine Stimme, die eine wiederholte Hemmung des Laufs der Unterbrechungsfrist gemäß § 229 Abs. 2 StPO während einer Hauptverhandlung für ausgeschlossen erachtet. Es werde aber die Auffassung vertreten, eine wiederholte Hemmung setze jedenfalls voraus, dass die Hauptverhandlung nach einer ersten Hemmung an mindestens zehn weiteren Tagen fortgesetzt worden sei. Denn aufgrund der vergleichbaren Interessenlage und des Normzwecks würden die Beschränkungen des § 229 Abs. 2 StPO analog auch für § 229 Abs. 3 StPO gelten (Zieschang, StV 1996, 115 zu § 229 StPO in der Fassung vom 7.4.1987). Nach der überwiegend vertretenen Auffassung solle es hingegen genügen, wenn zwischen den Unterbrechungen an einem Tag verhandelt worden sei (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 229 Rn 5; Gmel, in: KK-StPO, 8. Aufl., § 229 Rn 11; Becker, in: LR-StPO, 27. Aufl., § 229 Rn 24; Gorf, in: BeckOK-StPO, 37. Ed., § 229 Rn 8; Grube, in: SSW-StPO, 4. Aufl., § 229 Rn 14). Der BGH schließt sich der herrschenden Auffassung an.

Das begründet er mit dem Wortlaut der Vorschrift sowie mit teleologischen und systematischen Erwägungen. Bereits der Wortlaut des § 229 Abs. 3 StPO enthalte keinen Hinweis, dass eine wiederholte Hemmung von Unterbrechungsfristen ausgeschlossen sei oder der einschränkenden Voraussetzung einer bestimmten Mehrzahl von Fortsetzungsterminen zwischen den Unterbrechungen unterliege. Der Vergleich des Wortlauts des § 229 Abs. 2 und Abs. 3 StPO spreche auch gegen eine Übertragung der Voraussetzungen der Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO auf die Fälle der Fristhemmung des § 229 Abs. 3 StPO. In § 229 Abs. 3 StPO heiße es, die Hemmung trete ein, sobald die Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden habe; das Wort „jeweils“, das in § 229 Abs. 2 StPO enthalten sei, fehle hier. Nach dem Wortverständnis der Norm reiche es danach aus, wenn vor Eintritt einer – auch wiederholten – Hemmung insgesamt an mindestens zehn Tagen verhandelt worden sei.

Der Zweck des § 229 Abs. 3 StPO spreche ebenfalls für dieses Verständnis. Die Norm solle es ermöglichen, eine Hauptverhandlung im Fall von Ereignissen fortzusetzen, die dem Einfluss des Gerichts entzogen seien (vgl. BT-Drucks 10/1313, S. 24 ff.). Dem würde es – so der BGH – zuwiderlaufen, wenn der Eintritt einer erneuten Hemmung davon abhinge, dass eine bestimmte Anzahl an Fortsetzungsterminen seit der letzten Hemmung stattgefunden habe.

Mit Blick auf den Zweck der Norm greife auch das systematische Argument nicht durch, die uneingeschränkte wiederholte Anwendung von § 229 Abs. 3 StPO widerspreche der Detailregelung des § 229 Abs. 2 StPO (so aber Zieschang, StV 1996, 115, 116). Die einzelnen Regelungen des § 229 StPO würden den strafprozessualen Konzentrationsgrundsatz ausgestalten und sich dabei auf spezifische Verfahrenslagen beziehen, für die der Gesetzgeber bewusst differenzierte Rechtsfolgen vorgesehen habe. Sie stünden daher nebeneinander (vgl. bereits BT-Drucks 10/1313, S. 24 ff.). § 229 Abs. 1 StPO habe den Normalfall der Hauptverhandlung im Blick, die zügig und ohne längere Unterbrechungen durchgeführt werden soll. § 229 Abs. 2 StPO ermögliche dem Gericht eine größere Dispositionsfreiheit bei der Planung umfangreicher Hauptverhandlungen. Der Eintritt der Hemmung nach § 229 Abs. 3 StPO erlaube es schließlich bei umfangreichen Hauptverhandlungen, unvorhersehbaren Ereignissen Rechnung zu tragen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Gegen die Entscheidung lässt sich methodisch nichts einwenden. Die vom BGH gefundenen Argumente sind klassisch, insbesondere das Wortlautargument überzeugt. Allerdings: Man wird die Konzentrationsmaxime nicht aus den Augen verlieren dürfen. Die wird es ggf. gebieten – so wohl auch der BGH – in Ausnahmefällen häufiger und langer Unterbrechungen mit jeweils nur wenigen Zwischenterminen die Hauptverhandlung auszusetzen, obwohl alle Fristen des § 229 StPO eingehalten worden sind. Eine solche Konstellation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor. Auch im entschiedenen Fall hat die Hauptverhandlung ja (nur) 14 Monate gedauert, wobei sich allerdings aus der Entscheidung nicht ergibt, an wie vielen Hauptverhandlungstagen verhandelt worden ist. Das gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass § 229 Abs. 2 StPO durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) geändert worden und die zulässige Unterbrechungsfrist verlängert worden ist. Zudem: Interessant wird es sein, demnächst zu erfahren, wie der BGH in dem Zusammenhang wohl mit dem neuen § 10 EGStPO (vgl. dazu schon BGH StRR 1/2021, 20 m. Anm. Stehr) umgehen wird. Denn bei dessen Anwendung wird sich die Problematik mehrfacher Unterbrechung ja ggf. auch stellen.

2. Die Entscheidung ist zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen. Das zeigt ihre Bedeutung. Das im Blick erschließt sich die Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO für mich nicht so ganz. Offensichtlich unbegründet? Dafür macht der BGH dann ein wenig viel Worte.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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