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Gebühren des als Terminsvertreter des Pflichtverteidigers beigeordneten Rechtsanwalts

Dem wegen der Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin beigeordneten Verteidiger steht als Vergütung für seine Tätigkeit als sogenannter „Terminsvertreter“ nicht nur die Terminsgebühr zu, sondern auch die Grundgebühr und die entsprechende Verfahrensgebühr.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Jena, Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20

I. Sachverhalt

Gestritten wird um die Höhe einer Pauschgebühr nach § 51 RVG. Dem Angeklagten war Rechtsanwalt 2 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Außerdem hatte Rechtsanwalt 1 beantragt, als (zweiter) Pflichtverteidiger für den damaligen Angeklagten beigeordnet zu werden, was LG und OLG aber abgelehnt hatten. Bereits in Vorbereitung der am 2.12.2015 begonnenen Hauptverhandlung wurde er für den damaligen Angeklagten – in Absprache mit dem bereits am 19.5.2015 beigeordneten Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt 2 – tätig. Im Zeitraum vom 2.12.2015 bis zum 24.5.2017 führte das LG an 45 Tagen die Hauptverhandlung durch. An 33 der 45 Hauptverhandlungstermine wurde der Antragsteller dem Angeklagten jeweils „für den heutigen Termin als Pflichtverteidiger beigeordnet“. Der beigeordnete Pflichtverteidiger Rechtsanwalt 2 hat den ehemaligen Angeklagten an acht Hauptverhandlungstagen verteidigt. An vier Hauptverhandlungstagen zum Ende des Verfahrens, an denen Plädoyers der anderen Verfahrensbeteiligten gehalten bzw. das Urteil verkündet wurde, ordnete das Gericht mit Rechtsanwalt 3 jeweils einen weiteren Verteidiger bei. Den Schlussvortrag für den ehemaligen Angeklagten hielt Rechtsanwalt 1 am 44. Hauptverhandlungstag.

Der Angeklagte ist freigesprochen worden. Rechtsanwalt 1 hat beantragt, ihm gemäß § 51 RVG eine Pauschgebühr in Höhe der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers zu gewähren. Der Bezirksrevisor hat vorgeschlagen, den Antrag abzulehnen. Der Antragsteller, der nur vertretungsweise für einzelne Hauptverhandlungstermine bestellt worden sei, habe ohnehin nur Anspruch auf die Terminsgebühren; für eine Erhöhung dieser bestehe kein Anlass. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 13.890 EUR bewilligt.

II. Entscheidung

Das OLG ist bei der Bewilligung der Pauschgebühr davon ausgegangen, dass der an 33 Terminstagen dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger/Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt 1 nicht ausschließlich einen Anspruch auf die Terminsgebühren hat. Es sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der wegen der Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit als sogenannter „Terminsvertreter“ nur die Terminsgebühren erhält, weil er lediglich als Vertreter des die Verteidigung insgesamt führenden Pflichtverteidigers beigeordnet worden ist, oder ob diesem weiteren Pflichtverteidiger eine (volle) Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zusteht. Dass der auf diese Weise beigeordnete Pflichtverteidiger ausschließlich einen Anspruch auf die Terminsgebühr hat, hätten u.a. das KG (StraFo 2008, 349 und NStZ-RR 2011, 295), das OLG Stuttgart (StraFo 2011, 198 = AGS 2011, 224 = RVGreport 2011, 141 = StRR 2011, 422) und das OLG Celle (Beschl. v. 10.6.2006 – 2 Ws 258/06) entschieden. Auch Hartmann (Kostengesetze, 49. Aufl. 2019, RVG VV 4100, 4101 Rn 2) spreche sich dafür aus. Die gegenteilige Auffassung werde u.a. vom OLG Hamm (AGS 2007, 37), OLG Karlsruhe (NJW 2008, 2935 = AGS 2008, 489), vom OLG Düsseldorf (Beschl. v. 29.10.2008 – III-1 Ws 318/08), vom OLG München (zuletzt RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 = StRR 2014, 271), vom OLG Köln (RVGprofessionell 2010, 153), vom OLG Nürnberg (RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118) und vom OLG Bamberg (NStZ-RR 2011, 223, Ls. = StRR 2011, 167, Ls.) vertreten. Der Senat habe sich dieser – inzwischen wohl überwiegenden (so auch OLG Saarbrücken RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117 = RVGprofessionell 2015, 60) – Auffassung, an der er auch weiterhin festhalte, bereits mit Beschluss vom 8.12.2010 ausdrücklich angeschlossen und dabei ausgeführt, dass sich die anwaltliche Vergütung im Einzelfall nach den durch die anwaltliche Tätigkeit konkret verwirklichten Gebührentatbeständen bemesse. In der Kommentarliteratur werde diese Auffassung von Burhoff (Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, VV 4100, 4101 Rn 5 und VV 4106, 4107 Rn 6; siehe Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4100 VV Rn 8) vertreten.

Danach stehe Rechtsanwalt 1 neben den Terminsgebühren zunächst die Grundgebühr zu. Es sei aber auch die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren nach Nr. 4112 VV RVG angefallen, denn dieser Gebührentatbestand werde durch die konkret erbrachte Tätigkeit des Antragstellers zweifelsfrei erfasst. In Abstimmung mit dem planmäßig beigeordneten Verteidiger, Rechtsanwalt 2, sei der Antragsteller mindestens seit November mit dem Verfahren befasst, denn er habe namens und in Vollmacht des damaligen Angeklagten seine Bestellung als Verteidiger neben Rechtsanwalt 2 beantragt und auch durch Schriftsatz vom 29.11.2015 an die Strafkammer und damit mehr als zwei Wochen vor der erstmaligen Beiordnung als Pflichtverteidiger für einen Hauptverhandlungstermin zu erkennen gegeben, dass er die Verteidigung insgesamt gemeinsam mit Rechtsanwalt 2 führe. Der weitere Verfahrensgang zeige, dass der Antragsteller und nicht der beigeordnete Rechtsanwalt 2 die Verteidigung des später Freigesprochenen sogar im Wesentlichen geführt habe. Rechtsanwalt 1 sei an 33 der 45 durchgeführten Hauptverhandlungstermine (wobei an vier Hauptverhandlungsterminen, an denen Rechtsanwalt 3 wegen Verhinderung der Rechtsanwälte 2 und 1 als Pflichtverteidiger bestellt wurde, ohnehin nur Schlussvorträge anderer Verfahrensbeteiligter gehört wurden) als Pflichtverteidiger aufgetreten, er habe am 44. Hauptverhandlungstag auch den Schlussvortrag zur Verteidigung des damaligen Angeklagten gehalten. Der insgesamt beigeordnete Verteidiger Rechtsanwalt 2 habe hingegen nur acht Hauptverhandlungstermine wahrgenommen. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG sei damit für den Antragsteller ohne jeden Zweifel konkret entstanden.

Bei der Berechnung der Pauschgebühr nach § 51 RVG ist das OLG von den gesetzlichen Gebühren, nämlich der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 160,00 EUR, der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG in Höhe von 148,00 EUR und 33 Terminsgebühren nach Nr. 4121 VV RVG in Höhe von insgesamt 8.448,00 EUR, also von insgesamt 8.756,00 EUR ausgegangen. Diese hat es wie folgt erhöht: Die Grundgebühr sei auf das 2,5-Fache der gesetzlichen Gebühren und die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG auf das Doppelte der Wahlverteidigerhöchstgebühr zu bemessen. Die Terminsgebühren hat das OLG pauschal um insgesamt 4.000 EUR erhöht. Selbst wenn festzustellen sei, dass die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine, an denen der Verteidiger teilgenommen habe, nur etwas weniger als zwei Stunden betragen habe, gleiche dies den außergewöhnlichen Umfang der Verteidigertätigkeit bei Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlungstermine, bezogen u.a. auf Widersprüche bei Erhebung der einzelnen Beweismittel, mögliche Beweisverwertungsverbote, Auseinandersetzung mit Schriftsätzen und Beweisanträgen der anderen Verteidiger und der Nebenklägervertreter sowie die Beiziehung neuer Beweismittel, in keiner Weise aus. Dass insgesamt der Verfahrensstoff erheblich erweitert worden sei, zeige sich schon daran, dass sich die Anklage auf BI. 6 ff. von Band IX der Akte und das Urteil auf BI. 51 ff. Bd. XV der Akte befindet. Auch die beachtliche Bedeutung des Verfahrens in der Öffentlichkeit sei mit zu berücksichtigen gewesen.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Der Terminsvertreter des Pflichtverteidigers ist voller Verteidiger, so dass ihm auch alle Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zustehen. Zur Begründung wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Gründe der vom OLG angeführten Rechtsprechung und Literatur verwiesen.

2. Zur Verfahrensgebühr hätte das OLG im Übrigen nicht so viel ausführen müssen. Denn diese und die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entstehen immer nebeneinander (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 40 f. m.w.N.).

3. Und: Für mich nicht nachvollziehbar ist der Pauschgebührbetrag von 13.890 EUR. Das OLG errechnet einen Gesamtbetrag von 13.888,00 EUR, den rundet es dann auf 13.890,00 EUR, also um 2 EUR (!) auf. Warum man, wenn man schon aufrundet, nicht auf 14.000 EUR oder zumindest auf 13.900 EUR aufrundet, erschließt sich mir nicht. Es handelt sich doch um eine Pauschgebühr.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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