Ein Rechtsschutzversicherer kann Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers wegen fehlerhafter Prozessführung aus übergegangenem Recht unmittelbar gegen den Anwalt geltend machen. Auch in rechtsschutzversicherten Mandaten trifft den Anwalt dieselbe Sorgfaltspflicht wie bei selbstzahlenden Mandanten. Soweit es um den Prozesskostenschaden geht, greift auch nicht der Einwand, der Prozess wäre ohnehin verloren gegangen, sodass kein Schaden entstanden sei.
- 1.Gem. § 86 VVG gehen auch Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Anwalt wegen fehlerhafter Prozessführung auf den Rechtsschutzversicherer über.
- 2.Wissentlich wahrheitswidrige Angaben des Anwalts im Mahnbescheid – eine Gegenleistung sei bereits erbracht – lösen einen Schadensersatzanspruch aus, wenn dadurch die verjährungshemmende Wirkung entfällt.
- 3.Auch eine fehlerhafte Berechnung der Anwaltsgebühren als Nebenforderung im Mahnbescheid, die zu einer verzögerten Zustellung und damit zum Eintritt der Verjährung führt, geht zu Lasten des Anwalts.
- 4.Der Einwand, ein Prozess wäre ohnehin verloren gegangen, es sei daher kein Schaden entstanden, ist für den Prozesskostenschaden unerheblich.
- 5.Ein Mitverschulden der Rechtsschutzversicherung liegt nicht vor.
LG Würzburg, Urt. v. 1.4.2021 – 12 O 2251/19
I.Sachverhalt
Die Klägerin, eine Rechtsschutzversicherung, macht Schadensersatzansprüche ihres Versicherungsnehmers aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten, einen Rechtsanwalt, geltend. Der Beklagte hat als Anwalt des Versicherungsnehmers in einem zivilrechtlichen Verfahren Schadensersatzansprüche aufgrund einer behaupteten fehlerhaften Kapitalanlageberatung geprüft und geltend gemacht.
Kurz vor dem ihm bekannten Ablauf der Verjährungsfrist beantragte der Beklagte zur Verjährungsunterbrechung einen Mahnbescheid gegen die Anspruchsgegner, der die Rückzahlung der Anlagesumme zzgl. Nebenforderungen an den Versicherungsnehmer zum Gegenstand hatte.
Im Antragsformular gab der Beklagte an, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei. In der nach Zustellung des Mahnbescheides eingereichten Anspruchsbegründung beantragte der Beklagte hingegen, die beiden Anspruchsgegner zur Rückzahlung der Beteiligungssumme Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten aus der Beteiligung zu verurteilen.
Der Prozess ging verloren, die Ansprüche wurden wegen Verjährung abgewiesen. Der Mahnbescheid sei nicht rechtzeitig und auch nicht „demnächst“ nach Eingang der Mahnanträge zugestellt worden. Bis zur Zustellung des Mahnbescheids lägen mehr als drei Monate, womit eine erhebliche Verzögerung vorliege. Die Verzögerung beruhe darauf, dass die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unangemessen hoch gewesen seien und erst nach mehreren Monierungsschreiben dann plausible Werte vorgelegt wurden.
Selbst wenn, so das LG weiter, die Zustellung des Mahnbescheides noch „demnächst“ erfolgt wäre, könne sich der Kläger wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf die verjährungsunterbrechende Wirkung berufen, da in den Mahnanträgen wissentlich falsch angegeben worden sei, die geschuldete Leistung bereits erbracht zu haben, um die objektiv gebotene Zurückweisung der Mahnanträge zu vermeiden.
Die Klägerin bestätigte den Versicherungsschutz für die erste und für die vom Anwalt als erfolgversprechend angesehene Berufungsinstanz; für die Berufungsinstanz unter dem Vorbehalt der späteren Prüfung eines Schadenersatzes, da der Beklagte den Umstand des Ablaufs der Verjährungsfrist zu vertreten habe. Auch das Berufungsverfahren der Hauptsache blieb erfolglos.
Die Klägerin forderte sodann die Kosten von über 20.000,00 EUR der ersten und zweiten Instanz beim Beklagten zurück und stützt dies auf dessen schuldhafte vorsätzlich rechtsfehlerhafte Handlung, zumindest auch auf Fahrlässigkeit und damit schuldhaft i.S.d. § 276 BGB: Die Angabe, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei und die Rechtsverfolgungskosten zu hoch geltend gemacht wurde und somit die Hemmung der Verjährung vereitelt wurde.
Eine Zahlung des Beklagten erfolgte nicht. Er berief sich u.a. darauf, dass die Ansprüche der Klägerin verjährt seien, da der Versicherungsnehmer bereits früher Kenntnis erlangt hatte. Dies müsste sich der Versicherer zurechnen lassen. Darüber hinaus hätte der Versicherer trotz der Kenntnis aller Umstände Kostenschutz für die Berufung erteilt.
II.Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Anwalt gehen auf den Rechtsschutzversicherer über
Die Klage der Rechtsschutzversicherung ist zulässig und begründet.
Gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG, § 17 Abs. 9 ARB gehen Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen Dritte auf Erstattung von Kosten, die der Versicherer getragen hat, mit ihrer Entstehung auf den Versicherer über. Das Gericht bejaht einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Beklagten wegen Verletzung der Pflichten aus dem geschlossenen Anwaltsvertrags. Von dem Forderungsübergang erfasst werden auch Schadenersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen seinen Rechtsanwalt wegen fehlerhafter Prozessführung, etwa bei einem Kostenschaden aufgrund der gerichtlichen Geltendmachung einer verjährten Forderung (OLG Köln, Urt. v. 29.6.1993 – 9 U 237/92, NJW-RR 1994, 27, 28; Armbrüster, in: Prölls/Martin, VVG. 30. Aufl., § 17 ARB 2010, Rn 59). Die Klägerin ist daher zur Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs wegen entstandener Prozesskosten aktiv legitimiert.
Ein Rechtsanwalt hat die Pflicht, keine kostenauslösenden rechtlichen Schritte zu ergreifen, die nicht geeignet sind, den Rechten des Mandaten zur Durchsetzung zu verhelfen (OLG Bamberg NJW-RR 2019, 443 = AGS 2019, 204). Pflichtwidrig ist es, einen verjährten Anspruch einzuklagen, wenn mit der Erhebung der Verjährungseinrede zu rechnen ist (OLG Celle, Urt. v. 9.11.2005 – 3 U 83/05, Tz. 10; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts, 9. Aufl., Rn 2306).
Diese Pflicht hat der Beklagte dadurch verletzt, dass er einen Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist den Erlass eines Mahnbescheids unter der wissentlich und willentlich wahrheitswidrigen Angabe beantragt hat, dass die Gegenleistung, von der der Anspruch abhänge, bereits erbracht sei.
Darüber hinaus hat er die Anwaltsgebühren derart unangemessen hoch und fehlerhaft berechnet, sodass es zu mehreren Monierungsschreiben des Gerichts führte. Damit wurde der Mahnbescheid verzögert zugestellt. Auch diese anwaltliche Pflichtverletzung führte dazu, dass der Versicherungsnehmer sich nicht auf die Hemmung der Verjährung berufen konnte. Hierin ist eine Pflichtverletzung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht des Anwalts zu sehen.
Die Erteilung der Deckungszusage – auch für die zweite Instanz unter Vorbehalt – stellt kein Mitverschulden der Rechtsschutzversicherung nach § 245 BGB dar, da der Rechtsschutzversicherer nicht als Erfüllungsgehilfe des Versicherungsnehmers tätig wird und eine Prüfungspflicht des Versicherungsnehmers nicht besteht. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs folgt aus übergegangenem Recht und ein Mitverschulden des Versicherungsnehmers ist nicht zu erkennen. Auch ein Mandant trifft keine Überprüfungspflicht der Arbeit seines Rechtsanwalts.
Die Erstattung der Rechtsschutzversicherung ändert nichts am Schaden des Versicherungsnehmers, denn der Anspruch des Kostengläubigers ist gegen ihn gerichtet. Es muss nicht geprüft werden, ob der Schaden auch entstanden wäre, wenn sich der Rechtsanwalt vertragsgerecht verhalten hätte, da sein Fehlverhalten eine Handlung ist, welche unmittelbar einen realen Schaden hervorgerufen hat.
Darüber hinaus reicht auch nicht die bloße Vermutung des Versicherungsnehmers aus, dass der Anwalt einen Fehler gemacht hat, um von einer Kenntnis maßgeblich für die Verjährung zu sprechen. Ein Mandant kann auf die Entscheidungsgründe warten, da Versicherungsnehmer meistens juristische Laien sind.
Die Schadenhöhe summiert sich auf die Kosten, die ab Stellung des mit den falschen Angaben versehenen Mahnantrags entstanden sind.
III.Bedeutung für die Praxis
1.Prüfung der Erfolgsaussichten
Für den Rechtsanwalt gelten keine anderen Grundsätze der Prüfung des Sachverhalts und der Erfolgsaussichten, nur weil eine Rechtsschutzversicherung hinter dem Mandanten steht und die Kosten übernimmt. Die Kostenzusage für ein Tätigwerden entbindet den Rechtsanwalt nicht davon, zu prüfen, ob die Rechte des Mandanten überhaupt durchsetzbar sind. Dies ist die ureigene Pflicht des Anwalts. Die Rechtsschutzversicherung kann zwar eine Erfolgsaussichtenprüfung vornehmen, aber darf keine Rechtsberatung aufgrund des Rechtsdienstleistergesetzes vornehmen. Eine Kostendeckungszusage darf demnach keine Prüfung des Rechtsanwalts ersetzen. Die Rechtsschutzversicherung ist nicht die interne Revisionsinstanz der Rechtsanwaltskanzlei.
2.Sorgfaltspflicht
Darüber hinaus bedeutet die Entscheidung für einen Rechtsanwalt, dass die Einlegung eines Mahnbescheids nur aus Fristwahrungsgründen gleichwohl mit genauer Sorgfalt erfolgen muss. Sollte der Rechtsanwalt Fehler diesbezüglich machen, so kann dies dazu führen, dass die Verjährung nicht gehemmt wird und er sich schadensersatzpflichtig macht. Der Rechtsanwalt haftet dann für den entstandenen Prozesskostenschaden wenn die Klage aus diesen Gründen abgewiesen wird.
3.Prozesskostenschaden unabhängig von Ausgang der Hauptsache
Nicht selten wird bei Regressverfahren gegen Anwälte eingewandt, der Prozess wäre unabhängig von der Pflichtverletzung eh für den Mandanten verloren gegangen, sodass kein Schaden entstanden sei. Ein solcher Einwand kann nur die eigentliche Hauptsache betreffen, nicht den Kostenschaden.
Die ursprüngliche Hauptforderung des Mandanten und der Prozesskostenschaden sind getrennt voneinander zu prüfen.
Hier musste nicht geprüft werden, ob der Schaden auch entstanden wäre, wenn sich der Anwalt vertragsgemäß verhalten hätte. Dieser Prüfungsschritt ist im Rahmen der Schadensfeststellung bei der Anwaltshaftung zwar geboten, wenn ein Mandant von seinem Rechtsanwalt die Zahlung eines Geldbetrags als Schadenersatz verlangt, weil der Anwalt den auf die Zahlung dieses Geldbetrags gerichteten Anspruch pflichtwidrig hat verjähren lassen. Die Pflichtverletzung des Anwalts besteht in diesem Fall in einem Unterlassen. Ein Unterlassen ist für einen Schaden aber nur dann kausal, wenn die Vornahme der geforderten Handlung den Eintritt des Schadens verhindert hätte (BGH, Urt. v. 22.3.1990 – IX ZR 128/99, Tz. 18; Urt. v. 7.2.2012 – VI ZR 63/11, Tz. 10). Hätte der Mandant einen Prozess ohnehin verloren, weil der Anspruch tatsächlich nicht bestand oder die Anspruchsvoraussetzungen nicht nachweisbar waren, ist ihm durch das Verjährenlassen des Anspruchs von vorneherein kein Schaden entstanden (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.2002 – IX ZR 3/01, Tz. 11; G. Fischer, in: Handbuch der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 5, Rn 4).
Beim hier geltend gemachten Kostenschaden ist Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Kausalzusammenhangs jedoch das Einreichen eines Mahnantrags mit falschen Angaben, also eine Handlung. Diese Handlung hat Prozesskosten ausgelöst und damit unmittelbar einen realen Schaden hervorgerufen, ohne dass es einer weiteren Prüfung bedarf (BGH, Urt. v. 13.11.2008 – IX ZR 69/07, Tz. 9).
Die Entscheidung ist daher zutreffend.
https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS202110r0009
Syndikusrechtsanwältin Anika Teeuwen, Düsseldorf