Beitrag

Haftung des Steuerschuldners der Tabaksteuer

1. Im Haftungsrecht nach der AO gilt der Grundsatz, dass sich Steuerschuldnerschaft und Haftung gegenseitig ausschließen.

2. Wer als Besitzer von in Deutschland unversteuerten Zigaretten zur Entrichtung der Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG verpflichtet ist, kann für diese Steuer nicht zugleich durch Haftungsbescheid nach § 71 AO in Anspruch genommen werden. (Leitsatz des Gerichts)

BFH, Urt. v. 23.6.2020 – VII R 56/18

I. Sachverhalt

Der Kläger erwarb insgesamt 26.000 unversteuerte Zigaretten aus Weißrussland. Dabei war zunächst nicht aufklärbar, ob diese direkt aus dem Drittstaat nach Deutschland eingeführt worden oder aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen EU-Mitgliedstaat auf dem Landweg nach Deutschland verbracht worden waren. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen konnte aber eine Einfuhr aus dem Drittstaat über den See- oder Luftweg nach Deutschland ausgeschlossen werden, so dass der Kläger Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG für die anfallende deutsche Tabaksteuer war.

Mit Haftungsbescheid v. 15.6.2016 nahm ihn das Hauptzollamt für die nicht entrichtete Tabaksteuer in Höhe von 4.024,80 EUR in Anspruch, nachdem die Person, die dem Kläger die Zigaretten verkauft hatte, nicht ermittelbar war. Dabei ging die Zollbehörde davon aus, dass der Kläger sich der Steuerhehlerei nach § 374 AO schuldig gemacht habe. Die Tabaksteuer war dabei entweder durch Überführen in den steuerrechtlich freien Verkehr oder durch das erstmals zu gewerblichen Zwecken Im-Besitz-Halten entstanden (§ 23 Abs. 1 S. 1 TabStG).

II. Entscheidung

Da der Kläger bereits nach § 23 Abs. 1 S. 2 TabStG Steuerschuldner ist, kann er nicht gleichzeitig Haftungsschuldner gemäß § 71 AO sein (BFH, Beschl. v. 11.7.2001 – VII R 29/99, BFH/NV 2002, 305; BFH, Beschl. v. 24.10.2017 – VII B 99/17, BFH/NV 2018, 933).

Insofern enthält § 71 AO, so der BFH, das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, dass niemand gleichzeitig Steuer- und Haftungsschuldner sein kann (Rüsken, in: Klein, AO, Komm., 15. Aufl. 2020, § 71 Rn 1). Dies werde auch durch die Entstehungsgeschichte des § 71 AO bestätigt, der dem bisherigen § 112 RAO entspreche und bei welchem dieser Grundsatz auch gegolten habe (BT-Drucks VI/1982, S. 120). Dass die Haftungsnorm des § 70 AO demgegenüber den speziellen Zusatz enthalte, dass diese Haftung nicht greife, wenn Steuerschuldnerschaft besteht, spreche nicht gegen diese Auslegung des § 71 AO, da dieser Zusatz bei § 70 AO nur klarstellende Bedeutung habe. Auch könne nicht § 7 Abs. 8 S. 3 Versicherungsteuergesetz ins Feld geführt werden, wonach die Inanspruchnahme eines Haftenden mittels Steuerbescheid oder mittels Haftungsbescheid zulässig sei, da es sich bei dieser Gesetzesformulierung um ein Versehen des Gesetzgebers handle.

III. Bedeutung für die Praxis

Der BFH sieht zwar das Praxisproblem, dass sich oftmals der Weg der unversteuerten Zigaretten ins Inland nicht rekonstruieren lasse und die Steuerschuldtatbestände des § 21 TabStG bei Einfuhr aus einem Drittland und bei der Verbringung aus einem anderen EU-Staat gemäß § 23 TabStG auseinanderfallen, sieht aber trotzdem keine Veranlassung, davon abzugehen, dass Haftung im Steuerrecht das Einstehen-Müssen für eine fremde Steuerschuld bedeutet (vgl. Halaczinsky, Die Haftung im Steuerrecht, 4. Aufl. 2013, Rn 2). Insofern hat die Vorinstanz – das FG Hamburg, Urt. v. 13.9.2018 – 4 K 121/17, EFG 2019, S. 1 –, die sich für eine Anwendung des § 71 AO im Fall ausgesprochen hat, auch das sich solchermaßen ergebende Dilemma wie folgt richtig beschrieben: „Sähe man dies anders, könnte der Zweck der Haftung – die Sicherung der Zahlung der Steuerschuld – nur noch schwer erreicht werden, wenn die Steuerbehörde – wie im vorliegenden Fall – bei Erlass des Bescheids nicht genau wissen kann, ob die Besitzerin der Zigaretten, die statt der unbekannten Schmuggler herangezogen werden soll, Steuerschuldnerin oder Haftende ist.“ Insofern ist die Entscheidung des BFH im sich dem Steuerstrafverfahren anschließenden Steuerverwaltungsverfahren bei Eintreibung der hinterzogenen Steuer von Relevanz.

Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…