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LAG München: Betriebsbedingte Kündigung Fraktionsmitarbeiter

Die betriebsbedingte Kündigung eines unbefristet eingestellten, sog. inhaltsgestaltenden Mitarbeiters einer Fraktion im bayerischen Landtag zum Ende einer Legislaturperiode ist nicht sozialgerechtfertigt, wenn die Landtagsfraktion nicht die Prognose stellen kann, die Beschäftigungsmöglichkeit des Mitarbeiters werde zum Ende der Legislaturperiode entfallen.

[Amtlicher Leitsatz]

LAG München, Urt. v. 26.9.20243 SLa 46/24

I. Der Fall

Fraktionsmitarbeiter

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger war bei der AfD-Fraktion im Bayrischen Landtag, die für die 18. Legislaturperiode gewählt worden war, beschäftigt. Sein Tätigkeitsgebiet umfasste in geringem Umfang einfache Tätigkeiten wie Büro- und Terminorganisation und überwiegend höherwertige Tätigkeiten wie Ausschussrecherche und -vorbereitung, Vorbereitung von Reden, Bearbeitung von Bürgeranliegen, Medienkommunikation und Mitteilungen, inhaltliche parlamentarische Themenanalyse und vergleichbare Tätigkeiten. Der Kläger war einer von drei unbefristet angestellten Mitarbeitern, die weiteren 27 Mitarbeiter waren befristet beschäftigt.

Grundsatz der Diskontinuität

Im Sommer 2023 sagten Wahlprognosen der AfD einen Wahlerfolg von 15–17 % bei der Bayerischen Landtagswahl 2023 voraus. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis und begründete dies mit dem sog. Grundsatz der Diskontinuität. Die Auflösung der bisherigen Fraktion führe zum Wegfall der Tätigkeit des Klägers.

Verfahrensgang

Mit seiner Kündigungsschutzklage bestritt der Kläger, dass sein Arbeitsplatz weggefallen sei. Die von ihm erbrachten Tätigkeiten würden auch in der neuen Legislaturperiode anfallen. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt (ArbG München, Urt. v. 25.1.2024 – 6 Ca 6582/23). Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein.

II. Die Entscheidung

Berufung erfolglos

Das LAG München hielt die Berufung zwar für zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht habe zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung nicht beendet worden sei. Die Kündigung sei gem. § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 KSchG rechtsunwirksam.

Modifizierung des Diskontinuitätsgrundsatzes

Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe die Beklagte nicht die Prognose stellen können, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger aufgrund des Grundsatzes der Diskontinuität zum Ende der 18. Wahlperiode am 30.10.2023 entfallen würde. Der sich aus Art. 16 Abs. 1 Bayerische Verfassung ergebende Grundsatz der Diskontinuität, nach dem der Landtag und die Fraktionen mit dem Ende der Wahlperiode aufhören zu existieren, rechtfertigte die Kündigung nicht. Zwar führe das Ende der Rechtsstellung der Fraktion dazu, dass sie grundsätzlich als Arbeitgeber des von ihr beschäftigten Personals wegfalle, Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayFraktG modifiziere diesen Grundsatz aber. Dieser bestimme schließlich, dass die Fraktion über die Dauer der Wahlperiode hinaus als fortbestehend gelte, sofern sie sich in der folgenden Wahlperiode nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Landtags neu bilde. In diesem Fall gehe das Vermögen einschließlich der Forderungen und Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften der früheren Fraktion auf sie über. Dies umfasse auch die Arbeitsverhältnisse der Fraktionsmitarbeiter.

fehlerhafte Prognose

Da im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht auszuschließen war, dass die bisherige Fraktion über die Dauer der 18. Legislaturperiode des bayerischen Landtags hinaus als fortbestehend gelten und die neu konstituierte Fraktion in das Arbeitsverhältnis des Klägers eintreten würde, sei die Prognose der bisherigen Fraktion, dass die Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers wegen Beendigung der Fraktion entfallen würde, nicht möglich. Schließlich bestehe die hinreichend sichere Möglichkeit, dass sich auch in der 19. Legislaturperiode des Bayerischen Landtags eine neue Fraktion der AfD bilden würde. Die Wahlprognosen ließen den sicheren Schluss zu, dass die AfD mit mindestens gleicher Stärke in den Bayerischen Landtag gewählt werden und deshalb die Voraussetzungen zur Bildung einer Fraktion erfüllt sein würden. Die Kündigung sei bereits deswegen unwirksam.

III. Der Praxistipp

zu schnell

Die Beklagte hat hier wahrscheinlich etwas vorschnell gehandelt. Es ist nicht auszuschließen, dass nach Neubildung der Fraktion, sich ggf. ein Kündigungsgrund ergibt, denn der Kläger war nicht nur mit Verwaltungstätigkeiten, sondern überwiegend auch mit inhaltlichen Tätigkeiten (Schreiben von Reden, etc.) beschäftigt. Es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass nach der Neukonstituierung der Fraktion, hier dessen Beschäftigungsbedarf tatsächlich entfällt.

Befristung?

Eine Befristung hätte im Übrigen auch nicht geholfen. Denn die Befristung von Arbeitsverträgen nicht-wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Dauer einer Legislaturperiode ist ebenfalls nicht allein aus dem Grundsatz der Diskontinuität der Fraktion sachlich gerechtfertigt (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.8.2015 – 7 Sa 355/15; BAG, Urt. v. 26.8.1998 – 7 AZR 450/97).

Dr. Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kamann@michelspmks.de

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