1. Müssen von konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen einzelne gemäß § 1613 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden, steht dieses Geld im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB für anderweitigen Mindestkindesunterhalt zur Verfügung.
2. Dies gilt auch, soweit sich auf der Grundlage konkreter Umstände für die Zukunft prognostizieren lässt, dass einzelne gleichrangige Kindesunterhaltsansprüche nicht geltend gemacht werden.
BGH, Urt. v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16
I. Der Fall
Die Beteiligten streiten über den Mindestunterhalt für zwei minderjährige Kinder.
Die Beteiligten leben seit Anfang 01/2015 getrennt. Aus ihrer Ehe sind Kind 1, geboren am 25.1.2008, und Kind 2, geboren am 13.1.2015, hervorgegangen. Seit der Trennung leben die Kinder in der Obhut der Antragstellerin. Diese verblieb bis zum 1.8.2016 in der Ehewohnung, die im Miteigentum des Antragsgegners und dessen früherer Ehefrau steht.
Im Jahr 2014 erzielte der Antragsgegner ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.143 EUR. In der Zeit vom 17.3.2015 bis 15.6.2015 bezog er aufgrund eines Arbeitsunfalls Krankengeld in Höhe von monatlich 1.890 EUR. Seit Ende 04/2016 war er erneut krankgeschrieben und erhielt nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Krankengeld in Höhe von mindestens 50 EUR netto kalendertäglich.
Im Zusammenhang mit der Immobilie, deren Miteigentümer der Antragsgegner ist, haftet er gesamtschuldnerisch mit seiner früheren Ehefrau für Kreditverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt monatlich 900 EUR (bei einem Zinsanteil von 313 EUR). Diese Verbindlichkeiten trägt allein der Antragsgegner, ebenso wie diverse Zahlungsverpflichtungen auf rückständige Versicherungsbeiträge und Wohnnebenkosten.
In Absprache mit seiner früheren Ehefrau verpflichtete der Antragsgegner sich durch Jugendamtsurkunden, für seine beiden aus der früheren Ehe hervorgegangenen Kinder, die am 6.11.2000 und am 16.11.2001 geboren wurden, Kindesunterhalt in Höhe von jeweils monatlich 44 EUR zu leisten. Mit Beginn des Krankengeldbezugs Ende 04/2016 stellte er die Zahlung dieser Unterhaltsbeträge ein.
Die Antragstellerin hat den Antragsgegner in 02/2015 aufgefordert, im Hinblick auf die Unterhaltsforderungen der gemeinsamen Kinder Auskunft über seine Einkommensverhältnisse zu erteilen. Mit dem 07/2015 bei Gericht eingegangenen Antrag hat sie für die Kinder Unterhalt ab 02/2015 nach der zweiten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle geltend gemacht.
Das Amtsgericht hat den Antragsgegner verpflichtet, für die Zeit von 02/2015 bis 11/2015 rückständigen Unterhalt für Kinder 1 in Höhe von 1.200 EUR und für kennt 2 in Höhe von 800 EUR sowie ab 12/2015 laufend monatlich 120 EUR für kennt 1 und 80 EUR Kind 2 zu zahlen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Oberlandesgericht die Entscheidung abgeändert und den Antragsgegner verpflichtet, für die Zeit von 02/2015 bis 11/2016 rückständigen Unterhalt für kennt 1 in Höhe von 6.231 EUR und für kennt 2 in Höhe von 5.170 EUR sowie ab 12/2016 laufend monatlich 289 EUR für kennt 1 und 240 EUR für kennt 2 zu zahlen. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Antragsgegner die Ermittlung seiner Leistungsfähigkeit auf der Grundlage seiner gesamten Kindesunterhaltsverpflichtungen ohne Beschränkung auf seine tatsächlich erbrachten Zahlungen und damit die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
II. Die Entscheidung
Der BGH ist der Auffassung, dass die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners unbegründet sei.
1. Das Oberlandesgericht hat seine – in juris veröffentlichte – Entscheidung wie folgt begründet:
Nach dem letzten Absatz der Ziffer 10.4 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Rostock seien Schulden in der Regel nur bis zur Höhe des pfändbaren Betrags gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltsschuldner den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder aus anderen Mitteln nicht decken könne. Dieser Pfändungsfreibetrag habe sich für den Antragsgegner bis zum 30.6.2015 auf 1.876,58 EUR belaufen und seit dem 1.7.2015 auf 1.928,38 EUR. Bezüge in der Form von Krankengeld seien zumindest nicht in weiterem Umfang pfändbar als Arbeitseinkommen. Nachdem die Antragstellerin selbst von einem Zinsanteil von 313 EUR ausgehe, der die Differenz zwischen der Pfändungsfreigrenze und dem jeweiligen tatsächlichen Einkommen des Antragsgegners überschreite, seien die Verbindlichkeiten des Antragsgegners zumindest bis zu den Pfändungsfreigrenzen abzuziehen. Mit einem bereinigten Einkommen in Höhe der Pfändungsfreibeträge falle der Antragsgegner im besten Falle noch in den untersten Bereich der dritten Einkommensgruppe der damaligen Düsseldorfer Tabelle. Da diese Tabellensätze aber auf den Fall zugeschnitten seien, dass der Unterhaltspflichtige zwei Berechtigten Unterhalt zu gewähren habe, der Antragsgegner aber vier minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig sei, könne der Bedarf der gemeinsamen Kinder sich vorliegend allein nach der ersten Einkommensgruppe bestimmen.
In Höhe des sich aus der ersten Einkommensgruppe ergebenden Mindestunterhalts sei der Antragsgegner für die gemeinsamen Kinder der Beteiligten aber in voller Höhe leistungsfähig. Denn die von dem Antragsgegner für seine beiden weiteren Kinder geleisteten Unterhaltsbeträge seien insoweit nur in der Höhe zu berücksichtigen, in der er sie tatsächlich erbringe. Könnten die weiteren Kinder den ihnen zustehenden Unterhalt nach § 1613 Abs. 1 BGB in voller Höhe rückwirkend nicht mehr geltend machen, stelle es eine unbillige Bevorteilung des Unterhaltspflichtigen und eine unbillige Benachteiligung der aktuell Unterhalt begehrenden Kinder dar, wenn man die weiteren Kinder auch für die Vergangenheit mit ihren vollen Unterhaltsbeträgen in die Mangelfallberechnung einstellen wollte. Hinsichtlich der künftig fällig werdenden Unterhaltsansprüche sei es unzumutbar, den Unterhaltsgläubigern das Abänderungserfordernis bezüglich der tatsächlich an die anderen Kinder geleisteten Unterhaltszahlungen aufzuerlegen, während der Unterhaltspflichtige problemlos unmittelbar eine Herabsetzung des titulierten Unterhalts verlangen könne, wenn er an die anderen Kinder höheren Unterhalt leiste.
Der notwendige Selbstbehalt des Antragsgegners sei dadurch nicht gefährdet, da insbesondere in den Zeiten, in denen er nur Krankengeld bezogen und dadurch ein geringeres Einkommen zu verzeichnen habe, auch der Selbstbehalt nicht mehr mit 1.080 EUR für einen Erwerbstätigen, sondern mit 880 EUR für einen Nichterwerbstätigen anzusetzen sei.
2. Der BGH meint, dass diese Ausführungen rechtlicher Überprüfung im Ergebnis standhalten.
a) Zu Recht und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet habe das Oberlandesgericht den Bedarf der beiden gemeinsamen Kinder der Beteiligten auf der Grundlage der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle jeweils mit dem Mindestunterhalt angesetzt.
Die streitgegenständlichen Unterhaltsansprüche der beiden Kinder der Beteiligten nach § 1601 BGB gegen den Antragsgegner als ihren Vater setzten neben Unterhaltsbedarf (§ 1610 BGB) und Bedürftigkeit (§ 1602 BGB) voraus, dass der Antragsgegner während des Unterhaltszeitraums nicht leistungsunfähig gewesen sei (§ 1603 BGB). Dementsprechend treffe die Antragstellerin die Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Unterhaltsbedarfs und der Bedürftigkeit der Kinder während des streitbefangenen Unterhaltszeitraums. Dagegen habe der Antragsgegner seine etwa mangelnde oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen. Die Darlegungs- und Beweislast der Unterhaltsberechtigten erfahre allerdings eine Einschränkung bezüglich des jeweils gesetzlich festgelegten Mindestbedarfs. Dieser sei nach heutiger Rechtslage in § 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB als Mindestunterhalt festgelegt.
Auf dieser Grundlage stehe den beiden Kindern der Beteiligten jedenfalls der Mindestbedarf zu. Nur dieser werde auch mit der Rechtsbeschwerde weiterverfolgt.
b) Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass im Rahmen der Leistungsfähigkeit anderweitige – nicht unterhaltsrechtliche – Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen in der Regel nur bis zur Höhe des pfändbaren Betrags nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigen seien, wenn der Unterhaltspflichtige den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder aus anderen Mitteln nicht decken könne, werde indessen durch die dafür gegebene Begründung nicht getragen. Denn die zur Begründung herangezogene entsprechende Regelung im letzten Absatz der Ziffer 10.4 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Rostock stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats.
Inwieweit allgemeine Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen im Rahmen der Bestimmung seiner Leistungsfähigkeit einschränkend zu berücksichtigen seien, könne nach der Rechtsprechung des Senats nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden. Insoweit seien insbesondere der Zweck der Verbindlichkeit, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeit von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen. Minderjährige Kinder müssten sich dabei grundsätzlich auch diejenigen Kreditverbindlichkeiten entgegenhalten lassen, die in der Zeit des Zusammenlebens der Eltern zum Zwecke gemeinsamer Lebensführung – und nicht nur zur Wahrnehmung persönlicher Bedürfnisse des Unterhaltspflichtigen – eingegangen worden seien. Weil sie aber jedenfalls bis zum Ende ihrer Schulpflicht keine Möglichkeit hätten, durch eigene Anstrengungen zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs beizutragen, und auf die Entstehung der von den Eltern aufgenommenen Schulden keinen Einfluss nehmen könnten, werde die Billigkeitsabwägung bei ihnen im Allgemeinen dazu führen, dass wenigstens der Mindestunterhalt zu zahlen sei, soweit dies nicht nur auf Kosten einer ständig weiter anwachsenden Verschuldung geschehen könne. Auch habe der Senat im Fall gesteigerter Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB eine Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen angenommen, ein Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten, das es dem Unterhaltsberechtigten ermögliche, für den laufenden Unterhalt auf den Differenzbetrag zwischen den Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO und dem, dem Schuldner zu belassenden Unterhalt im Sinne von § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO zuzugreifen.
Der für die behauptete fehlende Leistungsfähigkeit darlegungs- und beweispflichtige Antragsgegner verfolge indessen mit der Rechtsbeschwerde die Berücksichtigung seiner neben dem Kindesunterhalt bestehenden Verbindlichkeiten nicht weiter. Vielmehr habe er sich mit der Beschwerdebegründung die Auffassung des Oberlandesgerichts ausdrücklich zu eigen gemacht, dass die Beträge, um die die Pfändungsfreigrenzen jeweils seinen notwendigen Selbstbehalt überstiegen, als Verteilungsmasse für den Kindesunterhalt zur Verfügung stünden. Dies sei für die Rechtsbeschwerde entsprechend zugrunde zu legen.
c) Hinsichtlich der anderweitigen gleichrangigen Unterhaltsverpflichtungen des Antragsgegners sei das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sie bei der Bestimmung seiner Leistungsfähigkeit hier nur in Höhe der titulierten Beträge von jeweils 44 EUR zu berücksichtigen seien.
aa) Leistungsfähig sei nach § 1603 Abs. 1 BGB nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande sei, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Befänden sich Eltern in dieser Lage, so seien sie gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden.
Treffen den Unterhaltsschuldner als sonstige Verpflichtungen mehrere Unterhaltsverpflichtungen, bestehe eine Rangfolge unter diesen nur nach Maßgabe des § 1609 BGB. Nicht geregelt sei in § 1609 BGB dagegen, wie die für die Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehenden Mittel unter den Unterhaltsberechtigten zu verteilen seien, wenn sie – wie hier (jedenfalls bis November 2018; vgl. im Übrigen § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) alle minderjährigen Kinder des Antragsgegners gemäß § 1609 Nr. 1 BGB – auf derselben Rangstufe stünden. Während gleichrangig Unterhaltsverpflichtete nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen hafteten, bliebe es für gleichrangig Unterhaltsberechtigte bei der Regelung des § 1603 Abs. 1 BGB, wonach bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gegenüber jedem einzelnen Bedürftigen seine sonstigen Verpflichtungen berücksichtigt werden müssten. Die einzelnen Ansprüche beschränkten sich dabei gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gegenseitig, sodass sie verhältnismäßig gekürzt werden müssten. Diese Kürzung erfolge grundsätzlich proportional zu dem Unterhaltsbedarf der einzelnen Bedürftigen. Danach sei also zunächst zu prüfen, welcher Unterhaltsanspruch jedem Berechtigten bei voller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zustehen würde. Sodann sei jeder Anspruch in dem Verhältnis zu kürzen, in dem die verfügbaren Mittel zu der Summe aller Ansprüche stünden.
Wie der Senat bereits entschieden habe, werde ein Unterhaltsanspruch grundsätzlich auch nicht dadurch rechtlich beeinträchtigt, dass ein anderer gleichrangiger Unterhaltsberechtigter bereits einen weitergehenden rechtskräftigen Titel über seinen Anspruch erwirkt habe und daraus vollstrecken könne. Er sei vielmehr so zu beurteilen wie bei gleichzeitiger Entscheidung über alle Unterhaltsansprüche. Der Unterhaltsverpflichtete sei dann gegebenenfalls darauf verwiesen, Abhilfe im Wege der Abänderung des bestehenden Titels zu suchen.
bb) Ob für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen der volle Unterhaltsbedarf eines Berechtigten auch insoweit heranzuziehen sei, als eine Zahlungspflicht für die Vergangenheit ausscheide, weil der Unterhaltspflichtige von diesem weiteren gleichrangig Berechtigten nicht in Anspruch genommen worden sei, werde in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt.
(1) Teilweise werde vertreten, dass auch diejenigen Kinder des Unterhaltsverpflichteten mit dem Mindestunterhalt in die Mangelfallberechnung einzustellen seien, denen kein oder ein niedrigerer Unterhalt gezahlt werde.
(2) Überwiegend werde dagegen auf die tatsächlichen Zahlungen abgestellt, soweit eine weitergehende Inanspruchnahme nach § 1613 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sei.
(3) Nach Ansicht des BGH sei für Fälle der gesteigerten Unterhaltspflicht die letztgenannte Auffassung zutreffend.
Wenn ein Unterhaltsschuldner gleichrangigen Kindern nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig sei, müsse er alle nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts verfügbaren Mittel einsetzen, um den Mindestunterhalt der Kinder sicherzustellen. Habe er für einzelne dieser nach § 1609 Nr. 1 BGB gleichrangigen Kinder in der Vergangenheit weniger geleistet, als dies der anteiligen Unterhaltsquote entspreche, und bestehe für diese Kinder auch kein (höherer) Unterhaltstitel, könnten die dem Unterhaltspflichtigen verbliebenen Beträge im Hinblick auf § 1613 Abs. 1 BGB für die Vergangenheit zur Deckung des Mindestbedarfs der übrigen Kinder eingesetzt werden. Gleiches gelte für künftige Unterhaltsansprüche, wenn die dafür erforderliche Prognose dazu führe, dass einzelne gleichberechtigte Kinder auch in Zukunft weniger Unterhalt erhalten würden, als ihnen quotenmäßig zustünde. Sollte sich diese Prognose später als falsch herausstellen, sei der Unterhaltspflichtige auf eine Abänderung des Unterhaltstitels nach §§ 238 ff. FamFG verwiesen.
(a) Zwar habe der Senat zum früheren Recht entschieden, dass der Unterhaltsanspruch eines gegenüber dem Anspruch minderjähriger und privilegiert volljähriger Kinder (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB) nachrangigen neuen Ehegatten auch dann nachrangig bleibe, wenn der gegenüber den Kindern gleichrangige frühere Ehegatte seinen Unterhaltsanspruch nicht geltend mache (BGHZ 162, 384 = FamRZ 2005, 1154, 1155 f.).
Allerdings stünde nach der früheren Vorschrift des § 1609 Abs. 2 Satz 1 BGB „der Ehegatte“ – also sowohl der geschiedene als auch der neue Ehegatte – den minderjährigen unverheirateten Kindern und den sogenannten privilegierten volljährigen Kindern im Rang gleich. Danach hätte sowohl die geschiedene als auch die neue Ehefrau des Unterhaltsschuldners denselben Rang wie die Kinder. Andererseits habe § 1582 BGB a.F. vorgesehen, dass bei mehreren unterhaltsbedürftigen Ehegatten der geschiedene Ehegatte jedenfalls wegen seiner Unterhaltsansprüche nach §§ 1570, 1576 BGB oder bei langer Ehedauer dem neuen Ehegatten vorgegangen sei. Mit dieser Rechtsfolge sei es nicht vereinbar gewesen, die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder sowohl den Ansprüchen eines geschiedenen Ehegatten als auch denen eines neuen Ehegatten im Rang gleichzustellen.
Weil das Gesetz wegen des Widerspruchs zwischen § 1582 BGB a.F. einerseits und § 1609 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. andererseits keine zwingende Regelung vorgegeben habe, habe es einer Auslegung über den Wortlaut der widerstreitenden Regelungen hinaus bedürfen. Diese habe sich von dem Ziel leiten lassen müssen, dem mit den Rangregelungen verfolgten Sinn des Gesetzes gerecht zu werden, der darin zu sehen gewesen sei, in Mangelfällen in erster Linie den Unterhalt bestimmter, als besonders schutzwürdig anerkannter Angehöriger zu sichern. Zu den nach dem Willen des Gesetzes in besonderem Maße schutzbedürftigen und schutzwürdigen Unterhaltsberechtigten hätten zunächst die minderjährigen unverheirateten und die ihnen gleichgestellten privilegierten volljährigen Kinder gehört, denen die Eltern nach § 1603 Abs. 2 BGB erweitert unterhaltspflichtig sein. Neben ihnen habe das Gesetz in den Fällen des § 1582 BGB a.F. als Nachwirkung der früheren Ehe dem geschiedenen Ehegatten einen besonderen Schutz eingeräumt, der seinen Niederschlag in dem Vorrang gegenüber einem neuen Ehegatten des Unterhaltsverpflichteten gefunden habe. Diese Vorrangstellung des geschiedenen Ehegatten habe sich in Mangelfällen uneingeschränkt durchgesetzt, selbst wenn der neue Ehegatte hierdurch im äußersten Fall, auch unter Berücksichtigung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe, darauf verwiesen worden sei, für seinen Unterhalt Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, und wenn der Unterhaltspflichtige auf diese Weise gehalten gewesen sei, den ihm an sich für seine eigenen Bedürfnisse zustehenden Selbstbehalt mit dem neuen Ehegatten zu teilen. Dem in dieser Weise gekennzeichneten Rangverhältnis zwischen dem geschiedenen und dem neuen Ehegatten habe bei Vorhandensein minderjähriger unverheirateter Kinder nur dadurch Rechnung getragen werden können, dass der Anwendungsbereich des § 1609 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. in Mangelfällen bei einer Kollision mit der Rangregelung des § 1582 BGB a.F. im Wege der teleologischen Reduktion dahin eingeschränkt worden sei, dass der Gleichrang mit „dem Ehegatten“ nur für den privilegierten geschiedenen und nicht auch für den (relativ) nachrangigen neuen Ehegatten gegolten habe.
Allerdings sei eine teleologische Reduktion der Vorschrift des § 1609 Abs. 2 BGB a.F. nur für solche Fälle geboten gewesen, in denen Unterhaltsansprüche zweier (geschiedener) Ehefrauen nebeneinander bestanden und deswegen zu klären gewesen sei, welcher dieser Ansprüche gleichrangig mit den Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder wäre. Nur in solchen Fällen sei es nach dem Sinn der gesetzlichen Vorschriften geboten gewesen, den (relativen) Nachrang der späteren Ehefrau gegenüber der ersten Ehefrau auch auf das Rangverhältnis gegenüber den minderjährigen und den privilegierten volljährigen Kindern zu übertragen.
Stünde dem geschiedenen Ehegatten allerdings an sich ein Unterhaltsanspruch zu und mache er diesen lediglich nicht geltend, um wenigstens den Regelbedarf seiner minderjährigen Kinder zu sichern, bliebe es bei dem (relativen) Nachrang des neuen Ehegatten gemäß § 1582 BGB a.F., mit der Folge, dass diesem die minderjährigen Kinder im Rang vorgingen. Denn ein Widerspruch zwischen § 1609 BGB a.F. und § 1582 BGB a.F. habe bereits dann bestanden, wenn der geschiedene und der neue Ehegatte neben den Kindern unterhaltsberechtigt gewesen sein. § 1582 BGB a.F. habe nicht darauf abgestellt, ob der geschiedene Ehegatte seinen Unterhaltsanspruch tatsächlich geltend mache, sondern lediglich darauf, ob dieser nach dem Gesetz überhaupt unterhaltsberechtigt gewesen sei. Ein unterhaltsberechtigter geschiedener Ehegatte habe nicht gezwungen sein sollen, einen eigenen Unterhaltsanspruch tatsächlich geltend zu machen, nur um den Vorrang der Unterhaltsansprüche seiner minderjährigen Kinder vor denen eines neuen Ehegatten zu wahren.
Wenn der geschiedene Ehegatte die Durchsetzung seiner eigenen Unterhaltsansprüche deswegen unterlassen habe, weil er seinen Kindern eine höhere Quote bei der Mangelverteilung sichern habe wollen, habe darin eine zweckgerichtete Verfügung gelegen, die nicht dazu gedient habe, dem sonst nachrangigen Recht des neuen Ehegatten Gleichrang mit dem Kindesunterhalt zu verschaffen. Damit habe der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte weder auf seinen Unterhaltsanspruch verzichtet, noch auf den Vorrang gegenüber einem neuen Ehegatten. Die fehlende Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs der geschiedenen Ehefrau sei deswegen nach der Zweckrichtung mit freiwilligen Leistungen Dritter vergleichbar gewesen, die grundsätzlich nur demjenigen zugutekommen, dem sie nach der Bestimmung des nicht Leistungsverpflichteten allein Vorteile habe erbringen sollen. Daran habe sich auch dann nichts geändert, wenn die geschiedene Ehefrau nach § 1585b Abs. 2 BGB a.F. mangels Verzugs oder Rechtshängigkeit ihres Unterhaltsanspruchs keinen rückständigen Unterhalt mehr verlangen habe können. Auch dann sei es bei dem einmal entstandenen (relativen) Vorrang gegenüber dem Unterhaltsanspruch der neuen Ehefrau nach § 1582 BGB a.F. verblieben.
(b) Diese Rechtsprechung sei allerdings auf die Wahrung des Mindestunterhalts der nach neuem Recht gemäß § 1609 Nr. 1 BGB allein im ersten Rang stehenden minderjährigen Kinder nicht übertragbar.
Ob geschiedene oder neue Ehegatten ihre Unterhaltsansprüche tatsächlich geltend machten, sei seit der gesetzlichen Neuregelung schon deswegen unerheblich, weil ihre Ansprüche nach § 1609 Nr. 2 und 3 BGB gegenüber den Ansprüchen minderjähriger Kinder nachrangig seien. Soweit einzelne gleichrangige Kinder – wie hier die beiden Kinder aus erster Ehe – ihre Unterhaltsansprüche nicht oder nur in eingeschränktem Umfang geltend machten, führe dies nicht zu einer Rangverschiebung. Soweit diese Kinder mit einer Nichtgeltendmachung oder einer Titulierung ihres Unterhalts in geringerer Höhe, hier einer Beschränkung auf den in der Jugendamtsurkunde geregelten Unterhalt von monatlich 44 EUR, vergleichbar mit freiwilligen Leistungen Dritter, die Zweckrichtung verfolgten, allein dem Unterhaltspflichtigen weitere Einkünfte zu belassen, finde dieses am Anspruch auf Mindestunterhalt weiterer minderjähriger Kinder seine Grenze. Denn Eltern, die nicht in der Lage sein, ihren Kindern den Mindestunterhalt zu gewähren, sein gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sogenannte gesteigerte Unterhaltspflicht). Dies beruhe auf ihrer besonderen Verantwortung für den angemessenen, nicht nur den notwendigen Unterhalt ihrer Kinder. Diese besonderen Anforderungen an gesteigert unterhaltspflichtige Eltern verbiete eine Absonderung von Mitteln allein auf der Grundlage der Zweckbestimmung Dritter. Bis zur Höhe des Mindestbedarfs sei deswegen allein der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen geschützt und auch auf die Einkünfte zurückzugreifen, die andere Unterhaltsberechtigte dem Unterhaltspflichtigen – aus welchen Gründen auch immer – endgültig belassen.
Scheide eine Unterhaltspflicht für die Vergangenheit nach § 1613 Abs. 1 BGB aus, weil der Unterhaltspflichtige von weiteren minderjährigen Kindern nicht in Anspruch genommen werde, bleibe die weitergehende Unterhaltsverpflichtung bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit mithin unberücksichtigt. Entsprechendes gelte, soweit der Unterhaltspflichtige an sie tatsächlich nur einen die Unterhaltsverpflichtung unterschreitenden Betrag leiste, wenn allenfalls der tatsächlich gezahlte Unterhalt tituliert sei und auch die weiteren Voraussetzungen für eine rückwirkende Inanspruchnahme nach § 1613 Abs. 1 BGB nicht erfüllt seien. Dann sei im Rahmen der Leistungsfähigkeit nur der an diese Kinder tatsächlich gezahlte oder der für sie titulierte Unterhalt zu berücksichtigen, weil nur dieser nicht für Unterhaltsansprüche der anderen Kinder zur Verfügung stehen.
(c) Dem stehe auch nicht aus dogmatischer Sicht entgegen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einem Unterhaltsanspruch Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit zeitgleich vorliegen müssten.
Der Unterhaltsanspruch beinhalte zwar keine einheitliche Verpflichtung, sondern entstehe für jeden Zeitabschnitt neu, in dem seine Voraussetzungen vorliegen. Im Einklang mit der vom Gesetz vorgesehenen Zahlungsweise geschehe dies von Monat zu Monat. Da aber die Leistungsfähigkeit zu Beginn eines Monats naturgemäß für den gesamten Monat noch nicht abschließend festgestellt werden könne, erfordere die Unterhaltsbemessung eine Prognose der dem Unterhaltsanspruch zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse. Werde die Leistungsfähigkeit nicht nur durch die (zu erwartenden) Einkünfte des Unterhaltspflichtigen bestimmt, sondern – wie hier – auch durch weitere gleichrangige Unterhaltsverpflichtungen, Berichte sich die Prognose auch darauf, in welcher Höhe der geschuldete weitere gleichrangige Unterhalt tatsächlich gezahlt werde oder bereits tituliert sei. Soweit der weitere Unterhalt nicht tituliert sei, habe der Unterhaltspflichtige, der sich auf die Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit Berufe, für diese Prognose konkrete Umstände, etwa seine Unterhaltsleistungen in der Vergangenheit, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, die die Annahme rechtfertigten, der zusätzlich geschuldete Unterhalt werde in der behaupteten Höhe auch tatsächlich gezahlt.
Das gelte sowohl für die nach § 1612 Abs. 3 BGB monatlich im Voraus geschuldeten Unterhaltsleistungen als auch für die erst künftig entstehenden Unterhaltsansprüche der Kinder. Auch insoweit sei zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit aufgrund konkreter Umstände zu prognostizieren, inwieweit die Einkünfte des Unterhaltspflichtigen nicht für Unterhaltszahlungen zur Verfügung stehen werden, weil weitere gleichrangige Unterhaltsansprüche tituliert sein oder tatsächliche Unterhaltsleistungen erbracht würden. Sollte diese Prognose sich im Nachhinein als unzutreffend erweisen, stehe dem Antragsgegner die Möglichkeit der Abänderung des Unterhaltstitels nach den §§ 238 ff. FamFG zur Verfügung.
cc) Auf dieser rechtlichen Grundlage habe das Oberlandesgericht im Rahmen der Leistungsfähigkeit zutreffend nur die titulierten Unterhaltsverpflichtungen des Antragsgegners für die aus seiner früheren Ehe hervorgegangenen Kinder in Höhe von monatlich jeweils 44 EUR berücksichtigt. Die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB für eine rückwirkend höhere Kindesunterhaltsverpflichtung gegenüber ihnen sein weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Mangels abweichender Umstände sei das Oberlandesgericht auch für die laufende Unterhaltsbemessung nicht von einer davon abweichenden Prognose ausgegangen.
III. Der Praxistipp
Im Rahmen des vorliegenden Sachverhalts ist der Unterhaltsschuldner insgesamt vier – gleichrangigen – Unterhaltsgläubigern zur Unterhaltsleistung verpflichtet.
Grundsätzlich geht der Praktiker – zutreffend – davon aus, dass bei der Unterhaltsberechnung nur die Unterhaltspflichten berücksichtigt werden, die der Unterhaltsschuldner tatsächlich bedient. Sofern also der Unterhaltsanspruch eines oder mehrerer – gleichrangiger – Kinder nicht mehr geltend gemacht werden kann oder nicht geltend gemacht wird, ist eine solche Zahlungsverpflichtung nicht in die Unterhaltsberechnung einzustellen.
Die vorliegende Entscheidung bietet dem Praktiker neben dem eigentlichen – zutreffenden – Ergebnis die dogmatisch überzeugende Begründung dieses Ergebnisses.