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Keine Pflicht des Anfechtungsklägers zur Sachstandsanfrage binnen Sechsmonatsfrist

Keine Pflicht des Anfechtungsklägers zur Sachstandsanfrage binnen Sechsmonatsfrist

BGH, Beschl. v. 7.4.2022 – V ZR 165/21

I. Der Fall

Die Parteien, die beiden zerstrittenen Eigentümer einer in Wohnungseigentum aufgeteilten Liegenschaft, stritten um den Beschluss über Sanierungsmaßnahmen. Nachdem ein Sachverständiger einen partiellen Reparaturbedarf erst nach Ablauf von drei bis fünf Jahren festgestellt hatte, empfahl ein Dachdecker nach Öffnung des Daches dessen vollständige Sanierung. Den entsprechenden Beschluss auf der Eigentümerversammlung vom 19.11.2019 fochten die Kläger mit einer am 19.12.2019 bei Gericht eingegangenen Klageschrift an. Der am 30.12.2019 angeforderte Kostenvorschuss ging am 15.1.2020 ein. Nach Sachstandsanfrage des Klägervertreters vom 6.7.2020 wurde die Klage am 14.7.2020 zugestellt. Das AG hat die Anfechtung wegen Versäumung der Anfechtungsfrist abgewiesen, das Berufungsgericht gab ihr mangels hinreichender Sachverhaltsaufklärung vor der Beschlussfassung statt. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel hatte einstweilen Erfolg.

Zu Recht sieht das Berufungsgericht die Anfechtungsfrist allerdings als gewahrt an. Denn die Kläger haben den Gerichtskostenvorschuss rechtzeitig eingezahlt. Die Zustellung erst am 14.7.2020 geht ausschließlich auf Versäumnisse des Gerichtes zurück, für die die Kläger nicht einstehen müssen. Insbesondere trifft sie keine Pflicht zur Nachfrage nach dem Stand des Verfahrens, auch nicht analog § 204 Abs. 2 S. 2 BGB binnen sechs Monaten. Der Anfechtungskläger darf auf eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Amtspflichten durch das Gericht vertrauen. Der Beschluss durfte auch nicht ohne weiteren Hinweis auf die nach Auffassung des Gerichtes ungenügende Sachverhaltsaufklärung für ungültig erklärt werden. Denn bei einer Abweichung von der Vorinstanz in entscheidungserheblichen Punkten darf die erstinstanzlich siegreiche Partei darauf vertrauen, einen Hinweis des Berufungsgerichtes zu erhalten. Anderenfalls trifft es eine prozessual unzulässige Überraschungsentscheidung.

III. Der Praxistipp

Die Entscheidung gilt auch für das neue Recht, da Klage- und Begründungsfrist in § 44 WEG übernommen wurden. In der Sache schränkt der BGH die gerade in Entscheidungen des LG Frankfurt/M. häufig gerügte ungenügende Sachverhaltsermittlung als Anfechtungsgrund ein. Wenn nach Einholung eines Sachverständigengutachtens weitergehende Erkenntnisse eine Abweichung hiervon rechtfertigen, bedarf es nicht der erneuten Begutachtung. Auf eine solche zweite sachverständige Stellungnahme, die auf einer neuen gründlichen Untersuchung beruht, dürfen sich die Wohnungseigentümer verlassen.

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