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Die Unterhaltspflicht von Großeltern gegenüber minderjährigen Enkelkindern bei fehlender Leistung

 

1. Zur Unterhaltspflicht von Großeltern gegenüber minderjährigen Enkelkindern, soweit die Eltern wegen mangelnder Leistungsfähigkeit den Kindesunterhalt nicht oder nur teilweise erbringen können, und wenn die Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs gegen die Eltern erheblich erschwert ist.

2. Die Voraussetzungen einer erheblich erschwerten Rechtsverfolgung im Sinne des § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB liegen vor, wenn ein titulierter Unterhaltsanspruch auf einem fingierten Einkommen des Unterhaltspflichtigen beruht und deshalb eine Vollstreckung erfolglos ist.

 

OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.12.2021 – 13 UF 85/21

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um Unterhaltsansprüche des Antragstellers gegen seine Großeltern väterlicherseits, die Antragsgegner. Der Kindesunterhaltsanspruch gegenüber dem Vater des Antragstellers ist in Höhe des Mindestunterhalts durch Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Rheine vom 1.12.2017 tituliert. Der Kindesvater zahlt monatlich 30 EUR. Der Antragsteller lebt im Haushalt seiner Mutter, die teilzeitbeschäftigt ist. Der Antragsteller hat die Antragsgegner als Gesamtschuldner im Wege des Stufenantrags auf Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse und auf Zahlung eines nach Auskunftserteilung zu beziffernden Unterhalts ab 03/2021 in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat sich der Auffassung der Antragsgegner angeschlossen und den Auskunfts- sowie Leistungsantrag abgewiesen.

II. Die Entscheidung

Das OLG Oldenburg hält die Beschwerde für zulässig und begründet.

Dabei vertritt der Senat folgende Auffassung:

Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Auskunftserteilung nicht besteht, wenn es auf die Einkommensverhältnisse der Antragsgegner nicht ankommt. Das wäre dann der Fall, wenn eine Ersatzhaftung der Großeltern nicht in Betracht käme. Dies ist indessen nicht der Fall.

Großeltern haften nachrangig für den Unterhalt minderjähriger Kinder, wenn ein vorrangig haftender Verwandter aufgrund des § 1603 BGB – d.h. mangels Leistungsfähigkeit – nicht unterhaltspflichtig ist (§ 1607 Abs. 1 BGB) oder wenn die Rechtsverfolgung – gegen den an sich leistungsfähigen – vorrangig verpflichteten Verwandten ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist (§ 1607 Abs. 2 BGB). Erheblich erschwert ist die Rechtsverfolgung nach allgemeiner Ansicht auch, wenn die materiellrechtliche Unterhaltsverpflichtung auf der Zurechnung fiktiven Einkommens beruht, in das das Kind aber tatsächlich nicht vollstrecken kann. Im Hinblick auf die Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 BGB wird bei fiktiven Einkünften vertreten, dass zwischen den Eltern differenziert werden müsse: Handele es sich um die Haftung des Elternteils, bei dem das Kind lebt und das es im Unterhaltsverfahren gegen die Großeltern vertritt, könne es treuwidrig sein, wenn der gesetzliche Vertreter des Kindes unter Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit Einkünfte nicht zieht und dies als Begründung einer Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB für das Enkelkind vorbringt. Die Frage kann indessen dahinstehen. Die betreuende Kindesmutter ist auch unter Berücksichtigung fiktiver Einkünfte nicht in der Lage, den Mindestunterhalt zu leisten, so dass eine Ersatzhaftung der Großeltern schon nach § 1607 Abs. 1 BGB eingreift.

Auch wenn man mit dem Amtsgericht annimmt, dass der Antragsteller nicht ausreichend vorgetragen hat, aus welchen Gründen seine Mutter ihre Tätigkeit nicht aufstocken könnte, folgt daraus noch nicht, dass die Mutter als leistungsfähig anzusehen ist. Bei unzureichenden Bemühungen oder unzureichendem Vortrag zu den Bemühungen muss das Gericht vielmehr ein realistisch erzielbares Einkommen schätzen und bei der Unterhaltsberechnung zugrunde legen. Dies führt hier zu dem Ergebnis, dass die Mutter den Kindesunterhalt nicht aufbringen könnte, selbst wenn man ihr Einkommen aus der Halbtagstätigkeit auf eine Vollzeittätigkeit hochrechnete: Die Mutter erzielt bei einer 20-Stunden-Woche monatlich 923 EUR brutto. Bei Ausweitung auf 40 Stunden erzielte sie ein Einkommen von 1.845 EUR brutto, was bei ihrer Steuerklasse I einem Nettoeinkommen von 1.349 EUR entspräche. Abzüglich der Werbungskostenpauschale bliebe ein bereinigtes Einkommen von 1.273 EUR und die Mutter wäre „aufgrund des § 1603“ BGB nicht unterhaltspflichtig im Sinne von § 1607 Abs. 1 BGB. Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts den Unterhalt zu gewähren. In Literatur und Rechtsprechung war streitig, ob die Ersatzhaftung der Großeltern eingreift, wenn dem Elternteil weniger als der angemessene Selbstbehalt (von derzeit 1.400 EUR) verbleibt oder ob er sich beim Mindestunterhalt auch im Verhältnis zu den Großeltern auf den notwendigen Selbstbehalt (von derzeit 1.160 EUR) verweisen lassen muss (siehe die Nachweise im Hinweisbeschluss des Senats vom 25.10.2021). Der BGH hat die Streitfrage mittlerweile dahingehend entschieden, dass auf den angemessenen Selbstbehalt abzustellen ist (BGH, Beschl. v. 27.10.2021 – XII ZB 123/21). Dem schließt sich das Beschwerdegericht an, da der Wortlaut des § 1603 BGB eindeutig ist, nach dem dem Elternteil der „angemessene“ Selbstbehalt zu belassen ist.

Hinsichtlich des Kindesvaters ist seitens des Antragstellers dargetan, dass er leistungsunfähig ist bzw. die Rechtsverfolgung zumindest erheblich erschwert ist. Die Antragsgegner haben selbst vorgetragen, dass ihr Sohn eine Ausbildung absolviert und ab 1.7.2021 eine Anstellung gefunden habe, was bedeute, dass er „nun“ leistungsfähig sei. Danach war der Kindesvater jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum von 03/2021 bis 06/2021 leistungsunfähig bzw. seine materiellrechtliche Leistungsfähigkeit während der Ausbildungszeit beruhte auf einer unterhaltsrechtlichen Fiktion. Des Weiteren ist unstreitig, dass der Kindesvater in der Vergangenheit nur 30 EUR monatlich zahlte und ein Ermittlungsverfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung anhängig gemacht wurde. Schließlich hat der Antragsteller auch zu konkreten Vollstreckungsmaßnahmen vorgetragen, indem er die Mitteilung des Gerichtsvollziehers vom 19.8.2021 vorgelegt hat, nach der dieser in der Vollstreckungsangelegenheit des Antragstellers Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft durch den Kindesvater auf den 8.9.2021 anberaumt hat. Der Umstand, dass der Kindesvater mittlerweile eine Arbeitsstelle angetreten und die Zahlung von Unterhalt aufgenommen hat, steht einem Unterhaltsanspruch des Kindes gegen die Großeltern nicht entgegen. Denn unstreitig zahlt der Kindesvater erst ab dem Monat 09/2021 den laufenden Unterhalt. Offen bleibt der Unterhaltszeitraum von 03/2021 bis August 2021, in dem sich der Kindesvater noch in Ausbildung befand. Die Antragsgegner behaupten mit Schriftsatz vom 9.12.2021 erstmals, dass der Kindesvater auf die Rückstände Zahlungen erbracht hat, indem er monatlich 351 EUR zahlt. Ob dies zutrifft, kann offenbleiben, denn auch nach der Behauptung der Antragsgegner wäre der Rückstand überwiegend offen, da der Kindesvater nur einen Betrag von monatlich 64 EUR auf Rückstände zahlt. Nach den vorgelegten Kontoauszügen hat der Kindesvater bis einschließlich 11/2021 keinerlei Zahlungen auf Rückstände geleistet, sondern lediglich einen monatlichen Dauerauftrag von 257 EUR neben den schon bisher gezahlten 30 EUR eingerichtet. Die Unterhaltsansprüche sind damit für den rückständigen Zeitraum weitgehend offen.

Nach Auffassung des Senats steht daher dem Antragsteller ein Anspruch auf Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragsgegner zu, um einen Unterhaltsanspruch beziffern zu können.

III. Der Praxistipp

Unterhaltsansprüche des minderjährigen Kindes gegen die Großeltern führen in der Praxis ein Schattendasein, obwohl es sicherlich Pflicht des anwaltlichen Vertreters der minderjährigen Kinder bzw. des diese vertretenden Elternteils ist, diesbezüglich zu beraten und gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen.

Die vorliegende Entscheidung macht nochmals deutlich, dass Ansprüche des minderjährigen Unterhaltsgläubigers gegen die Großeltern auch dann gerichtlich durchsetzbar gegeben sind, wenn bereits ein Titel gegen den zum Unterhalt verpflichteten Elternteil als vorrangig haftender Verwandter besteht, soweit gegen diesen die Rechtsverfolgung ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist (§ 1607 Abs. 2 BGB).

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