I.Historie
Schon seit Anfang des Jahrtausends mit Einführung des Formvorschriftenanpassungsgesetz und das Zustellungsreformgesetz bemüht sich die Justiz um eine elektronische Kommunikation sowie um die Digitalisierung verschiedener Bereiche.
Namentlich zu nennen sind das automatisierte Mahnverfahren, das elektronische Handelsregister und das elektronische Grundbuch sowie das Zentrale Vorsorgeregister und das Zentrale elektronische Testamentsregister.
Entsprechende Bemühungen sind auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu verzeichnen, wobei als besonderes Hindernis hier der Föderalismus zu nennen ist, der einer bundeseinheitlichen technischen Umsetzung nicht selten im Wege steht.
Festzustellen ist dabei, dass sowohl die Justiz als auch die öffentliche Verwaltung sich über viele Jahre „um sich selbst gedreht“ und nur die professionellen Kommunikationspartner berücksichtigt haben, dabei aber selbst der Justiz nahestehende Kommunikationspartner wie z.B. Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Sachverständige und Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, insbesondere aber auch die Bürgerinnen und Bürger sowie die privatrechtlichen juristischen Personen „auf der Strecke“ geblieben sind.
Für eine rechtsverbindliche Kommunikation sah der Gesetzgeber bisher nur die qualifizierte elektronische Signatur der einzureichenden Dokumente oder die Kommunikation über ein – von der Deutschen Telekom zum 31.8.2022 aufgekündigtes – De-Mail-Konto vor, wobei weder die digitale Signatur noch die Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges über ein De-Mail-Konto sich bisher besonderer Akzeptanz und Verbreitung erfreuten.
II.Aktuelle Lage
Bei der Betrachtung der aktuellen Lage ist zu unterscheiden zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Justiz, wobei letztere erst 2021 „nachgezogen“ hat.
1.Verwaltung
Europaweit wird der Zugang zu elektronischen Verwaltungsleistungen maßgeblich in der „Single Digital Gateway-VO“ geregelt. Hiernach müssen die Mitgliedsstaaten konkrete Verwaltungsleistungen ab einem näher bestimmten Zeitpunkt online zur Verfügung stellen.
Die Verordnung nennt hierzu einerseits „Informationen über Rechte, Pflichten und Vorschriften nach dem Unionsrecht und nach nationalem Recht, die für Bürger und Unternehmen gelten“. Welche Bereiche hiervon betroffen sind, ergibt sich aus Anlage I zur Verordnung. Diese sind ab 12.12.2020 in für alle Bürgerinnen und Bürger des EU-Raums verständlicher Sprache bereitzustellen; den Kommunalbehörden wird hierfür aber eine Fristverlängerung bis 12.12.2022 gewährt.
Andererseits sieht die Verordnung vor, zu bestimmten, in der Anlage II genannten Verfahren, einen vollständigen Onlinezugang mit vollständiger Online-Abwicklung sicherzustellen, wenn das Verfahren in den jeweiligen Mitgliedsstaaten eingerichtet worden ist. Als vollständig abgewickelt ist das Verfahren anzusehen, wenn die in der Verordnung genannten Bedingungen erfüllt sind. Für diese Umsetzung ist eine Frist bis zum 12.12.2023 vorgesehen.
Christian Rupp erläutert dies in seinem Artikel „Herausforderung ‚Single-Digital-Gateway-Verordnung‘ – das andere Ende der OZG-Umsetzung“ wie folgt:
„Mittels des SDG (Verordnung (EU) Nr. 1724/2018) sollen Bürger*innen sowie Unternehmen nutzerfreundlich zweisprachig online Zugriff auf Informationen, Verfahren sowie Hilfs- und Problemlösungsdienste in allen EU-Mitgliedstaaten erhalten. …
Zudem sollen 21 ausgewählte Verwaltungsverfahren bis 2023 grenzüberschreitend in allen Mitgliedstaaten für EU-Bürger*innen und Unternehmen so bereitgestellt werden, dass sie vollständig medienbruchfrei online abgewickelt werden können. Dies beinhaltet den Zugang mittels elektronischer Identitäten (siehe eIDAS Verordnung (EU) Nr. 910/2014), die elektronische Bezahlung von Gebühren innerhalb des Verfahrens mit europäischen online Zahlungsmethoden (ePayment), diskriminierungsfreie Datenfelder …, und schlussendlich die elektronische Zustellung von Bescheiden/Urkunden mit elektronischem Siegel der jeweiligen Verwaltung. Dies alles natürlich unter Berücksichtigung der Richtlinie (EU) 2016/2102 zur Barrierefreiheit.“
Auf nationaler Ebene fordert das Grundgesetz die Schaffung eines übergreifenden technischen Zugangs zu Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern.
Hierbei hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz, weil es sich bei dem „übergreifenden informationstechnischen Zugang zu Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern“ um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt, die nur bundeseinheitlich geregelt werden kann.
In diesem Zusammenhang hat die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern 2016 vereinbart, Onlineanwendungen der öffentlichen Verwaltung für alle Nutzenden, d.h. insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, über ein Bürgerportal erreichbar zu machen.
Das seit Inkrafttreten mehrfach überarbeitete Onlinezugangsgesetz vom 14.8.2017 dient der Umsetzung dieses Beschlusses. Hauptziel ist es, den elektronischen Gang zur Behörde unkompliziert und sicher zu gestalten. Hiermit haben sich Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen „bis spätestens zum Ablauf des fünften auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalenderjahres“ (mithin bis zum 31.12.2022) auch über Verwaltungsportale anzubieten und ihre Verwaltungsportale zu einem Portalverbund zu verknüpfen.
Welche Leistungen bis zum 31.12.2022 online anzubieten sind, ergibt sich aus dem ständig fortgeschriebenen OZG-Umsetzungskatalog, der aktuell rund 575 umzusetzende, gebündelte Verwaltungsleistungen mit über 5560 Einzelleistungen umfasst.
Damit schafft das Onlinezugangsgesetz die Rechtsgrundlage für die Kommunikation der öffentlichen Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zur Bearbeitung eines Anliegens, namentlich im Bereich der Leistungsverwaltung. Hiervon abzugrenzen sind das E-Governmentgesetz des Bundes, das das digitale Verwaltungshandeln bei der Ausführung von Bundesrecht regelt, und die E-Governmentgesetze der Länder, die – teils wortgleich –Entsprechendes für die Ausführung von Landesrecht regeln.
Die Kommunikation der Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen mit den Verwaltungsportalen wird über ein nur einmal einzurichtendes Nutzerkonto erfolgen. Das Onlinezugangsgesetz definiert dieses Nutzerkonto als „zentrale Identifizierungs- und Authentifizierungskomponente“, die eine staatliche Stelle anderen Behörden zur einmaligen oder dauerhaften Identifizierung der Nutzenden zum Zwecke der Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung stellt. Dabei sind die besonderen Anforderungen einzelner Verwaltungsleistungen an die Identifizierung der Nutzenden zu berücksichtigen.
Neben dem der Identifizierung dienenden „Stammdaten“ der Nutzenden, die bei natürlichen Personen im Wesentlichen dem Inhalt des Bundespersonalausweises entsprechen und mit Einwilligung der Nutzenden zur Antragsbearbeitung von der Verwaltungsbehörde abgerufen werden können, ist weitere „IT-Komponente“ jedes Nutzerkontos ein elektronisches Postfach, über das Behörden den Nutzenden mit deren Einwilligung Dokumente und Informationen zur Verfügung stellen können. Schließlich können im Nutzerkonto mit Einwilligung der Nutzenden auch Dokumente „verarbeitet“ (gespeichert) werden.
Durch die im Jahr 2020 erfolgte Gesetzesänderung wurde das Nutzerkonto differenzierter geregelt. Hiernach werden für natürliche Personen sogenannte „Bürgerkonten“ zur Verfügung gestellt.
Für
- juristische Personen,
- Vereinigungen, denen ein Recht zustehen kann,
- natürliche Personen, die gewerblich oder beruflich tätig sind, oder
- Behörden
wird ein „Organisationskonto“ zur Verfügung gestellt werden.
Die Organisationskonten werden auf Bundesebene verwaltet, wobei sich die Nutzenden einheitlich über ein in der Steuerverwaltung eingesetztes sicheres Verfahren identifizieren und authentisieren.
Für die Einrichtung und Verwaltung der Bürgerkonten sind die Länder zuständig.
Die technische Realisierung des Zugangs zum Organisationskonto ist im ersten Halbjahr 2021 im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium für Digitales sowie des Bundes erfolgt. Durch Verordnung vom 22.9.2021 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Freistaat Bayern sowie der Freien Hansestadt Bremen die gemeinsame Aufgabe übertragen, für die im Onlinezugangsgesetz genannten Adressaten ein einheitliches Organisationskonto bereit zu stellen.
Damit sollen Unternehmen ein bundesweit nutzbares, einmalig einzurichtendes Nutzerkonto erhalten, in dem die zur Identifizierung erforderlichen „Stammdaten“ gespeichert sind und mit Einwilligung für die Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs zur Verfügung gestellt werden können. Integrierte Bestandteile sind ein elektronisches Postfach und ein Datensafe.
2.Justiz
Durch Art. 6 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften“ soll für Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen ab dem 1.1.2022 zur Übermittlung von Dokumenten auf einem sicheren Übermittlungsweg ein besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) zur Verfügung gestellt werde. Dieses dient der sicheren Kommunikation mit der Justiz, der Rechtsanwaltschaft und den Notariaten und macht damit das Anbringen einer qualifizierten elektronischen Signatur an ein zu übermittelndes Dokument überflüssig. Es ermöglicht mithin einen schriftformersetzenden Versand elektronischer Dokumente an die Justiz, die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Notarinnen und Notare sowie Zusendung elektronischer Dokumente durch die Adressaten an die Postfachinhaber. Hervorzuheben ist, dass für die Kommunikation der Bürgerinnen, Bürger und Organisationen mit der Justiz unter den näher genannten technischen Voraussetzungen auch das für die Kommunikation mit der Verwaltung einzurichtende Nutzerkonto gemäß § 2 Abs. 5 OZG verwendet werden kann (§ 13 Abs. 1 S. 1 ERVV). Dies lässt hoffen, dass Bürgerinnen, Bürger und Organisationen künftig nur ein Nutzerkonto für die Kommunikation mit Justiz und Verwaltung über einen sicheren Übermittlungsweg einrichten müssen und hierüber Dokumente ohne qualifizierte elektronische Signatur übermitteln und empfangen können. Wegen der technischen Details wird Bezug genommen auf die Begründungen zu §§ 10 und 11 ERVV.
3.Elektronischer Identitätsnachweis
Um ihre Identität gegenüber der Justiz elektronisch nachweisen zu können, bietet der Gesetzgeber den Bürgerinnen und Bürgern nach der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung unter anderem die Verwendung des Bundespersonalausweises, einer eID-Karte oder des elektronischen Aufenthaltstitels an, wobei die Nutzung des Bundespersonalausweises wohl als Hauptanwendungsfall zu nennen sein dürfte.
Organisationen identifizieren sich gegenüber der Verwaltung „über ein nach § 87a Abs. 6 der Abgabenordnung in der Steuerverwaltung eingesetztes sicheres Verfahren“, wozu der Gesetzgeber neben dem normalen Anmeldeverfahren bei der Onlineplattform der Finanzverwaltung („ELSTER“) mit elektronischem Zertifikat und PIN (Kennwort) auch die vorgenannten Möglichkeiten eröffnet. Das bereits aus dem Verfahren zur elektronischen Abgabe einer Steuererklärung über ELSTER bekannte digitale Authentisierungszertifikat „besteht aus einem Schlüsselpaar, das in einer Datei … gespeichert und durch eine individuelle PIN, die nur dem Besitzer des Zertifikates bekannt ist, kryptographisch geschützt ist“.
Die Identifizierung über ein Bürgerkonto ist bisher im Onlinezugangsgesetz nicht geregelt, weil die Federführung hierfür bei den Ländern liegt; allerdings spricht einiges dafür, dass auch in diesen Fällen neben der Authentisierung per Zertifikat die vorgenannten Möglichkeiten durch Bundespersonalausweis, eID Karte oder Aufenthaltstitel zum Einsatz kommen, weil diese Daten im Bürgerkonto gespeichert werden dürfen.
4.Technische Umsetzung
Für die digitale Authentisierung von Nutzerinnen und Nutzern mit Hilfe des elektronischen Personalausweises, der eID Karte oder des elektronischen Aufenthaltstitels gegenüber einer Online-Leistung empfiehlt der Bund die von der Governikus KG für Mobiltelefone sowohl mit dem Betriebssystem Android als auch mit Apple-iOS im Auftrag des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelte AusweisApp2. Daneben wurden auch ähnliche Lösungen, bspw. die AUTHADA Ident-App, entwickelt. Die Governikus-Lösung wird jedoch z.B. durch das Nutzerkonto Bund für den Abruf von Leistungen der Bundesverwaltung durch natürliche Personen genutzt.
Die AusweissApp2 stellt dabei eine sichere Verbindung zwischen dem eigenen Personalausweis und einem sog. eID-Server (aktuell bei der Bundesdruckerei) her, welcher die Authentizität und die Gültigkeit des Personalausweises feststellt sowie prüft, ob dieser von der Ausweisinhaberin oder dem Ausweisinhaber gesperrt wurde. Darauffolgend übermittelt er ausgelesene Daten (ein Token) an den Online-Dienst.
III.Weiterentwicklung
Während die Kommunikation der Bürgerinnen, Bürger und Organisationen mit der Justiz und deren professionellen Kommunikationspartnern damit einheitlich in der Elektronischer Rechtsverkehr Verordnung geregelt wird, ist die Entwicklung im Verwaltungsbereich dem Föderalismus geschuldet differenziert zu betrachten.
Federführend für die Kommunikation der Organisationen ist hierbei der Bund, während Aufgabe der Länder die Einrichtung von Bürgerkonten ist, die – möglichst bundesweit nutzbar – sowohl für die Verwaltungsleistungen des Bundes als auch der Länder zur Verfügung gestellt werden sollen.
Aktuell besteht das im Auftrag des Bundes entwickelte Einheitliche Unternehmenskonto als Teil von ELSTER aus den von Bayern verantworteten 4 Bausteinen (Basismodulen), die im Wesentlichen der sicheren Feststellung der Identität der Kommunikationspartner dienen. Sie realisieren eine Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und öffnen das Organisationspostfach als Rückkanal für die Ablage von Dokumenten und Bescheiden an den Postfachinhaber sowie die Notifikation bei neuen Posteingängen. Teilweise – bei Architekten und Notaren – ist auch schon die Möglichkeit der zeitweisen Vertretung realisiert.
Durch „Verwaltungsabkommen (Einzelvereinbarung) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesland Bremen zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes: Infrastrukturkomponente MUWISTA – Bausteine 5 und 6 des einheitlichen Unternehmenskontos“ vom 5.10.2021 wurde das Bundesland Bremen mit der Entwicklung des Bausteins 5 (OZG-Postfach Plus), das theoretisch das ELSTER-Unternehmenskonto erweitern bzw. ersetzen kann, und des Bausteins 6 (Autorisierungsmodul) bis Ende 2022 beauftragt.
Bei der durch die Governikus KG technisch zu realisierenden Erweiterung der Postfachkomponente scheint für die Kommunikation mit Justiz und Verwaltung bedeutsam die Möglichkeit, verschiedene Transportinfrastrukturen nutzen, sowie das Postfach wechseln (z.B. Weiterleitung) und Gruppen- und Funktionspostfächer einrichten zu können. Kernpunkte der Autorisierungskomponenten dürften sein die Abwesenheitsvertretung in Urlaubs- und Krankheitsfällen und die Zugriffssteuerung auf Postfächer innerhalb einer Organisation mit organisationsinternen Zugriffsregelungen.
IV.Fazit
Würden sich die Länder entschließen – und eine andere Lösung scheint sowohl unter Kostengesichtspunkten als auch wegen des Zeitdrucks wenig realistisch –, die von ihnen bis zum 31.12.2022 zu entwickelnden Bürgerkonten entsprechend den im Auftrag des Bundes entwickelten und auszubauenden Organisationskonten umzusetzen, wäre ein sicherer Übermittlungsweg zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Organisationen einerseits und der Justiz und der Verwaltung andererseits geschaffen. Hilfreich sind hierbei neben der vom Gesetzgeber in § 13 Abs. 1 ERVV eröffneten Nutzung auch der Organisations- und Bürgerkonten nach dem Onlinezugangsgesetz die mit Baustein 5, dem OZG-Postfach Plus, zu realisierende Unterstützung verschiedener Transportinfrastrukturen.