Beitrag

Aufstockungsunterhalt bei teilschichtiger Erwerbstätigkeit der Berechtigten, Anforderungen an die Erwerbsbemühungen und ehebedingte Nachteile

1. Bei einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit hat der Berechtigte sich grundsätzlich unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel um eine angemessene vollschichtige Erwerbstätigkeit durch Ausweitung seiner Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber oder um eine vollschichtige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber zu bemühen.

2. Genügen die Erwerbsbemühungen des Unterhaltsgläubigers diesen Anforderungen nicht, ist ihm ein fiktives Einkommen in Höhe eines realistischerweise zu erzielenden Einkommen zuzurechnen.

3. Bei der Bedarfsermittlung können solche Darlehenslasten, die nach Trennung der Ehegatten ohne Kenntnis des anderen und ohne erkennbare Notwendigkeit aufgestockt worden sind, nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden.

4. Der Unterhaltsgläubiger, der sich auf ehebedingte Nachteile beruft, muss den Vortrag des fehlenden ehebedingten Nachteils substantiiert bestreiten und konkret zum Vorliegen und Inhalt des ehebedingten Nachteils, insbesondere durch Ausführungen zur hypothetischen beruflichen Entwicklung ohne die Ehe mit der praktizierten Rollenverteilung, vortragen.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.8.2020 – 13 UF 192/19

1. Der Fall

Aus der in 06/2009 geschlossenen Ehe der Beteiligten ist ein in 12/2009 geborenes Kind hervorgegangen. Seit 04/2017 leben die Beteiligten voneinander getrennt. Das gemeinsame Kind hat bis Ende 2019 im Wechselmodell gelebt. Seit 01/2020 hat es seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Antragstellerin; diese begehrt nachehelichen Aufstockungsunterhalt.

Der Antragsgegner arbeitet vollschichtig als Beamter. Die Antragstellerin war bis zur Geburt des gemeinsamen Kindes als pharmazeutisch-technische Assistentin vollschichtig berufstätig. Seit 02/2011 nahm sie ihre Berufstätigkeit mit einem wöchentlichen Umfang von 30 Stunden wieder auf.

Das Familiengericht hat den Antragsgegner zur Zahlung von Ehegattenunterhalt in Höhe von 103 EUR für die Dauer eines Jahres verpflichtet. Mit ihrer Beschwerde erstrebt die Antragstellerin einen höheren und unbefristeten nachehelichen Unterhalt.

2. Die Entscheidung

Das OLG Brandenburg hält die Beschwerde der Antragstellerin für zulässig und zumindest teilweise begründet.

a) Der 13. Senat nimmt an, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB gegeben sind. Nach dieser Vorschrift könne der geschiedene Ehegatte, der im Zeitpunkt der Scheidung erwerbstätig ist, den Unterschiedsbetrag zwischen seinen tatsächlichen oder fiktiven Einkünften aus einer tatsächlich ausgeübten oder ihm möglichen angemessenen Erwerbstätigkeit und seinem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 BGB) verlangen, wenn seine eigenen Einkünfte zur Deckung seines vollen Bedarfs nicht ausreichen. Der Anspruch setze voraus, dass der Unterhalt begehrende geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübe, deren Einkünfte aber nicht zu seinem vollen, nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmenden Unterhaltsbedarf ausreichen. § 1573 Abs. 2 BGB gelte auch, wenn der geschiedene Ehegatte unter Verletzung der Erwerbsobliegenheit keiner oder nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehe und die ihm deshalb zuzurechnenden fiktiven Einkünfte nicht ausreichen, um seinen vollen eheangemessenen Unterhalt zu decken.

Bei einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit habe der Unterhaltsberechtigte sich grundsätzlich unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel um eine angemessene vollschichtige Erwerbstätigkeit durch Ausweitung seiner Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber oder um eine vollschichtige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber zu bemühen. Auch die Ausübung von zwei Teilzeitbeschäftigungen könne grundsätzlich eine angemessene Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1574 BGB sein. Erforderlich sei eine intensive und zielgerichtete Arbeitssuche, die erkennen lasse, dass sich der Arbeitssuchende ernstlich und nachhaltig um die Erlangung einer einträglichen Erwerbstätigkeit bemühe. Diesen Anforderungen würden die Erwerbsbemühungen der Antragsgegnerin nicht gerecht. Dass medizinisch-technische Assistentinnen mit einer der Qualifikation und Berufserfahrung wie die Antragsgegnerin immer wieder von Arbeitgebern für Voll- und Teilzeitstellen gesucht würden, sei anhand einer einfachen Internetrecherche leicht zu erfahren, so dass der Senat vom Bestehen realistischer Erwerbschancen ausgehe. Folge dieser Verletzung der Erwerbsobliegenheit sei, dass der Antragstellerin ein fiktives Einkommen in Höhe eines realistischerweise erzielbaren Einkommens anzurechnen und dass sie in Höhe der erzielbaren Einkünfte nicht als bedürftig anzusehen sei.

b) Grundsätzlich obliege es gemäß § 1569 BGB jedem Ehegatten, nach Rechtskraft der Scheidung selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Nur wenn er dazu außerstande sei, habe er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Unterhalt nach den §§ 1570 ff. BGB. Diese Normen würden die wirtschaftliche Eigenverantwortlichkeit der Ehegatten nach der Scheidung betonen und verdeutlichen, dass nach der Unterhaltsrechtsreform der Schwerpunkt des Unterhaltsrechts wieder auf die Funktion einer Hilfe bis zum Übergang in die wirtschaftliche Selbstständigkeit verlagert werde. Danach müsse sich die Antragsgegnerin ein fiktives Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit als medizinisch-technische Assistentin zurechnen lassen. Vollschichtige Beschäftigung sei ihr trotz der Betreuung des 10-jährigen Kindes zumutbar. Dass es hinreichende Betreuungsmöglichkeiten gäbe, stelle sie nicht in Abrede.

[Ausführungen zum konkret erzielbaren Nettoeinkommen der Antragstellerin]

Maßgebend für den Bedarf des Unterhaltsberechtigten seien die ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 Abs. I BGB). Heranzuziehen seien damit diejenigen Umstände, die für den Lebenszuschnitt der Eheleute prägend gewesen seien, auch wenn sie sich nach der Scheidung verändert hätten, also insbesondere das aktuelle Einkommen, Vermögen und berücksichtigungswürdige Belastungen. Die ehelichen Lebensverhältnisse würden nur durch solche Einkünfte geprägt, die zur Deckung des laufenden Lebensbedarfs zur Verfügung stünden und dafür eingesetzt werden könnten.

[Ausführungen zum unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommen des Antragsgegners]

c) Zur Darlegungs- und Beweislast führt der Senat aus, dass es dem Antragsgegner obliege, zu den einzelnen substantiierten Behauptungen des Antragstellers gezielt Stellung zu nehmen (§ 138 Abs. 2 ZPO). Pauschales Bestreiten genüge nicht und ziehe die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO nach sich. Nur wenn dem Antragsgegner ein substanziiertes Bestreiten nicht möglich sei, er keine Kenntnis habe und sich auch nicht zu verschaffen vermöge, sei ihm einfaches Bestreiten erlaubt. Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vortrage, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Beteiligtenvorbringen diesen Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substanziierung, so sei weiterer Vortrag nicht erforderlich.

d) Bei der Bedarfsermittlung für den Ehegattenunterhalt seien grundsätzlich nur eheprägende Verbindlichkeiten abzusetzen. Beim Verwandtenunterhalt sowie bei Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit für den Ehegattenunterhalt erfolge eine Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles.

Die mit 317 EUR monatlich bezifferte Kreditbelastung sei nicht zu berücksichtigen. Allein der Umstand einer Kreditaufnahme während der Ehe genüge für sich betrachtet nicht, um die Bedienung der daraus resultierenden Verbindlichkeiten jedenfalls einkommensmindernd in die Unterhaltsberechnung einzustellen. Bei der Bedarfsermittlung des Ehegattenunterhalts seien nämlich nur berücksichtigungswürdige Schulden einzustellen, also solche, die vor der Trennung mit ausdrücklicher oder stillschweigender Zustimmung des anderen Ehepartners begründet oder nach der Trennung einseitig wegen unumgänglicher Kosten/Anschaffungen eingegangen worden seien. Darlehenslasten, die nach Trennung der Ehegatten ohne Kenntnis des anderen Ehegatten und ohne erkennbare Notwendigkeit aufgestockt würden, könnten im Rahmen der Bedarfsermittlung nicht berücksichtigt werden. Durch eine Umschuldung nach der Trennung verlören Verbindlichkeiten noch nicht ihre Berechtigung als berücksichtigungsfähige Verbindlichkeit. Bei einer Aufstockung des Darlehensvolumens bei einer Umschuldung seien die Beträge in Höhe der noch nicht getilgten ehebedingten Verbindlichkeiten weiter zu berücksichtigen. Die übersteigenden Beträge könnten nur Berücksichtigung finden, wenn dargelegt werde, dass sie unumgänglich und nicht leichtfertig aufgenommen worden seien und keine anderweitigen Mittel zur Abzahlung vorgelegen hätten.

e) Nach § 1578b Abs. 1 BGB sei der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs oder ein unbegrenzter Anspruch auch unter Wahrung der Belange eines, dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergäben sich aus § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach sei insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten seien, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, oder ob eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe unbillig wäre. Ein ehebedingter Nachteil des Unterhaltsberechtigten sei nur dann gegeben, wenn er konkret aufgrund der Ehe berufliche Einschränkungen erlitten habe und daher durch eigene Erwerbstätigkeit nicht das Einkommen erzielen könne, das er ohne Ehe erzielen hätte können. Ehebedingte Nachteile in diesem Sinne könnten sich nach § 1578b Abs. 1 Satz 3 BGB vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der von den Ehegatten praktizierten Rollenverteilung im Hinblick auf Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe oder der Ehedauer ergeben. Lägen ehebedingte Nachteile vor, stünde dieser Umstand einer Begrenzung oder Befristung von Unterhaltsansprüchen grundsätzlich entgegen. Die Darlegungs- und Beweislast für Umstände, die zu einer Befristung oder Beschränkung des nachehelichen Unterhalts führen könnten, trage grundsätzlich der Unterhaltsverpflichtete, weil § 1578b BGB als Ausnahmetatbestand konzipiert sei. Habe der Unterhaltspflichtige allerdings Tatsachen vorgetragen, die – wie z.B. die Aufnahme einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit in dem vom Unterhaltsberechtigten erlernten oder vor der Ehe ausgeübten Beruf oder die Möglichkeit dazu – einen Wegfall ehebedingter Nachteile und damit eine Begrenzung des nachehelichen Unterhalts nahe legten, obliege es dem Unterhaltsberechtigten, Umstände darzulegen und zu beweisen, die gegen eine Unterhaltsbegrenzung oder für eine längere „Schonfrist“ sprechen. Das sei allerdings nur dann der Fall, wenn die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten aus seiner ausgeübten oder der ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit wenigstens die Einkünfte aus einer ehebedingt aufgegebenen Erwerbstätigkeit erreiche. Nur dann treffe ihn die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass gleichwohl ehebedingte Nachteile vorlägen, etwa weil mit der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehezeit Einbußen im beruflichen Fortkommen verbunden gewesen seien. Bliebe das jetzt erzielte oder erzielbare Einkommen jedoch hinter dem Einkommen aus der früher ausgeübten Tätigkeit zurück, weil eine Wiederaufnahme der früheren Erwerbstätigkeit nach längerer Unterbrechung nicht mehr möglich sei, bleibe es insoweit bei einem ehebedingten Nachteil, den der Unterhaltsschuldner widerlegen müsse.

Die bei der Befristung und Herabsetzung des Unterhalts anzustellende Billigkeitsabwägung beschränke sich allerdings nicht auf den Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern habe darüber hinaus die vom Gesetz geforderte nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen. Dies gelte auch für den Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB. Bei der Bestimmung des Maßes der im Einzelfall gebotenen nachehelichen Solidarität seien vor allem die in § 1578b BGB aufgeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Wesentliche Aspekte im Rahmen der Billigkeitsabwägung seien neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Zudem seien die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten von Bedeutung.

3. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung bietet für den Praktiker zahlreiche Hinweise, insbesondere bezüglich der Darlegungs- um Beweislastverteilung. Es wird nochmals klar herausgearbeitet, dass bei Vorliegen substantiierten Sachvortrages bloßes pauschales Bestreiten nicht genügt und in der Konsequenz die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO eintritt.

Hinsichtlich einer vorzunehmenden Billigkeitsabwägung werden die Kriterien des § 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB herangezogen.

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