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Gegenstandswert Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend Zwangsmedikation

Unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Rechtmäßigkeit einer dreimonatigen Zwangsmedikation (zweimalige Injektion) gem. § 17a MRVG NRW auf 2.000 EUR festzusetzen. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Hamm, Beschl. v. 25.3.2021 – 4 Ws 53/21

I. Sachverhalt

Der Rechtsanwalt vertritt den seit dem 6.9.2016 nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Betroffenen, der an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) leidet. Da sich die psychotische Symptomatik des Betroffenen seit Mitte Juni 2019 deutlich verschlechtert hatte, beabsichtigte die Klinik, den Betroffenen zur Erreichung seiner Entlassfähigkeit entgegen seinem Willen mit 150 mg Haloperidol-Dec. (3 ml) i. m. alle drei Wochen zunächst für die Dauer von drei Monaten zu behandeln. Hiergegen stellte der Betroffene mit Eingaben vom 21.11.2019, 29.11.2019 und 2.1.2020 Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die Strafvollstreckungskammer des LG als unbegründet zurückgewiesen hat. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein. Im Verfahren vor dem OLG Hamm wurde dem Betroffenen sodann der Verteidiger beigeordnet und zudem Prozesskostenhilfe bewilligt. Der Verteidiger legte für den Betroffenen mit anwaltlichem Schreiben erneut Rechtsbeschwerde ein und begründete diese. Mittlerweile war allerdings die angeordnete und am 11.12.2019 sowie am 2.1.2020 bereits erfolgte Zwangsmedikation mit dem Medikament Haldol nicht weiter fortgesetzt worden, da der Betroffene seit geraumer Zeit eine orale Gabe des Medikaments Abilify akzeptiert hatte. Daher beantragte der Betroffene nun festzustellen, dass die erfolgte Anordnung der Zwangsmedikation rechtswidrig gewesen sei. Das OLG hat die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Feststellungsantrag des Betroffenen an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen. Diese hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung erneut als unbegründet zurückgewiesen und den Verfahrenswert auf bis zu 500 EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist in der Hauptsache rechtskräftig. Gegen die Festsetzung des Streitwertes hat der Verteidiger (isolierte) Streitwertbeschwerde eingelegt und beantragt, den Streitwert auf 5.000 EUR heraufzusetzen. Er ist der Ansicht, der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts biete für eine Wertfestsetzung keine genügenden Anhaltpunkte, so dass gem. § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. § 60 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzusetzen sei. Falls das Gericht die Auffassung vertrete, dass doch eine Streitwertbestimmung nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. § 60 GKG zu erfolgen habe, seien bei der Streitwertbemessung die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen zu berücksichtigen, die ein Erfolg des Antrags für den Untergebrachten gehabt hätte. Bei der Anordnung der Zwangsmedikation handele es sich um einen Eingriff in die Grundrechte des Untergebrachten.

II. Entscheidung

Die Beschwerde hatte beim OLG teilweise Erfolg. Das OLG hat den Streitwert zwar nicht wie beantragt auf 5.000 EUR, aber zumindest auf 2.000 EUR festgesetzt (§§ 65 S. 1, 60 Hs. 1, 52 Abs. 1 GKG). Bei der Wertfestsetzung hat sich das OLG an der sich aus dem Antrag des Betroffenen für ihn ergebenden Bedeutung der Sache orientiert (§ 52 Abs. 1 GKG). Die subsidiäre Regelung des § 52 Abs. 2 GKG sei nicht anzuwenden, da der Sach- und Streitstand genügende Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Streitwerts nach § 52 Abs. 1 GKG biete.

Bei der Streitwertbestimmung sei nach § 52 Abs. 1 i.V.m. § 60 Hs. 1 GKG die hier besonders hoch anzusetzende Tragweite der Entscheidung für den Untergebrachten zu berücksichtigen. Dem LG sei zwar insoweit zuzustimmen, als der Streitwert in Straf- und Maßregelvollzugssachen angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen bzw. Untergebrachten wegen des Kostenrisikos eher niedrig festzusetzen sei, allerdings müsse er aber bei Mitwirkung eines Verteidigers zumindest so hoch bemessen sein, dass die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheint. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass dem Betroffenen die Möglichkeit der Wahl eines Rechtsanwalts seines Vertrauens faktisch genommen wird (so auch OLG Koblenz, Beschl. v. 4.4.2019 – 2 Ws 767/18 Voll m.w.N.). Soweit das LG ausführe, das BVerfG habe sogar einen Streitwert von 200 EUR nicht beanstandet, greife dieses Argument schon deswegen nicht durch, weil das BVerfG mangels Entscheidungserheblichkeit in der zitierten Entscheidung zur Angemessenheit der Höhe eines Streitwerts von 200 EUR inhaltlich gerade keine Stellung genommen habe. Die Festsetzung des Streitwerts auf 500 EUR statt auf 200 EUR bietet im Übrigen hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für den Verteidiger keine Vorteile, da sowohl § 13 Abs. 1 S. 1 RVG als auch § 34 Abs. 1 S. 1 GKG den ersten Gebührensprung erst bei 500 EUR ansetzen. Unter Berücksichtigung des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) durch die angeordnete dreimonatige Zwangsmedikation und aufgrund der Tatsache, dass dem Betroffenen das Medikament Haloperidol bereits zweimal injiziert worden war, sei der Streitwert im konkreten Fall auf bis zu 2.000 EUR festzusetzen.

III. Bedeutung für die Praxis

Die Gegenstandswerte in Strafvollzugs- und Maßregelvollzugssachen werden meist (zu) niedrig festgesetzt (vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Gerold/Schmidt/Burhoff, Anhang VII Rn 25). Das wird u.a. damit begründet, dass der Gegenstandswert angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen bzw. Untergebrachten wegen des Kostenrisikos eher niedrig festzusetzen sei (KG RVGreport 2014, 323 = StRR 2014, 262; RVGreport 2015, 34 [800,00 EUR für Verlegung in andere JVA]; OLG Celle AGS 2010, 224; OLG Koblenz StraFo 2013, 305; vgl. auch noch OLG Karlsruhe RVGreport 2016, 232). Zutreffend ist es aber, wenn bei der Festsetzung auch die Belange des Verteidigers in den Blick genommen werden, denn die Tätigkeit des Verteidigers im Straf-/Maßregelvollzug muss wirtschaftlich vertretbar sein (so OLG Koblenz a.a.O.). Von daher ist die Entscheidung des OLG Hamm zu begrüßen. Sie geht einen Schritt in die richtige Richtung.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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