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Verminderte Leistungsfähigkeit und Erwerbsobliegenheit beim Elterngeldbezug

1. Die Wahl, den gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit wahrzunehmen und Elterngeld zu beziehen, ist unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Familienunterhalt der neuen Familie dadurch wesentlich günstiger gestaltet als bei umgekehrter Rollenverteilung. Dies gilt auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner seine Elternzeit verdoppelt.

2. Nach derzeitiger Rechtsprechung besteht keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit während des Bezugs von Elterngeld. Dies gilt auch in Bezug auf eine Nebenerwerbstätigkeit. Ob dies bei konkurrierenden Ansprüchen in Höhe des Mindestunterhalts im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Kinder noch uneingeschränkt gilt, nachdem sich die Betreuungsmöglichkeiten von Kindern ständig verbessern, ist in diesem Verfahren jedoch nicht zu klären.

OLG Koblenz, Beschl. v. 14.4.2020 – 13 WF 165/20

1. Der Fall

Der antragstellende Vater der 2012 geborenen Antragsgegnerin begehrt die Abänderung einer Jugendamtsurkunde. Mit dieser Urkunde anerkannte er seine Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe für die Antragsgegnerin.

In 2018 wurde der wiederverheiratete Antragsteller erneut Vater. Zunächst arbeitete er nach der Geburt des Kindes vollschichtig, seine (neue) Ehefrau bezog Elterngeld. Seit dem 15.3.2019 befindet sich der Antragsteller in Elternzeit und bezieht Elterngeldplus i.H.v. 333,13 EUR, seine Ehefrau geht einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nach.

Nach außergerichtlicher Aufforderung der Antragsgegnerin in 02/2019, die Zustimmung zur Reduzierung des Unterhaltstitels zu erklären, begehrte der Antragsteller die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung ab 02/2019 auf einen monatlichen Zahlbetrag i.H.v. 33,35 EUR und ab 01/2020 auf 0. Das Familiengericht bewilligte für den Antrag Verfahrenskostenhilfe, soweit die Abänderung der Jugendamtsurkunde auf einen monatlichen Zahlbetrag i.H.v. 215 EUR für 02 bis 12/2019 und auf 175,67 EUR ab 01/2020 beantragt worden ist. Im Übrigen wies es den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurück.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, mit welcher er seinen ursprünglichen Antrag weiterverfolgt. Das Familiengericht half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vor.

2. Die Entscheidung

Das OLG Koblenz geht von einem – zumindest vorläufigen – Erfolg der zulässigen sofortigen Beschwerde des Antragstellers aus, sodass die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben, soweit dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe verweigert worden ist.

Der 13. Senat des OLG Koblenz geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Nichtanerkennung der Elternzeit des Antragstellers und die – konsequenterweise – Zurechnung fiktiven Erwerbseinkommens den Angriffen der Beschwerde nicht standhält. Im Einzelnen führt das OLG Koblenz aus:

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sei bislang überwiegend bejaht, dass Elternzeit unter Wegfall der Erwerbsobliegenheit anzuerkennen sei.

Nach der derzeitigen Rechtsprechung des BGH und mehrerer Oberlandesgerichte bestehe keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit während des Elterngeldbezugs.

Zwar entfalle grundsätzlich die Pflicht des Unterhaltsschuldners zur Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres durch die Wiederverheiratung und durch die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung, da diese Rollenwahl nur der neuen Familie und nicht dem Unterhaltsberechtigten zugute komme. Allerdings sei die Entscheidung des Unterhaltsschuldners, den gesetzlichen Anspruch auf Wahrnehmung der Elternzeit und Bezug von Elterngeld unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Familienunterhalt der (neuen) Familie dadurch wesentlich günstiger gestalte als bei umgekehrter Rollenverteilung.

Nach Auffassung des OLG Koblenz gelte dies jedenfalls dann, wenn der Unterhaltsschuldner seine Elternzeit verdoppelt, auch wenn dies mit der Halbierung des Elterngelds und der damit möglicherweise eingeschränkten Leistungsfähigkeit einhergehe. Schließlich sei von einem Unterhaltsschuldner in den ersten zwei Jahren ab Geburt eines Kindes keine Erwerbstätigkeit zu erwarten, sodass ihm unterhaltsrechtlich auch nicht die Verdopplung seiner Elternzeit vorgeworfen werden könne, da er anderenfalls über ein höheres Einkommen in der 1. Hälfte der Elternzeit verfüge, jedoch während der Zeit der 2. Hälfte der Elternzeit kein Einkommen generiere. Dies vorweg geschickt, sei im vorliegenden Fall die Wahl des Antragstellers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, nach derzeitigem Sachstand unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden. Die (Neu-) Ehefrau des Antragstellers verdiene nach den vorgelegten Gehaltsabrechnungen monatlich durchschnittlich 2.247 EUR netto. Der Antragsteller selbst bezöge gemäß dem Bescheid der Kreisverwaltung Elterngeld i.H.v. 333,13 EUR, sodass der Familie ein Betrag in Höhe von rund 2.580 EUR monatlich zur Verfügung stünde. Bei umgekehrter Rollenverteilung würde der Antragsteller ein Jahresbruttoeinkommen – wie 2018 – i.H.v. 24.665 EUR erzielen, was bei Inanspruchnahme der Steuerklasse III und eines Kinderfreibetrages ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von ca. 1.670 EUR ermögliche. Das Elterngeld beliefe sich auf max. 641,69 EUR. Damit stünde in der alternativen Sachverhaltskonstellation der (neuen) Familie des Antragstellers ein monatlicher Nettobetrag in Höhe von ca. 2.310 EUR und somit ca. 270 EUR weniger monatlich zur Verfügung. Diese Differenz entspricht mehr als 10 % und ist als wesentlich anzunehmen. Im Ergebnis können daher die getroffene Rollenverteilung innerhalb der (neuen) Familie des Unterhaltsschuldners unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar angesehen werden.

Nach aktueller obergerichtlicher Rechtsprechung (BGH FamRZ 2015, 738) könne von einem Unterhaltsschuldner in der Elternzeit eine Erwerbstätigkeit auch in Form einer Nebentätigkeit nicht erwartet werden, da die Rollenverteilung in der (neuen) Ehe zu billigen sei. Schließlich bedürften Kinder in ihren ersten zwei Lebensjahren nach der dem Elterngeld zugrunde liegenden Intention des Gesetzgebers ständiger Betreuung.

Weiter führt das OLG Koblenz aus, dass dem Antragsteller zuzumuten sei, das von ihm bezogene Elterngeld i.H.v. 333,13 EUR und einen möglicherweise bestehenden Taschengeldanspruch gegen seine Ehefrau zur Bestreitung des Kindesunterhalts einzusetzen, um den Bedarf des Kindes zu decken. Das Elterngeld sei vorliegend nach § 11 S. 4 BEEG in vollem Umfang zur Zahlung des Unterhalts der Antragsgegnerin zu verwenden, da es sich um einen Fall gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind nach § 1603 Abs. 2 BGB handele. Der Einsatz des Elterngeldes zu Unterhaltszwecken sei dem Antragsteller aber nur dann zuzumuten, wenn sein eigener notwendiger – vorliegend wegen des Einkommens seiner (neuen) Ehefrau um 10 % zu reduzierender – Selbstbehalt durch anderes Einkommen gewahrt ist, z.B. durch Ansprüche gegen den (neuen) Ehegatten auf Familienunterhalt nach § 1360 BGB. Das OLG Koblenz führt aus, dass sich dieser Anspruch aus dem, um berufsbedingte Aufwendungen zu bereinigenden Nettoeinkommen beider Ehegatten der (neuen) Ehe abzüglich des Unterhalts für deren gemeinsames Kind und weiterer anerkennungsfähiger Verbindlichkeiten berechne.

3. Der Praxistipp

Mit der Entscheidung des BGH vom 11.2.2015 – XII ZB 181/14 – (FamRZ 2015, 738) ist die Frage der Unterhaltsverpflichtung des sich in Elternzeit befindenden und Elterngeld beziehenden Unterhaltsschuldners geklärt. Grundsätzlich entfällt die Pflicht des Unterhaltsschuldners zur Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit – auch einer Nebenerwerbstätigkeit –; auch kann dem Unterhaltsschuldner eine Verdopplung seiner Elternzeit (Elterngeld plus) nicht unterhaltsrechtlich vorgeworfen werden.

Im Hinblick auf § 1603 Abs. 2 BGB führt dies für den – minderjährigen – Unterhaltsgläubiger zu dem durchaus schwierig zu vermittelnden Ergebnis, dass sich der Unterhaltsschuldner seiner bestehenden Unterhaltsverpflichtung entzieht und darüber hinaus wirtschaftlich in seiner (neuen) Familie durch die geschickte Wahl der Rollenverteilung nochmals profitiert.

Der Ansatzpunkt für den anwaltlichen Vertreter des minderjährigen Unterhaltsgläubigers bietet sich jedenfalls dort, wo eine solche Infrastruktur vorhanden ist, in dem Hinweis auf konkrete Betreuungsmöglichkeiten auch für Kleinstkinder und dem Umstand, dass das minderjährige Kind aus der (neuen) Ehe und der minderjährige Unterhaltsgläubiger gleich zu behandeln seien.

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