Beitrag

BAG: Zur angemessenen Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis

Die Vereinbarung einer Probezeit, die der Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses entspricht, ist in der Regel unverhältnismäßig.

[Amtlicher Leitsatz der Richter des BAG]

1. Die Vereinbarung einer am Maßstab des § 15 Abs. 3 TzBfG zu langen Probezeit in einem Arbeitsvertragsformular lässt die darauf bezogene Vereinbarung entfallen, wenn es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen oder jedenfalls um vorformulierte Vertragsbedingungen handelt. Eine geltungserhaltende Reduktion der arbeitsvertraglichen Vereinbarung auf das angemessene Maß ist nicht möglich.

2. Die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung lässt die ordentliche Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses unberührt.

Die Auslegungsbedürftigkeit einer Vertragsklausel führt nicht automatisch zu deren Intransparenz.

Endet das Arbeitsverhältnis durch eine Befristung, darf eine vereinbarte Probezeit gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG jedenfalls ohne Hinzutreten von besonderen Umständen nicht der gesamten Befristungsdauer entsprechen.

Ist neben oder in einer Vereinbarung über die Probezeit eine Abrede über die Beendigung des befristeten Arbeitsvertrags durch eine ordentliche Kündigung getroffen, bleibt deren Wirksamkeit von der Unwirksamkeit einer unverhältnismäßig langen Probezeit unberührt.

Die unverhältnismäßige Dauer der Probezeit hat zur Folge, dass eine Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht mit der verkürzten Frist des § 622 Abs. 3 BGB beendet.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG, Urt. v. 5.12.20242 AZR 275/23

I. Der Fall

Gegenstand des Rechtsstreits

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung eines Arbeitsverhältnisses, welches auf Probe für den Zeitraum von sechs Monaten befristet abgeschlossen war.

arbeitsvertragliche Regelung

Der am 22.8.2022 vereinbarte Arbeitsvertrag regelte u.a. unter § 1 (Beginn des Arbeitsverhältnisses, Probezeit) das Folgende: „1. Der Arbeitnehmer wird ab 1.9.2022 als Serviceberater/Kfz-Meister eingestellt. 2. Die Einstellung erfolgt zunächst zur Probe bis zum 28.2.2023. Das Probearbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Wird das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Probezeit fortgesetzt, so gilt es als auf unbestimmte Zeit begründet. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen schriftlich gekündigt werden.“

Kündigung

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.10.2022 zum 11.11.2022 und stellte das Kündigungsschreiben per Boten am selben Tag dem Kläger zu.

Verfahrensgang

Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Lübeck. Die Kündigung sei nach Auffassung des Klägers unwirksam, da im bis zum 28.2.2023 befristeten Arbeitsvertrag keine Kündigungsmöglichkeit wirksam vereinbart worden sei. Die dort geregelte Probezeit stehe nicht im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit. Der Beklagte habe zudem nicht ordentlich gekündigt, sondern eine Kündigung eigener Art in der Probezeit zum 11.11.2022 erklärt. Eine hilfsweise Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt habe der Beklagte nicht ausgesprochen, weshalb das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe.

Das ArbG Lübeck hat mit Urt. v. 26.4.2023 – 4 Ca 1903/22 das bereits zuvor gegen den Kläger ergangene Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das LAG Schleswig-Holstein wies die Berufung des Klägers mit Urt. v. 18.10.2023 – 3 Sa 81/23 zurück. Das LAG ließ die Revision für beide Parteien nach § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zu, da die Frage nach der Auslegung von § 15 Abs. 3 TzBfG hinsichtlich der angemessenen Dauer der Probezeit bei Befristungen zur Erprobung jedenfalls in Bezug auf die zutreffende Kündigungsfrist entscheidungserheblich sei, außerdem die Thematik mangels obergerichtlicher Rechtsprechung grundsätzliche Bedeutung habe. Das BAG hielt die zulässige Revision des Klägers für nur teilweise begründet und wies sie im Übrigen zurück.

II. Die Entscheidung

Kernaussagen

Das BAG entschied, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis zwar beendet habe, jedoch § 622 Abs. 1 BGB anstelle von § 622 Abs. 3 BGB für die Kündigungsfrist maßgeblich sei. Der Grund dafür liege darin, dass § 15 Abs. 3 TzBfG vor Abschluss des Arbeitsvertrags neu gefasst worden war und nun vorschreibe, dass eine für ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbarte Probezeit in einem angemessenen Verhältnis zur erwarteten Befristungsdauer und der Art der Tätigkeit stehen muss. Diese Neuregelung habe der deutsche Gesetzgeber mit der Änderung in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 S. 1 der europäischen Arbeitsbedingungen-Richtlinie umgesetzt. Vorliegend habe die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses aber der Dauer der Probezeit entsprochen.

Unverhältnismäßigkeit nach § 15 Abs. 3 TzBfG

Das BAG führt aus: Die vereinbarte Probezeit von sechs Monaten ist unverhältnismäßig i.S.v. § 15 Abs. 3 TzBfG und damit unwirksam. Endet das Arbeitsverhältnis durch eine Befristung, darf eine vereinbarte Probezeit jedenfalls ohne Hinzutreten von besonderen Umständen nicht der gesamten Befristungsdauer entsprechen.

zulässige Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis

Das BAG stellt fest, dass weder § 15 Abs. 3 TzBfG noch der dieser Regelung zugrunde liegende Art. 8 der Arbeitsbedingungen-Richtlinie ausdrückliche Regelungen zur zulässigen absoluten oder relativen Dauer einer Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis beinhalten. Den Meinungsstand im Schrifttum stellt das BAG dann in Rn 17 des Urteils umfassend dar, um dann aber leider festzustellen, dass der Senat selbst keine abschließende Entscheidung hierzu treffen müsste. Jedenfalls sei ohne Hinzutreten von besonderen Umständen die Vereinbarung einer Probezeit unwirksam, die – wie vorliegend – der gesamten Dauer der vereinbarten Befristung entspricht.

Folge der Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung

Die Vereinbarung einer am Maßstab des § 15 Abs. 3 TzBfG zu langen Probezeit lasse die darauf bezogene Vereinbarung entfallen. Sie sei vorliegend auch nicht auf die zulässige Dauer zu verkürzen. Eine geltungserhaltene Reduktion komme nicht in Betracht, § 622 Abs. 3 BGB könne damit nicht angewendet werden.

ordentliche Kündbarkeit bleibt möglich

Auch wenn die Möglichkeit einer Probezeitkündigung mit verkürzter Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei, bliebe vorliegend aber eine ordentliche Kündigung nach § 622 Abs. 1 BGB möglich. Zwar ginge der Gesetzgeber nach der zu § 15 Abs. 3 TzBfG gegebenen Begründung davon aus, dass bei einer unverhältnismäßigen Dauer der Probezeit, diese nicht wirksam vereinbart wurde und damit die verkürzte Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB nicht greife (BT-Drucks 20/1636 S. 34). Das BAG schließt sich hier aber einer vermittelnden Ansicht an, wonach die ordentliche Kündbarkeit jedenfalls dann nicht nach § 15 Abs. 3 TzBfG entfalle, wenn die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung neben der (unwirksamen) Probezeitabrede getroffen wurde.

konkrete Ausgestaltung der Vertragsbedingungen entscheidend

Vorliegend kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass die Parteien in § 1 Nr. 2 S. 4 des Arbeitsvertrags eine von der Vereinbarung in § 1 Nr. 2 S. 1 des Arbeitsvertrags sprachlich und inhaltlich unabhängige Abrede über die Kündbarkeit während der Befristung getroffen hätten. Haben sie nämlich neben oder in einer Vereinbarung über die Probezeit eine Abrede über die Kündbarkeit getroffen, bliebe deren Wirksamkeit von der Unwirksamkeit einer unverhältnismäßig langen Probezeit unberührt.

III. Der Praxistipp

Befristungen zur Probe und Probezeitkündigungen bleiben möglich

Eine Probezeitvereinbarung mit verkürzter Kündigungsfrist gem. § 622 Abs. 3 BGB kombiniert mit einer gleichzeitigen Erprobungsbefristung auf sechs Monate bleibt möglich. Nur die Dauer der Probezeit und der Befristung dürfen sich nicht entsprechen, was aber in Anbetracht des Wortlauts von § 15 Abs. 3 TzBfG ohnehin klar war.

zulässige Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis

Leider bleibt die zulässige Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis unklar, da dies vorliegend nicht entscheidungserheblich war. Es bleibt also weiterhin abzuwarten, ob die Rechtsprechung künftig klare zeitliche Vorgaben machen wird. Je kürzer die Dauer der Probezeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese im Streitfall „hält“. Aus meiner Sicht dürfte eine Probezeit, die maximal ein Viertel der Vertragslaufzeit ausmacht, einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.

Sorgfalt bei der Vertragsgestaltung

Auch wenn die Rechtsprechung zu § 15 Abs. 3 TzBfG hier großzügig ist, sollte bei Befristungsabreden auch bei Probezeitvereinbarungen wegen § 15 Abs. 4 TzBfG immer klar geregelt werden, dass das Arbeitsverhältnis trotz der Befristung ordentlich kündbar ist. Ist die Probezeitvereinbarung unwirksam, ist dann zumindest unmissverständlich, dass das Arbeitsverhältnis mit der ordentlichen Kündigungsfrist kündbar ist.

Constantin Wlachojiannis, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, wlachojiannis@michelspmks.de

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