Beitrag

Anonyme Anzeige als Grundlage einer Durchsuchung

Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen. (Leitsatz des Verfassers)

LG Hildesheim, Beschl. v. 27.10.2020 – 26 Qs 61/20

I. Sachverhalt

Gegen den Beschuldigten ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das WaffenG anhängig. In dem ist am 28.7.2020 die Durchsuchung der Wohnung mit allen Nebenräumen des Beschuldigten in Hildesheim gemäß §§ 102, 105 StPO angeordnet worden, weil aufgrund von Tatsachen zu vermuten sei, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Schusswaffen und Munition führen werde. Den Verdacht hat das AG auf einen anonymen Hinweis gestützt. Noch bevor die Durchsuchung erfolgte, hat das AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 25.8.2020 die Durchsuchung des Bankschließfaches des Beschuldigten bei der Kreissparkasse zum Zwecke des Auffindens von scharfen Schusswaffen, Munition und Waffenbauteilen angeordnet. Die Durchsuchungen sind am 28.8.2020 von Polizeibeamten vollzogen worden. Der Beschuldigte hat gegen beide Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerde eingelegt und beantragt, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Durchsuchungen festzustellen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Il. Entscheidung

Nach Auffassung des LG waren die Durchsuchungsanordnungen nicht von den §§ 102, 103, 105 StPO gedeckt. Für die Anordnung einer Durchsuchung sei der Verdacht erforderlich, dass eine Straftat begangen wurde. Dieser Anfangsverdacht müsse auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liege vor, wenn sich sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen. Die Durchsuchung müsse vor allem auch in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen. Angaben anonymer Hinweisgeber seien als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen dabei nicht generell ausgeschlossen. Ein solcher pauschaler Ausschluss widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren als Voraussetzung für die Gewährleistung des Schuldprinzips. Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen. Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme wie eine Durchsuchung könne eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG StRR 10/2016, 8).

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnungen habe – so das LG – lediglich eine schriftliche anonyme „Aussage“ und das Ermittlungsergebnis zum Schließfach des Beschuldigten vorgelegen. Die anonyme Anzeige habe sachlich nicht eine solche Qualität erreicht, dass ein hinreichender Anfangsverdacht für Durchsuchungsanordnungen hinsichtlich des Verstoßes gegen das WaffenG gegen den Beschuldigten bestehe. Der anonyme Hinweisgeber wende sich mit seinem Schreiben gegen die in X lebende Familie Y und führe aus, wo die verschiedenen Familienmitglieder wohnen und arbeiten. Der Beschuldigte und ein weiteres Familienmitglied hätten mehrere Häuser in X und in Z von dem Geld eines Familienclans Y aus A gekauft. Bezüglich des Vorwurfs des Verstoßes gegen das WaffenG trage er lediglich vor: „In jeder von diesen Wohnungen gibt scharfe Waffen.“ Konkrete Angaben zu den Waffen, z.B. ob er diese gesehen habe und näher beschreiben könne oder woher er diese Erkenntnis habe, fehlten. Zwar habe sich die Angabe des Hinweisgebers, dass der Beschuldigte ein Bankschließfach hat, bestätigt. Hierauf könne aber nicht der Verdacht des unerlaubten Waffenbesitzes gestützt werden, weil der Hinweisgeber ausgeführt habe, dass in dem Schließfach viel Geld und Gold sei. Weitere Ermittlungen hätten auch nicht zur Konkretisierung des pauschalen Vorwurfs des Hinweisgebers geführt. Insbesondere sei der Beschuldigte bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insoweit sei der polizeiliche Vermerk im Rahmen der Anregung der Durchsuchungsanordnung, dass polizeiliche Ermittlungen eine latente Steigerung des Verlangens einzelner Straftäter in allen Deliktsbereichen, sich zu bewaffnen, belegen würden, für die Kammer nicht nachvollziehbar.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Der Beschluss macht noch einmal deutlich, dass anonyme Anzeigen als Grundlage einer Durchsuchungsanordnung nur taugen, wenn sie durch entsprechende Tatsachen untermauert sind. Die anonyme Anzeige allein dürfte i.d.R. nicht ausreichen. Und: Die Grundlage der Durchsuchungsanordnung muss auf jeden Fall besonders sorgfältig geprüft werden (BVerfG a.a.O.; LG Augsburg wistra 2018, 96; LG Bad Kreuznach StraFo 2015, 64; LG Bremen StraFo 2009, 416; LG Karlsruhe StraFo 2005, 420; LG Offenburg NStZ 1997, 626; LG Regensburg StV 2004, 198 [Ls.]; LG Stuttgart StRR 2008, 322 [Ls.], AG Bautzen StraFo 2015, 20).

2. In der Rspr. wird darüber hinaus z.T. davon ausgegangen, dass eine anonyme Anzeige überhaupt keine Durchsuchungsgrundlage sein könne (u.a. LG Bad Kreuznach, LG Stuttgart, AG Bautzen [BVV] jew. a.a.O.). So weit geht das LG Hildesheim aber nicht.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…