Historie
Schon seit Anfang des Jahrtausends mit Einführung des
Formvorschriftenanpassungsgesetz FormVorAnpG v. 13.7.2001; BGBl I 2001, 1542. ZustRG v. 25.6.2001; BGBl I 2001, 1206.
Namentlich zu nennen sind das automatisierte Mahnverfahren, das elektronische Handelsregister und das elektronische Grundbuch sowie das Zentrale Vorsorgeregister und das Zentrale elektronische Testamentsregister.
Entsprechende Bemühungen sind auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung zu verzeichnen, wobei als besonderes Hindernis hier der Föderalismus zu nennen ist, der einer bundeseinheitlichen technischen Umsetzung nicht selten im Wege steht.
Festzustellen ist dabei, dass sowohl die Justiz als auch die öffentliche Verwaltung sich über viele Jahre „um sich selbst gedreht“ und nur die professionellen Kommunikationspartner berücksichtigt haben, dabei aber selbst der Justiz nahestehende Kommunikationspartner wie z.B. Dolmetscherinnen und Dolmetscher, Sachverständige und Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, insbesondere aber auch die Bürgerinnen und Bürger sowie die privatrechtlichen juristischen Personen „auf der Strecke“ geblieben sind.
Für eine rechtsverbindliche Kommunikation sah der Gesetzgeber bisher nur die qualifizierte elektronische Signatur der einzureichenden Dokumente oder die Kommunikation über ein – von der Deutschen Telekom zum 31.8.2022 aufgekündigtes – De-Mail-Konto vor, wobei weder die digitale Signatur noch die Nutzung eines sicheren Übermittlungsweges über ein De-Mail-Konto sich bisher besonderer Akzeptanz und Verbreitung erfreuten.
Aktuelle Lage
Bei der Betrachtung der aktuellen Lage ist zu unterscheiden zwischen der öffentlichen Verwaltung und der Justiz, wobei letztere erst 2021 „nachgezogen“ hat.
Verwaltung
Europaweit wird der Zugang zu elektronischen Verwaltungsleistungen
maßgeblich in der „Single Digital Gateway-VO“ Verordnung (EU) 2018/1724 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 2.10.2018 über die Einrichtung eines einheitlichen
digitalen Zugangstors zu Informationen, Verfahren, Hilfs- und
Problemlösungsdiensten und zur Änderung der Verordnung (EU)
1024/2012 (AmtBl. L 295), Art. 39 SDG-VO
Die Verordnung nennt hierzu einerseits „Informationen über Rechte,
Pflichten und Vorschriften nach dem Unionsrecht und nach nationalem Recht,
die für Bürger und Unternehmen gelten“. Art. 2 Abs. 2 S. 1 lit. a SDG-VO Art. 39 S. 2 SDG-VO Art. 39 S. 4 SDG-VO
Andererseits sieht die Verordnung vor, zu bestimmten, in der Anlage
II genannten Verfahren, einen vollständigen Onlinezugang mit vollständiger
Online-Abwicklung sicherzustellen, wenn das Verfahren in den jeweiligen
Mitgliedsstaaten eingerichtet worden ist. Art. 6 Abs. 1 SDG-VO Art. 6 Abs. 3 SDG-VO Art. 39 S. 3 SDG-VO
Christian Rupp erläutert
dies in seinem Artikel „Herausforderung ‚Single-Digital-Gateway-Verordnung‘
– das andere Ende der OZG-Umsetzung“ https://www.vdz.org/digitalisierung-der-verwaltung/herausforderung-single-digital-gateway-verordnung-ozg-umsetzung,
abgerufen am 29.11.2021.
„Mittels des SDG (Verordnung (EU) Nr. 1724/2018) sollen Bürger*innen sowie Unternehmen nutzerfreundlich zweisprachig online Zugriff auf Informationen, Verfahren sowie Hilfs- und Problemlösungsdienste in allen EU-Mitgliedstaaten erhalten. …
Zudem sollen 21 ausgewählte Verwaltungsverfahren bis 2023 grenzüberschreitend in allen Mitgliedstaaten für EU-Bürger*innen und Unternehmen so bereitgestellt werden, dass sie vollständig medienbruchfrei online abgewickelt werden können. Dies beinhaltet den Zugang mittels elektronischer Identitäten (siehe eIDAS Verordnung (EU) Nr. 910/2014), die elektronische Bezahlung von Gebühren innerhalb des Verfahrens mit europäischen online Zahlungsmethoden (ePayment), diskriminierungsfreie Datenfelder …, und schlussendlich die elektronische Zustellung von Bescheiden/Urkunden mit elektronischem Siegel der jeweiligen Verwaltung. Dies alles natürlich unter Berücksichtigung der Richtlinie (EU) 2016/2102 zur Barrierefreiheit.“
Auf nationaler Ebene fordert das Grundgesetz die Schaffung eines
übergreifenden technischen Zugangs zu Verwaltungsleistungen von Bund und
Ländern. Art. 91c Abs. 5 GG
Hierbei hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz, weil es sich bei
dem „übergreifenden informationstechnischen Zugang zu Verwaltungsleistungen
von Bund und Ländern“ um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt, die nur
bundeseinheitlich geregelt werden kann. Vgl. hierzu auch den durch Gesetz zu dem Staatsvertrag zur
Ausführung von Art. 91c GG v. 16.3.2010, GBl BW 2010, S. 314, 319,
umgesetzte IT-Staatsvertrag vom 20.11.2009 i.d.F. v. 13.12.2019,
BGBl I 2019, 2852
In diesem Zusammenhang hat die Konferenz der Regierungschefinnen und
Regierungschefs von Bund und Ländern 2016 vereinbart, Onlineanwendungen der
öffentlichen Verwaltung für alle Nutzenden, d.h. insbesondere für die
Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, über ein Bürgerportal erreichbar
zu machen. Vgl. BT-Drucks 18/11135, S. 5,
Das seit Inkrafttreten mehrfach überarbeitete Onlinezugangsgesetz Art. 9 des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen
Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung
haushaltsrechtlicher Vorschriften v. 14.8.2017 (BGBl I 2017, 3122) –
zur Begründung vgl. BT-Drucks 18/11135 – in der aktuellen Fassung v.
28.3.2021, BGBl I 2021, 591. § 1 Abs. 1 OZG § 1 Abs. 2 OZG
Welche Leistungen bis zum 31.12.2022 online anzubieten sind, ergibt
sich aus dem ständig fortgeschriebenen OZG-Umsetzungskatalog, https://informationsplattform.ozg-umsetzung.de/iNG/app/intro,
abgerufen am 29.11.2021.
Damit schafft das Onlinezugangsgesetz die Rechtsgrundlage für die Kommunikation der öffentlichen Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zur Bearbeitung eines Anliegens, namentlich im Bereich der Leistungsverwaltung. Hiervon abzugrenzen sind das E-Governmentgesetz des Bundes, das das digitale Verwaltungshandeln bei der Ausführung von Bundesrecht regelt, und die E-Governmentgesetze der Länder, die – teils wortgleich –Entsprechendes für die Ausführung von Landesrecht regeln.
Die Kommunikation der Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen mit den
Verwaltungsportalen wird über ein nur einmal
einzurichtendes Nutzerkonto erfolgen. Das
Onlinezugangsgesetz definiert dieses Nutzerkonto als „zentrale
Identifizierungs- und Authentifizierungskomponente“, die eine staatliche
Stelle anderen Behörden zur einmaligen oder dauerhaften Identifizierung der
Nutzenden zum Zwecke der Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen
Verwaltung zur Verfügung stellt. § 2 Abs. 5 S. 1 OZG § 3 Abs. 2 S. 5 OZG
Neben dem der Identifizierung dienenden „Stammdaten“ der Nutzenden,
die bei natürlichen Personen im Wesentlichen dem Inhalt des
Bundespersonalausweises entsprechen § 8 Abs. 1 OZG § 2 Abs. 7 OZG § 8 Abs. 4 OZG
Durch die im Jahr 2020 erfolgte Gesetzesänderung Gesetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der
Gewährung von Familienleistungen, BGBl I, 2020, 2668. § 2 Abs. 5 S. 3 OZG
Für
-
juristische Personen,
-
Vereinigungen, denen ein Recht zustehen kann,
-
natürliche Personen, die gewerblich oder beruflich tätig sind, oder
-
Behörden
wird ein „Organisationskonto“ zur Verfügung gestellt werden. § 2 Abs. 5 S. 4 OZG
Die Organisationskonten werden auf Bundesebene verwaltet, § 3 Abs. 2 S. 2 OZG § 87a Abs. 6 AO
Für die Einrichtung und Verwaltung der Bürgerkonten sind die Länder
zuständig. § 7 Abs. 1 u. 2 OZG
Die technische Realisierung des Zugangs zum Organisationskonto ist
im ersten Halbjahr 2021 im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium für
Digitales sowie des Bundes erfolgt. https://www.stmd.bayern.de/aktuelles/online-pressekonferenzen/start-des-bundesweiten-digitalen-unternehmenskontos/,
abgerufen am 29.11.2021. Verordnung nach § 3 Abs. 2 S. 2 des Onlinezugangsgesetzes,
BGBl I 2021, 4370.
Damit sollen Unternehmen ein bundesweit nutzbares, einmalig einzurichtendes Nutzerkonto erhalten, in dem die zur Identifizierung erforderlichen „Stammdaten“ gespeichert sind und mit Einwilligung für die Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs zur Verfügung gestellt werden können. Integrierte Bestandteile sind ein elektronisches Postfach und ein Datensafe.
Justiz
Durch Art. 6 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen
Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften“ BGBl I 2021, 4607. § 10 der Elektronischer-Rechtsverkehr Verordnung (ERVV) v.
24.11.2017 (BGBl I 2017, 3803) i.d.F. v. 9.2.2018 (BGBl I 2018,
200). § 10 Abs. 2 ERVV BT-Drucks 19/28399, S. 41–44.
Elektronischer Identitätsnachweis
Um ihre Identität gegenüber der Justiz elektronisch nachweisen zu
können, bietet der Gesetzgeber den Bürgerinnen und Bürgern nach der
Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung unter anderem die Verwendung des
Bundespersonalausweises, einer eID-Karte oder des elektronischen
Aufenthaltstitels an, § 11 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 ERVV
Organisationen identifizieren sich gegenüber der Verwaltung „über
ein nach § 87a Abs. 6 der Abgabenordnung in der Steuerverwaltung
eingesetztes sicheres Verfahren“, § 3 Abs. 2 S. 3 OZG
Die Identifizierung über ein Bürgerkonto ist bisher im
Onlinezugangsgesetz nicht geregelt, weil die Federführung hierfür bei den
Ländern liegt; allerdings spricht einiges dafür, dass auch in diesen Fällen
neben der Authentisierung per Zertifikat die vorgenannten Möglichkeiten
durch Bundespersonalausweis, eID Karte oder Aufenthaltstitel zum Einsatz
kommen, weil diese Daten im Bürgerkonto gespeichert werden dürfen. § 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. j OZG
Technische Umsetzung
Für die digitale Authentisierung von Nutzerinnen und Nutzern mit
Hilfe des elektronischen Personalausweises, der eID Karte oder des
elektronischen Aufenthaltstitels gegenüber einer Online-Leistung empfiehlt
der Bund https://www.personalausweisportal.de/Webs/PA/DE/buergerinnen-und-buerger/online-ausweisen/online-ausweisen-node.html,
abgerufen am 29.11.2021.
Die AusweissApp2 stellt dabei eine sichere Verbindung zwischen dem
eigenen Personalausweis und einem sog. eID-Server https://www.personalausweisportal.de/Webs/PA/DE/wirtschaft/technik/eID-server/eid-server-node.html,
abgerufen am 29.11.2021.
Weiterentwicklung
Während die Kommunikation der Bürgerinnen, Bürger und Organisationen mit der Justiz und deren professionellen Kommunikationspartnern damit einheitlich in der Elektronischer Rechtsverkehr Verordnung geregelt wird, ist die Entwicklung im Verwaltungsbereich dem Föderalismus geschuldet differenziert zu betrachten.
Federführend für die Kommunikation der Organisationen ist hierbei der Bund, während Aufgabe der Länder die Einrichtung von Bürgerkonten ist, die – möglichst bundesweit nutzbar – sowohl für die Verwaltungsleistungen des Bundes als auch der Länder zur Verfügung gestellt werden sollen.
Aktuell besteht das im Auftrag des Bundes entwickelte Einheitliche
Unternehmenskonto als Teil von ELSTER aus den von Bayern verantworteten 4
Bausteinen (Basismodulen), die im Wesentlichen der sicheren Feststellung der
Identität der Kommunikationspartner dienen. Sie realisieren eine
Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und öffnen das Organisationspostfach als
Rückkanal für die Ablage von Dokumenten und Bescheiden an den Postfachinhaber
sowie die Notifikation bei neuen Posteingängen. Teilweise – bei Architekten und
Notaren – ist auch schon die Möglichkeit der zeitweisen Vertretung
realisiert. Vgl. „Prüfauftrag zu Baustein 5 ‚OZG Plus Postfach‘ und Baustein
6 ‚Autorisierungsmodul‘“ des IT-Planungsrats, S. 3,5 und 6,
https://www.it-planungsrat.de/fileadmin/beschluesse/2020/Beschluss2020–23_TOP_04_Anlage_Unternehmenskonto.pdf
aufgrund des Beschlusses des IT-Planungsrats vom 24.6.2020,
https://www.it-planungsrat.de/beschluss/beschluss-2020–23, beides
zuletzt abgerufen am 14.1.2022.
Durch „Verwaltungsabkommen (Einzelvereinbarung) zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesland Bremen zur Umsetzung des
Onlinezugangsgesetzes: Infrastrukturkomponente MUWISTA „Module für Wirtschaft und Staat im einheitlichen
Unternehmenskonto“ https://www.transparenz.bremen.de/metainformationen/top-9-verwaltungsabkommen-einzelvereinbarung-zwischen-der-bundesrepublik-deutschland-und-dem-bundesland-bremen-zur-umsetzung-des-onlinezugangsgesetzes-infrastrukturkomponente-muwista-bausteine-5-und-6-des-einheitlichen-unternehmenskontos-171799?asl=bremen02.c.732.de,
zuletzt aufgerufen am 14.1.2022.
Bei der durch die Governikus KG technisch zu realisierenden Erweiterung
der Postfachkomponente scheint für die Kommunikation mit Justiz und Verwaltung
bedeutsam die Möglichkeit, verschiedene Transportinfrastrukturen nutzen, sowie
das Postfach wechseln (z.B. Weiterleitung) und Gruppen- und Funktionspostfächer
einrichten zu können. Vgl. „Prüfauftrag zu Baustein 5 ‚OZG Plus Postfach‘ und Baustein
6 ‚Autorisierungsmodul‘“ des IT-Planungsrats, S. 5,
https://www.it-planungsrat.de/fileadmin/beschluesse/2020/Beschluss2020–23_TOP_04_Anlage_Unternehmenskonto.pdf,
zuletzt abgerufen am 14.1.2022. Vgl. „Prüfauftrag zu Baustein 5 ‚OZG Plus Postfach‘ und Baustein
6 ‚Autorisierungsmodul‘“ des IT-Planungsrats, S. 6,
https://www.it-planungsrat.de/fileadmin/beschluesse/2020/Beschluss2020–23_TOP_04_Anlage_Unternehmenskonto.pdf,
zuletzt abgerufen am 14.1.2022.
Fazit
Würden sich die Länder entschließen – und eine andere Lösung scheint sowohl unter Kostengesichtspunkten als auch wegen des Zeitdrucks wenig realistisch –, die von ihnen bis zum 31.12.2022 zu entwickelnden Bürgerkonten entsprechend den im Auftrag des Bundes entwickelten und auszubauenden Organisationskonten umzusetzen, wäre ein sicherer Übermittlungsweg zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Organisationen einerseits und der Justiz und der Verwaltung andererseits geschaffen. Hilfreich sind hierbei neben der vom Gesetzgeber in § 13 Abs. 1 ERVV eröffneten Nutzung auch der Organisations- und Bürgerkonten nach dem Onlinezugangsgesetz die mit Baustein 5, dem OZG-Postfach Plus, zu realisierende Unterstützung verschiedener Transportinfrastrukturen.