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Corona-Pandemie: Maskenpflicht in der Hauptverhandlung

1. Eine auf § 176 GVG gestützte Anordnung, zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist regelmäßig nicht zu beanstanden.

2. Eine grundlose Weigerung des Verteidigers, dieser Anordnung zu folgen, kann eine Aussetzung des Verfahrens und hiernach eine Kostentragungspflicht nach § 145 Abs. 4 StPO zur Folge haben. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Ws 91/21

I. Sachverhalt

Mit dem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss hat die Strafkammer des LG das Verfahren gegen den Angeklagten abgetrennt, die Hauptverhandlung gegen diesen nach § 145 Abs. 1 StPO wegen eines einem unentschuldigten Ausbleiben gleichzusetzenden Verhaltens seines Verteidigers in der Hauptverhandlung ausgesetzt und dem Verteidiger die durch die Aussetzung verursachten Kosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO auferlegt. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass der Verteidiger sich wiederholt geweigert hatte, der von der Kammer getroffenen Anordnung, im Gerichtssaal einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, durch die die Kammer eine von dem Vorsitzenden zuvor getroffenen Anordnung bestätigt hat, zu folgen. Die Kammer hat ausgeführt, die Anordnung, in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, sei aus Gründen des vorbeugenden Infektionsschutzes ergangen, zumal die Hauptverhandlung gegen zwei 74-jährige Angeklagte geführt werde, von denen einer auch unter Asthma leide und daher einer Risikogruppe zuzuordnen seien. Die Beschwerde des Angeklagten hat das OLG als unbegründet verworfen.

II. Entscheidung

Nach heute im Grunde nicht mehr bestrittener Auffassung könne sich eine sitzungspolizeiliche Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Form einer Maske mit auch höherer Schutzklasse im Gerichtssaal auf vernünftige Gründe des Gemeinwohls stützen, sei diese zumindest zur Senkung der Wahrscheinlichkeit einer Covid-19-Infektion geeignet und sind mildere und gleich geeignete Mittel insoweit nicht ersichtlich (BVerfG MDR 2020, 1523). Dies gelte vor dem Hintergrund der aktuell bundesweit wieder massiv gestiegenen Infektionszahlen der sog. Dritten Welle und dem Auftreten der sog. Virusmutanten erst recht. Anfänglichen Zweifeln, ob das sitzungspolizeiliche Anordnen einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung im Sitzungssaal eine verhältnismäßige Maßnahme darstellt, sei angesichts der gegenwärtigen Entwicklung der Covid-19-Pandemie, der hiermit einhergehenden massiven gesundheitlichen Gefahren und der entsprechenden und dringenden Empfehlung des Robert-Koch-Instituts zum Tragen entsprechender Masken zur Überzeugung des Senats der Boden entzogen. Dies gelte umso mehr, als anders als noch zu Beginn der Pandemie das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes von irrationalen Erwägungen abgesehen inzwischen unstreitig das Infektionsrisiko senkt. Die Anordnung, auch in der Hauptverhandlung einen entsprechenden medizinischen Schutz zu tragen, sei hiernach nicht nur zulässig, sondern vielmehr dringend geboten und werde nach Beobachtung des Senats vom ganz überwiegenden Teil sämtlicher Verfahrensbeteiligter nicht nur geduldet, sondern regelmäßig auch gefordert. Nach alledem stehe es nicht im Belieben einzelner Verfahrensbeteiligter, sich aus offenkundigen und dringenden Gründen des Gesundheitsschutzes angeordneten Maßnahmen zu widersetzen.

Dies gelte auch für die hier angefochtene Maßnahme im Einzelfall, die ihre Grundlage in § 176 Abs. 1 GVG findet. Sie sei verhältnismäßig und halte sich im Rahmen des der Kammer eröffneten pflichtgemäßen Ermessens. Das Ermessen des Vorsitzenden beziehe sich dabei sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch darauf, in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der von der Anordnung betroffenen Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist. Der Vorsitzende sei in der Wahl seiner sitzungspolizeilichen Anordnungen grundsätzlich im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei. Die Anordnungsbefugnis nach § 176 Abs. 1 GVG umfasse dabei nicht zuletzt als Ausfluss der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht zum Schutz der Sicherheit von Leben und körperlicher Unversehrtheit aller im Sitzungssaal anwesenden Personen auch Maßnahmen des Infektionsschutzes. Wenn sich der Vorsitzende dabei im Rahmen gesundheitsbehördlicher Empfehlungen bewegt, werde dies in aller Regel nicht zu beanstanden sein (BVerfG a.a.O.). Denkbar seien insoweit Maßnahmen zum Abstand und zur Hygiene. Unter Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit könne hierzu auch die Anordnung gehören, dass Verfahrensbeteiligte im zumutbaren Rahmen Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen haben (für den Zivilprozess LG Frankfurt, Beschl. v. 5.11.2020 – 2-03 T 4/20, juris).

Dem stehe auch nicht die erst 2019 eingefügte Regelung in § 176 Abs. 2 GVG entgegen. Zwar bestimme § 176 Abs. 2 S. 1 GVG, dass an der Verhandlung beteiligte Personen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen dürfen. Hierbei habe es der Gesetzgeber allerdings nicht belassen, so dass für das von den Verteidigern der Angeklagten angeführte Argument einer am Wortlaut begrenzten Auslegung jede Grundlage fehlt. Denn in § 176 Abs. 2 S. 2 GVG habe der Gesetzgeber weiter bestimmt, dass der Vorsitzende Ausnahmen vom Verbot des Verhüllens gestatten kann, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens könne der Vorsitzende daher Ausnahmen von § 176 Abs. 2 S. 1 GVG bestimmen. Die Regelung sei ihrem Wortlaut nach zwar als Ausnahmeregelung konzipiert. Sind indes besonders gewichtige Schutzgüter wie das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Verfahrensbeteiligten betroffen, werde sich sowohl das Entschließungs- wie auch das Auswahlermessen des Vorsitzenden zunehmend einschränken und sich ggf. unter besonderer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in eine Handlungsverpflichtung zur Anordnung des (teilweisen) Verhüllens umwandeln.

Durch die Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung werde nicht in unzumutbarer Weise das Wesen der Beweisaufnahme beeinträchtigt oder in die Möglichkeiten der Verteidigung eingegriffen. Denn gerade die Einschränkung der Anordnung des Vorsitzenden, dass derjenige, dem das Wort erteilt ist, von der Anordnung ausgenommen ist, erlaube es allen Verfahrensbeteiligten, neben dem bloßen Inhalt einer mündlichen Äußerung auch die mimischen Regungen des Sprechenden wahrzunehmen. Zuzugeben sei den Angeklagten und der Verteidigung insoweit lediglich, dass durch das Verhüllen der unteren Gesichtshälfte die Mimik der übrigen Beteiligten nicht in dem Maße wahrgenommen werden kann, wie dies bei unbedeckten Gesichtern der Fall wäre. Dass hierdurch die Verteidigung in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wäre, sei indes nicht ersichtlich. Entsprechende Wahrnehmbarkeitsprobleme gebe es im Einzelfall auch ohne Mund-Nasen-Bedeckungen. Bei zahlreichen Verfahrensbeteiligten in sehr großen Gerichtssälen sei auch bislang schon das Erkennen jeder einzelnen Gesichtsregung aller übrigen Verfahrensbeteiligten erschwert. Gleiches gälte auch schon bislang etwa bei Trägern dichter Bärte. Die Wahrnehmbarkeit der Gestik bleibe dagegen stets erhalten. Das Tragen einer Maske stelle schließlich auch keine Beeinträchtigung der Verteidigung zu einer spontanen Intervention dar. Denn spontanes Sprechen sei auch mit Mund-Nasen-Bedeckung ohne weiteres möglich. Insoweit erweist sich die Maske allenfalls als lästig. Auch der Umstand, dass die Hauptverhandlung über 17 Verhandlungstage ohne die Anordnung des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung ausgekommen ist, mache die am 18. Verhandlungstag getroffene Anordnung angesichts der Pandemieentwicklung nicht widerrechtlich. Die Befugnis für sitzungspolizeiliche Anordnungen des Vorsitzenden erstrecke sich auch auf am Strafverfahren beteiligte Verteidiger. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut von § 176 Abs. 2 GVG, dessen Regelungsgehalt sich an alle am Verfahren beteiligten Personen richtet. Darüber hinaus könnten sich anerkanntermaßen auch sonstige, nach § 176 Abs. 1 GVG getroffene Anordnungen gegen am Verfahren beteiligte Verteidiger richten, was auch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung nicht beanstandet (etwa BVerfGE 48, 118 = NJW 1978, 1048).

Auch die von der Kammer angeordnete Aussetzung des Verfahrens sei nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerde hierzu vorbringt, anstelle der erfolgten Aussetzung hätte die Hauptverhandlung lediglich unterbrochen und dem von ihm vertretenen Angeklagten eine andere Anwältin beigeordnet werden können, sei zu berücksichtigen, dass das Beiordnen eines anderen Verteidigers nach weitgehend durchgeführter Beweisaufnahme nicht mehr in Betracht gekommen sei, weil zu diesem Zeitpunkt bereits 21 Verhandlungstage stattgefunden hatten, an denen 17 Zeugen und Zeuginnen vernommen, weitere Zeugenaussagen sowie Urkunden verlesen und viele Urkunden in Augenschein genommen worden waren. Eine längerfristige Unterbrechung der Hauptverhandlung sei demgegenüber als mildere Maßnahme nicht in Betracht gekommen, weil die Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 2 StPO für einen Zeitraum von bis zu einem Monat bereits unterbrochen worden war und seither nicht Hauptverhandlungstage in ausreichender Anzahl stattgefunden haben, um ein erneutes längerfristiges Unterbrechen zu ermöglichen. Das Feststellen der Hemmung des Laufs einer Unterbrechungsfrist gemäß § 10 EGStPO sei nicht in Betracht gekommen, da vorliegend nicht Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus die rechtzeitige Fortsetzung der Hauptverhandlung unmöglich gemacht haben, sondern das Verhalten des Verteidigers, der sich weigerte, einer aus Gründen des Infektionsschutzes erteilten Anweisung Folge zu leisten. Die Auferlegung der Verfahrenskosten beruhe auf § 145 Abs. 4 StPO. Der Verteidiger habe sich vorliegend nachhaltig und ohne ersichtlichen Grund der nicht zu beanstandenden Anordnung, im Sitzungssaal eine medizinische Maske zu tragen, widersetzt und auch trotz entsprechender Ankündigung ein ihn hiervon befreiendes Attest nicht beigebracht. Er habe hierdurch die notwendige Verteidigung seines Mandanten und eine Fortsetzung der Hauptverhandlung i.S.v. § 145 Abs. 1 StPO unmöglich gemacht.

III. Bedeutung für die Praxis

Dies ist wohl die erste obergerichtliche Entscheidung zur Anordnung des Tragens einer Mund- und Nasenbedeckung in der strafrechtlichen Hauptverhandlung zur Abwendung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2 und damit von besonderer Bedeutung für die Praxis (zur bußgeldrechtlichen Hauptverhandlung AG Reutlingen DAR 2021, 45 = StRR 10/2020, 32 = VRR 10/2020, 20 [jew. DeutscherDeutscherDeutscher, StRR 5/2020, 5). Das OLG bewegt sich dabei auf dem vom BVerfG in einem Nichtannahmebeschluss (MDR 2020, 1523) kursorisch skizzierten Argumentationspfad. Angesichts der massiven gesundheitlichen Folgen einer Corona-Infektion kann man der Ansicht des OLG im Ergebnis grundsätzlich nicht entgegentreten. Es bleiben aber Fragen offen. Der vom Gesetzgeber vor der Pandemie auf einem anderen Hintergrund Ende 2019 eingeführte § 176 Abs. 2 GVG weist zum Schutz der Wahrheitsfindung ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis auf. Im Rahmen der Ausnahme eine Anordnung zum Tragen von Masken für „geboten“ zu erachten und damit eine Ermessensreduzierung auf null anzunehmen, wie es das OLG hier tut, erscheint unter dieser gesetzlichen Vorgabe sehr weitgehend. Auch die Ansicht, die eingeschränkte Wahrnehmbarkeit der Mimik sei hier nicht von Bedeutung, muss in diesem Kontext hinterfragt werden. Zudem laufen gerade Berufsrichter und Schöffen Gefahr, beim Tragen von Masken bei StA, Angeklagten und Verteidigern den Anschein der Befangenheit zu erwecken, da mögliche abwertende Mimik nicht zu erkennen ist („Verstecken hinter der Maske“). Bei der Entscheidung zur Aussetzung wäre von Interesse gewesen, wie sich der von dem hier agierenden Verteidiger verteidigte Angeklagte zu einem möglichen Wechsel des Verteidigers und einer möglichen Unterbrechung positioniert hat. Davon ist leider nichts zu lesen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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