Beitrag

Besonders schwerer Landfriedensbruch

Die Aufnahme eines vor Ort vorgefundenen metallenen Caféstuhls zum Zwecke der Verwendung als Wurfgeschoss erfüllt die Voraussetzungen des Regelbeispiels des besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs gem. § 125a Abs. 1 Nr. 2 StGB – Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs –, ohne dass es einer darüber hinausgehenden Verletzungsabsicht bedürfte. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Oldenburg, Urt. v. 23.11.2020 – 1 Ss 166/20

I. Sachverhalt

Das AG hatte den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs unter Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls (§ 125a S. 1 StGB) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft – Letztere auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt – hat das LG als unbegründet verworfen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er sich gegen die Einordnung der Tat als besonders schwerer Fall gemäß § 125a StGB wendet. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Das OLG musste von folgenden Feststellungen des LG ausgehen: Im Zusammenhang mit einem Fußballländerspiel zwischen der niederländischen und der deutschen Nationalmannschaft kam es 2018 in der Innenstadt von Amsterdam vor einem Café zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Deutscher und einer Gruppe Niederländer, die aus Anlass des Fußballspiels nach Amsterdam gereist waren, wobei diese aufeinander einschlugen und eintraten und sich mit Stühlen aus dem Außenbereich des Cafés bewarfen. Der Angeklagte, der zunächst an einer Grachtenfahrt teilgenommen hatte, entschloss sich, an dieser Auseinandersetzung teilzunehmen. In der Folge wirkte er in der aus mindestens 25 Personen bestehenden deutschen Gruppe mit, indem er sich gewalttätig gerierte und in der Folgezeit insgesamt drei Caféstühle aus Metall mit Lehnen in Richtung der niederländischen Gruppe warf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, einen Niederländer zu treffen und zu verletzen. Ob durch den ersten geworfenen Stuhl jemand getroffen wurde, konnte das LG nicht festzustellen. Der zweite Stuhl ging bereits vor Erreichen der Niederländer zu Boden. Beim dritten Wurf war ein Niederländer gezwungen, eine Ausweichbewegung zu machen, um nicht von dem Stuhl getroffen zu werden.

Das OLG stellt keine Rechtsfehler fest. Insbesondere halte auch die Strafzumessung im Ergebnis revisionsrechtlicher Prüfung stand.

Das LG habe die Tat als unbenannten besonders schweren Fall im Sinne des § 125a S. 1 StGB eingestuft. Zwar liege keines der Regelbeispiele vor. Indem aber der Angeklagte dreifach Gegenstände auf Personen geworfen habe, wobei es Zufall sei, dass keine erheblichen Verletzungen entstanden seien, sei die Tat den Regelbeispielen vergleichbar. Wenngleich die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen nicht bestanden habe, gehe das Verhalten deutlich über den bereits ohne die Stuhlwürfe erfüllten Grundtatbestand des § 125 StGB hinaus.

Diese Erwägungen sind nach Auffassung des OLG nicht unbedenklich. Die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles erfordere, dass die Tat im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut mit den benannten Regelbeispielen vergleichbar sei. Indem das LG zwar auf eine mögliche erhebliche Verletzung abstelle, indessen ausdrücklich das Fehlen der Voraussetzungen des § 125a S. 2 Nr. 3 StGB feststelle, liege insoweit eine Vergleichbarkeit gerade nicht vor. Das wiederholte Werfen allein könne die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles ebenfalls nicht begründen.

Aber: Die Strafzumessung beruhe nicht auf diesem Rechtsfehler. Denn entgegen der Auffassung des LG sei durch das Werfen mit einem Metallstuhl das Regelbeispiel des § 125a S. 2 Nr. 2 StGB erfüllt. Anders als bis zur Änderung dieser Vorschrift durch das 44. Strafrechtsänderungsgesetz mit Wirkung vom 5.11.2011 erfordere dieses Regelbeispiel nicht mehr das Beisichführen einer anderen Waffe als einer Schusswaffe in Verwendungsabsicht, sondern lasse hierfür das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs ausreichen. In der aktuellen und auch zur Tatzeit gültigen Fassung das 52. Strafrechtsänderungsgesetz mit Wirkung vom 30.5.2017 bedürfe es nicht einmal mehr der Verwendungsabsicht beim Beisichführen.

Ein Beisichführen liege – so das OLG – bereits dann vor, wenn sich der Täter des Gegenstandes ohne Schwierigkeiten bedienen kann, also etwa durch Ergreifen eines auf dem Boden liegenden Pflastersteines während der Tat (vgl. MüKo/Schäfer, StGB, 3. Aufl., § 125a Rn 19). Die von dem Angeklagten geworfenen Metallstühle stellen auch gefährliche Werkzeuge im Sinne dieses Regelbeispiels dar. Hierunter fallen auch Gegenstände, die zwar nicht bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, wohl aber nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dazu zählen nicht nur Flaschen, Steine etc., sondern etwa auch als Wurfgeschoss verwendete Plastikklappstühle (vgl. KG, Urt. v. 6.7.2010 – 1 Ss 462/09). Das Werfen von Caféstühlen aus Metall erfülle daher, wovon bereits die Anklage zutreffend ausgegangen sei, erst recht das Regelbeispiel. Die Kommentierung bei Fischer (StGB, 67. Aufl., § 125a Rn 4) stehe dem nicht entgegen. Diese beziehe sich, wie sich aus dem Zusammenhang ergebe, allein auf die Frage, ob mitgeführte Alltagsgegenstände auch ohne Verwendungsabsicht schon geeignet seien, das Regelbeispiel zu erfüllen. Hierauf komme es aber angesichts der durch die Würfe dokumentierten tatsächlich vorliegenden Absicht, die Gegenstände als Werkzeug gegen Personen einzusetzen (vgl. dazu BGH NStZ-RR 2019, 203; LK-Krauß, StGB, 12. Aufl., § 125a Rn 17), nicht an.

Eine über diese Gebrauchsabsicht hinausgehende Verletzungsabsicht sei hingegen nicht erforderlich. Soweit das KG (a.a.O.) dahingehende Feststellungen für erforderlich gehalten habe, um zur Bejahung eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs zu gelangen, sei dieses der damaligen, andere gefährliche Werkzeuge nicht umfassenden Ausgestaltung des Regelbeispiels in § 125a S. 2 Nr. 2 StGB geschuldet. Angesichts des damaligen Wortlauts der Vorschrift wäre es mit dem Analogieverbot nicht vereinbar gewesen, durch die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles i.S.v. § 125a S. 1 StGB das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsabsicht ohne Weiteres dem das Regelbeispiel des § 125a S. 2 Nr. 2 StGB erfüllenden Beisichführen einer Waffe in Verwendungsabsicht gleichzustellen. Der deswegen durch das KG (a.a.O.) aufgestellten weitergehenden Anforderungen an die subjektive Tatseite bedarf es aber nach der Erweiterung des Regelbeispiels auf andere gefährliche Werkzeuge nicht mehr.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Begründung des OLG ist m.E. überzeugend. Im Ergebnis hat die Revision dem Angeklagten aber nichts gebracht. Das OLG hat nämlich ausgeschlossen, dass das LG bei Annahme eines benannten statt eines unbenannten Regelbeispiels gleichwohl zugunsten des Angeklagten von der Anwendung des für besonders schwere Fälle vorgegebenen Strafrahmens abgewichen wäre. Die Festsetzung der danach zulässigen Mindeststrafe beschwerte den Angeklagten somit ebenso wenig wie auch die Strafaussetzung zur Bewährung.

2. Auf den ersten Blick verwundert sicherlich ein wenig, dass die deutschen Gerichte diese in den Niederlanden begangene Tat ahnden. Da die Tat aber auch nach niederländischem Recht strafbar wäre (Art. 141 des niederländischen StGB) und der Angeklagte deutscher Staatsangehöriger ist, unterliegt die Tat gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB der deutschen Strafgewalt.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…