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Behandlung von Betriebsschließungen wegen Corona im Urkundenprozess

Behandlung von Betriebsschließungen wegen Corona im Urkundenprozess

BGH, Urt. v. 16.2.2022 – XII ZR 17/21

I. Der Fall

Die Mietvertragsparteien streiten um die Zahlung von Miete. Die Beklagte mietete mit Vertrag vom Dezember 2011 ein Ladenlokal samt Kellerfläche zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes für Damenoberbekleidung. Die monatliche Bruttomiete betrug zuletzt 9.847,27 EUR. Aufgrund verschiedener Verordnungen der hessischen Landesregierung konnte die Mieterin ihr Geschäft entweder gar nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen öffnen. Sie zahlte die Miete für April und Mai nicht, woraufhin sie die Vermieterin im Urkundenprozess einklagte. Ihre Klage führte in den Tatsacheninstanzen zur Verurteilung der Beklagten, der die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten blieb. Hiergegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revisionen der Beklagten.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel blieb mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen ohne Erfolg. Allerdings hält der Senat daran fest, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist (BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21; Infobrief 1/2022). Ebenso bleibt er bei seiner Auffassung, dass die Schließung des Ladengeschäftes kraft hoheitlicher Allgemeinverfügung keinen Mangel der Mietsache darstellt. Es kommt aber eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Denn die Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie fallen nicht alleine in den Risikobereich des Mieters. Dem Vertragspartner muss das Festhalten am Vertrag aber nicht mehr zumutbar sein. Dem wird eine pauschale Betrachtungsweise etwa in Form einer hälftigen Kürzung der Miete nicht gerecht. Vielmehr kommt es darauf an, welche Nachteile der Mieter aufgrund der behördlichen Maßnahmen erleidet. Dabei ist nicht auf den Konzernumsatz, sondern auf das konkrete Mietobjekt abzustellen. Umgekehrt sind Vorteile aufgrund staatlicher Hilfen zu berücksichtigen. Die wirtschaftliche Existenz des Mieters muss allerdings nicht gefährdet sein. Den Nachweis, dass ihm ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, muss der Mieter führen, wobei er auch darzulegen hat, dass er sich vergeblich um staatliche Hilfen bemüht hat. Anderenfalls muss er sich so stellen lassen, als hätte er staatliche Hilfen erhalten. Umgekehrt kann Bedeutung erlangen, dass der Vermieter wirtschaftlich auf die Miete angewiesen ist. Diese Einwendungen des Mieters und die entgegenstehenden Umstände auf Vermieterseite können indessen schon deswegen nicht im Urkundenprozess behandelt werden, weil der hierfür erforderliche Tatsachenvortrag nicht mit Urkunden zu beweisen ist. Daher bleiben sie dem Nachverfahren vorbehalten.

III. Der Praxistipp

Der BGH wiederholt teilweise wörtlich seine rechtliche Beurteilung von Betriebsschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie. Neu sind nur die Ausführungen zur Klage auf Mietzahlung im Urkundenprozess. Dieser ist zulässig. Der einzige dem Mieter mögliche Einwand aus § 313 Abs. 1 BGB kann dagegen erst im Nachverfahren Berücksichtigung finden.

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