Wird ein Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Erweiterung seines Arbeitsvertrags um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben zum Abfallbeauftragten bestellt, unterliegt seine nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einseitig mögliche Abberufung, mit der der Arbeitgeber auch die Anpassung des Vertrags rückgängig machen will, einer gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB.
[Leitsatz der Richterinnen und Richter des BAG]
I. Der Fall
Gegenstand des Rechtsstreits
Die Parteien streiten – soweit für die Revision noch von Bedeutung – über die Abberufung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall, die zum 31.3.2017 erfolgte. Hilfsweise hat sich der Kläger gegen die ihm anschließend mit Schreiben vom 20.6.2018 ab dem 1.7.2018 zugewiesenen Tätigkeiten gewandt.
Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses
Der Kläger ist seit dem 15.12.1993 bei der Beklagten beschäftigt, einem selbstständigen Kommunalunternehmen der Stadt N. Nach dem Arbeitsvertrag vom 15.12.1993 wurde er als „Angestellter“ eingestellt.
Bestellung und Widerruf der Bestellung zum Abfallbeauftragten
Zum 7.3.1994 bestellte die Beklagte den Kläger zum Betriebsbeauftragten für Abfall. Diese Bestellung nahm sie mit Wirkung zum 1.1.1998 nochmals vor. Mit Schreiben vom 31.3.2017 widerrief die Beklagte die Bestellung des Klägers und bestellte zum 1.4.2017 einen externen Abfallbeauftragten. In der Folge verhandelten die Parteien über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. den zukünftigen Inhalt der Tätigkeit des Klägers. Mit Schreiben vom 20.6.2018 wies die Beklagte dem Kläger mit Wirkung zum 1.7.2018 eine Stelle als Sachbearbeiter mit Sonderaufgaben im Projektmanagement der Themenfelder Medizintechnik zu.
Verfahrensgang
Mit seiner am 29.8.2019 beim ArbG Nürnberg eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, seine Abberufung als Abfallbeauftragter sei unwirksam. Sie verstoße gegen das Benachteiligungsverbot und sei nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Das ArbG stellte daraufhin fest, dass die Rechtsstellung des Klägers als Betriebsbeauftragter für Abfall nicht durch die Abberufung des Beklagten vom 31.3.2017 beendet worden sei (Urt. v. 18.1.2022 – 15 Ca 4538/19). Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem LAG Nürnberg Erfolg. Das LAG hielt mit Urt. v. 27.10.2022 – 5 Sa 76/22 die Abberufung des Klägers als Betriebsbeauftragten für Abfall rechtlich für zulässig. Es ließ die Revision gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu. Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
II. Die Entscheidung
Betriebsbeauftrage für Abfall
Betreiber von bestimmten Anlagen, die in § 59 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) genannt sind, haben einen Betriebsbeauftragen für Abfall zu bestellen.
Auswirkung der Bestellung auf das Arbeitsverhältnis
Durch die Bestellung einzelner Arbeitnehmer zu Funktionsbeauftragten im bestehenden Arbeitsverhältnis wird regelmäßig der Arbeitsvertrag nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen um die mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot durch Übernahme der Tätigkeit an und dokumentiert er damit sein Einverständnis mit der Bestellung, wird der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung entsprechend geändert und angepasst. Wird die Bestellung wirksam widerrufen oder entfällt das Funktionsamt auf andere Weise, ist die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil der vertraglich geschuldeten Leistung.
Übertragung auf den konkreten Fall
Auch im vorliegenden Fall sollte dementsprechend lediglich für die Dauer der wirksamen Bestellung der Arbeitsvertrag um die Wahrnehmung des Funktionsamts erweitert werden. Der Kläger wurde nach seinem – für den öffentlichen Dienst typischen – Arbeitsvertrag „als Angestellter“ eingestellt und nicht als „Abfallbeauftragter“. Die Beklagte wollte ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Bestellung eines Abfallbeauftragten genügen und die dafür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen treffen, aber keine weitergehenden Verpflichtungen eingehen. Der Kläger strebte, wie es regelmäßig der Fall sein dürfte, keine – für ihn nachteilige – vertragliche Einschränkung auf die Tätigkeiten des Amtes an. Die Parteien haben damit – konkludent – eine Änderung des Arbeitsvertrags für die Zeitspanne vereinbart, für die der Kläger das Amt nach den gesetzlichen Bestimmungen ausübt.
Was gilt bei Abberufung?
Das BAG nahm hinsichtlich der Abberufung eines Abfallbeauftragten ausgehend von den vorstehenden Erwägungen sowohl die gesetzlichen Vorgaben des Umweltschutzrechts als auch die Anforderungen, die sich aus dem Grundverhältnis – hier dem konkludent angepassten Arbeitsvertrag – ergeben, in den Blick.
keine gesetzliche Regelung
Im KrWG ist die Abberufung des Abfallbeauftragten nicht eigenständig geregelt. § 60 Abs. 3 Satz 1 KrWG verweist für das Verhältnis zwischen dem zur Bestellung Verpflichteten und dem Abfallbeauftragten auf Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zum Immissionsschutzbeauftragten. Dessen Abberufung ist allerdings ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird lediglich als actus contrarius zu der Bestellung in § 55 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 1a Satz 2 BImSchG erwähnt und in § 55 Abs. 2 Satz 2 BImSchG als möglich vorausgesetzt. Anders ist dies bei Datenschutzbeauftragten: Dessen Abberufung ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG nur in entsprechender Anwendung von § 626 BGB zulässig, also beim Vorliegen eines wichtigen Grundes.
keine Ausübung des Direktionsrechts …
Das LAG sei, so das BAG, zwar zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Abberufung als actus contrarius zur Bestellung nicht um eine Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers handelt. Auch wenn sie damit keiner Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO unterliegt, folge daraus aber nicht, dass die einseitige Abberufung kontrollfrei wäre. Hierin läge der Rechtsfehler des Berufungsurteils. Es habe nicht gesehen, dass die Abberufung als einseitige Leistungsbestimmung der Beklagten nach § 315 BGB der Billigkeit entsprechen muss.
…, aber Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB
Weder das Kreislaufwirtschaftsgesetz noch das Bundes-Immissionsschutzgesetz enthalten ausdrückliche Regelungen zur Abberufung der Abfall- und Immissionsschutzbeauftragten. Beide Gesetze erkennen jedoch eine besondere Schutzbedürftigkeit dieser Personen an, indem sie Bestimmungen zum nachwirkenden Kündigungsschutz und zum Benachteiligungsverbot treffen. Letzteres deute bereits darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht von einer „freien“ Abberufungsentscheidung ausgegangen und die Abberufungsentscheidung des Arbeitgebers einer Überprüfung am Maßstab des § 315 BGB zu unterziehen sei. Denn diese Bestimmung sei entsprechend heranzuziehen, wenn ein Gesetz einem Beteiligten ein nicht näher konkretisiertes Bestimmungsrecht zuweist und der Vertragspartner, der der Bestimmung durch den Anderen unterworfen wird, eines Schutzes gegen willkürliche Vertragsgestaltung bedarf.
Zurückverweisung an das LAG
Ob die Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter vom 31.3.2017 wirksam ist, also billigem Ermessen entsprach konnte das BAG mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden. Es kann die Prüfung nach § 315 BGB nicht selbst vornehmen. Das LAG sei davon ausgegangen, dass die Abberufungsentscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Ausgehend hiervon habe es keine ausreichenden Feststellungen zur Ausübung billigen Ermessens getroffen. Der Rechtsstreit war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 ZPO.
III. Der Praxistipp
Demnach versteht das BAG den Begriff der Abberufung beim Abfallbeauftragten ähnlich wie im Gesellschaftsrecht, § 66 Abs. 3 GmbHG. Gleiches gilt im Anwendungsbereich des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) für die Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die – dort mit Zustimmung des Betriebsrates – vom Arbeitgeber zu berufen sind.
Kleinebrink schlägt in seinem LinkedIn-Beitrag „Die richtige Strategie für die ordnungsgemäße Abberufung eines Betriebsbeauftragten für Abfall“ vom 4.1.2024 folgende pragmatische Vorgehensweise bei der Abberufung von Abfallbeauftragten, die auch auf Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit übertragbar sind, vor:
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Erstellung der schriftlichen Unternehmerentscheidung, die zum Entfall des internen Beauftragten führt
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Darstellung der prozessökonomischen oder wirtschaftlichen Beweggründe in dieser Unternehmerentscheidung
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Zeichnung der Unternehmerunterentscheidung vor der Abberufung durch das vertretungsberechtigte Organ, um auf diese Weise eine Urkunde im Sinne des § 416 ZPO zu erhalten.
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Schaffung von Indizien, die darauf hindeuten, dass die Unternehmerentscheidung auch umgesetzt werden soll (z.B. Vertrag mit dem neuen externen Beauftragten)
Es ist wichtig, dass die Praxis im Zusammenhang mit der Abberufung des Abfallbeauftragten besonders den nachfolgenden besonderen Kündigungsschutz berücksichtigt. Gemäß diesem Schutz kann das Arbeitsverhältnis innerhalb eines Jahres nach der Abberufung nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
Constantin Wlachojiannis, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, wlachojiannis@michelspmks.de