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Anordnung eines Corona-Schnelltests vor Teilnahme an einer Hauptverhandlung

Für die richterliche Anordnung der Durchführung eines Corona-Schnelltests vor der Teilnahme des Betroffenen an einer Hauptverhandlung besteht keine Ermächtigungsgrundlage. Das Gericht ist auch nicht aus Gründen des Infektionsschutzes zum Erlass einer entsprechenden Anordnung verpflichtet. (Leitsatz des Gerichts)

LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 1.7.2021 – 5/9 Qs OWi 61/21

I. Sachverhalt

Zur Vorbereitung des anberaumten Hauptverhandlungstermins in einem Bußgeldverfahren hat das AG Folgendes angeordnet: „Im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und die mit ihr verbundenen Ansteckungsrisiken wird zum Schutz der an der Verhandlung teilnehmenden Beteiligten die Durchführung eines tagesaktuellen Schnelltests angeordnet.“ Die Beschwerde des Betroffenen war erfolgreich.

II. Entscheidung

Nach § 176 Abs. 1 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden des Gerichts. Die Norm diene nach ständiger Rechtsprechung in Zeiten der Corona-Pandemie als taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung des Vorsitzenden zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Sitzung (OLG Celle StraFo 2021, 242 = StRR 5/2021, 18 [Deutscher). Diese Vorschrift solle die Wahrung der Ordnung in der Sitzung sicherstellen und ermächtigt zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um den störungsfreien und gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung zu sichern. Sie diene damit neben dem Schutz einer geordneten Rechtspflege der Sicherstellung des Prozesses der Rechts- und Wahrheitsfindung und daneben auch der Wahrung der subjektiven Rechte der Verfahrensbeteiligten oder betroffener Dritter. Das Ermessen des Vorsitzenden beziehe sich dabei sowohl auf die Frage, ob überhaupt eingeschritten wird, als auch darauf, in welcher Weise auf eine drohende Störung unter Abwägung der von der Anordnung betroffenen Rechtsgüter unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu reagieren ist. Die Anordnungsbefugnis nach § 176 Abs. 1 GVG umfasse dabei nicht zuletzt als Ausfluss der aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht zum Schutz der Sicherheit von Leben und körperlicher Unversehrtheit aller im Sitzungssaal anwesenden Personen auch Maßnahmen des Infektionsschutzes. Zum Schutz der Beteiligten sei der Vorsitzende angesichts des grundrechtlich verankerten Schutzgutes von Leben und körperlicher Unversehrtheit dazu verpflichtet, durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Gefahr der Ansteckung mit einer möglicherweise gefährlichen oder im Einzelfall gar tödlichen Erkrankung in der Sitzung so gering wie möglich gehalten wird. Wenn sich der Vorsitzende dabei im Rahmen gesundheitsbehördlicher Empfehlungen bewegt, werde dies in aller Regel nicht zu beanstanden sein, soweit die Anordnung einer Pflicht zum Tragen von Masken betroffen ist (BVerfG MDR 2020, 1523).

Ob § 176 Abs. 1 GVG auch als Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Corona-Schnelltests für die Verfahrensbeteiligten dient, sei indes bislang in der Rechtsprechung nicht ausführlich diskutiert worden. Soweit das LG Chemnitz (StRR 5/2021, 23 [Deutscher]) ausgeführt hat, hinsichtlich der Anordnung des Vorsitzenden zur Durchführung eines Schnelltests und Vorlage eines negativen Testergebnisses würden dieselben Grundsätze gelten wie zur Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes, folge die Kammer dem nicht. Es lasse sich zwischen der Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und der Anordnung der Durchführung eines Corona-Schnelltests für alle an der Verhandlung teilnehmenden Beteiligten keine Parallele ziehen. Zum einen sei mit der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes ein nur geringfügiger Grundrechtseingriff verbunden, wohingegen die Durchführung eines Schnelltests einen viel erheblicheren Eingriff in die körperliche Integrität der zu testenden Person mit sich bringt. Zum anderen könne die Anordnung einer allgemeinen und insbesondere einzelfallunabhängigen Testpflicht die Verfahrensbeteiligten davon abschrecken, ihr Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung wahrzunehmen, da sich im Falle eines positiven Ergebnisses des Schnelltests die getestete Person unverzüglich bis zum Vorliegen des Ergebnisses eines sog. PCR-Tests in Quarantäne zu begeben hat (§ 3a Abs. 1 Corona-Quarantäneverordnung Hessen), zumal dem Gericht auch mildere Mittel zur Verfügung stünden, um für einen ausreichenden Infektionsschutz im Sitzungssaal zu sorgen. Dies könne insbesondere in der Anordnung eines Mund-Nasen-Schutzes bestehen sowie der regelmäßigen Belüftung des Sitzungssaals und dem Aufstellen von Trennwänden zwischen den Verfahrensbeteiligten. Der weite Ermessens- und Beurteilungsspielraum des Vorsitzenden könne nur so weit reichen, wie Güter von Verfassungsrang durch die in Grundrechte eingreifende Maßnahme in unverhältnismäßiger Weise tangiert werden. Dass der vom Coronavirus ausgehenden Gesundheitsgefahr nur durch die – hier sogar verpflichtende – Durchführung eines Schnelltests begegnet werden kann, sei nicht zwingend. Zudem sei die Durchführung eines Tests durch geschultes Testpersonal nicht angeboten worden.

Auch die Corona-Schutzverordnungen des Landes Hessen ermächtigten bzw. verpflichteten die Gerichte nicht dazu, die Durchführung eines Schnelltests zulasten der Verfahrensbeteiligten anzuordnen. Eine Regelung dahin, dass die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung an die Durchführung eines Corona-Schnelltests geknüpft ist, fehle in der Verordnung. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Coronavirus-Schutzverordnung schreibe lediglich das Tragen einer OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder einer sonstigen medizinischen Maske in innenliegenden Publikumsbereichen aller öffentlich zugänglichen Gebäude – wozu auch Gerichtsäle zählen – vor, jedoch nicht die vorherige Durchführung eines Schnelltests vor Betreten des Sitzungssaales. Eine Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Anordnung finde sich auch nicht im IfSG. § 28 Abs. 1 IfSG ermächtige die zuständige Behörde, Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung einer übertragbaren Krankheit nach ihrem Auftreten zu treffen, wozu Gerichte nicht gehörten. § 28b Abs. 1 IfSG enthalte keine dahingehende Vorschrift. Eine Rechtsgrundlage ergebe sich auch nicht aus § 28b Abs. 5 IfSG. Hiernach bleiben weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes unberührt. Dies bedeute aber, dass sich die angeordnete Maßnahme zum Schutz vor Gesundheitsrisiken auf eine Rechtsgrundlage im IfSG stützen lassen muss. Das Gericht sei auch nicht gehalten gewesen, aus seiner aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgenden Schutzpflicht die Durchführung eines Schnelltests auf Grundlage des § 176 Abs. 1 GVG anzuordnen. Zum einen sei die Anordnung sehr pauschal gehalten, da sie jeglichen Verfahrensbeteiligten unabhängig von der Frage trifft, ob dieser aufgrund seines Alters oder seiner körperlichen Konstitution im Falle einer Ansteckung mit einem schweren Verlauf zu rechnen hat. Ob ein Verfahrensbeteiligter für den Fall einer Infektion einer erhöhten Gesundheitsgefahr ausgesetzt wäre, sei vorliegend durch das Gericht nicht geprüft worden. Zum anderen könne der Infektionsgefahr durch mildere Maßnahmen begegnet werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Aktuell (Juli 2021) scheint die Corona-Pandemie zwar nicht eingedämmt, aber angesichts der Impfquote beherrschbarer geworden zu sein. Gleichwohl sind gerichtliche Schutzmaßnahmen für die Durchführung von Hauptverhandlungen weiterhin angezeigt. Hierfür bietet der vorliegende Beschluss einen weiteren Mosaikstein, was zulässig ist und was nicht. Angesichts der möglichen und in der Praxis auch üblichen Schutzmaßnahmen mit deutlich geringerer Eingriffsintensität als ein Schnelltest vermag die Argumentation des LG zu überzeugen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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