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Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Spätestens seit der Corona-Pandemie werden die Personalprozesse in Unternehmen immer digitaler. Auch der Gesetzgeber verfolgt das Ziel, Unternehmen und Verwaltung zu digitalisieren und hat daher im Oktober 2019 das sogenannte „Bürokratieabbaugesetz III“ verabschiedet. Dieses sieht tiefgreifende Veränderung in der Krankschreibung für Arbeitnehmer vor, die nun zum 1.1.2023 in Kraft treten. Im Kern wird der vertraute „gelbe Schein“ in den meisten Fällen einem digitalen Meldesystem weichen, weshalb Arbeitgeber nun ihre Arbeitsverträge und Betriebsabläufe auf die neuen digitalen Anforderungen überprüfen und ihre Prozesse der neuen Rechtslage anpassen müssen.

I.

Bisherige Rechtslage

Bislang oblag es dem Arbeitnehmer, sich krank zu melden und gegebenenfalls die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber zu übermitteln. Wenn ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, betrifft dies im Wesentlichen zwei wichtige Aspekte des Arbeitsverhältnisses: Die Lohnfortzahlung und die Anzeigepflicht darüber, dass der Arbeitnehmer an der Verrichtung der Arbeit verhindert ist.

Die hierfür entscheidenden Regelungen finden sich im Entgeltfortzahlungsgesetz. Gemäß § 3 Abs. 1 EFZG erhält der unverschuldet arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer weiterhin sein Entgelt fortgezahlt, ist aber gem. § 5 Abs. 1 dazu verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer seinem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, so muss er spätestens am nächsten Arbeitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Tut er dies nicht, kann ihm der Arbeitgeber gem. § 7 Abs. 1 EFZG den Lohn so lange verweigern, bis ihm die Bescheinigung vorgelegt wird.

Bislang war das Prozedere daher, dass der Arbeitnehmer sich bei seinem behandelnden Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen ließ und diese dem Arbeitgeber vorlegen musste.

II.

Rechtslage ab dem 1.1.2023

Zum 1.1.2023 wird sich der gesamte Vorgang für die meisten Arbeitnehmer jedoch grundlegend ändern. Obwohl die gesetzlichen Änderungen im SGB V vorgenommen wurden, werden sie ihre praktische Relevanz im Arbeitsleben in erster Linie bei der Entgeltfortzahlung zeigen. Zudem wird auch der § 5 EFZG wegen der neuen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angepasst.

Statt der Übermittlungspflicht des Arbeitnehmers gilt nun in der neuen Fassung des § 5 Abs. 1a EFZG die Feststellungspflicht der Arbeitsunfähigkeit beim behandelnden Arzt. Grundsätzlich gilt die neue Feststellungspflicht auch erst ab dem dritten Tag der Erkrankung, wobei auch hier der Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1a S. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG die Feststellung eines Arztes früher verlangen kann. Die Vertragsärzte sind bereits seit dem 1.1.2021 dazu verpflichtet, Arbeitsunfähigkeitsdaten digital an die Krankenkassen weiterzugeben. Nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten sind die gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtet, eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die Angaben zum Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit, der ärztlichen Feststellung und dem Ausstellungsdatum enthält. Zudem wird darauf auch vermerkt sein, ob es sich um eine Erst- oder Folgebescheinigung handelt. Dies gilt im Übrigen ab dem 1.1.2023 auch für stationäre Aufenthalte. Der Arbeitgeber muss sich die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst abrufen.

Somit entfällt dann auch die Verpflichtung des Arbeitnehmers, seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber einzureichen. Dies bedeutet aber nicht, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit nicht mehr anzeigen müssen. Die Anzeigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tag gem. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG gilt weiterhin uneingeschränkt. Erst die unverzügliche Meldung der Erkrankung und des voraussichtlichen Zeitraums der Erkrankung ermöglichen es dem Arbeitgeber überhaupt erst, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse abzurufen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass der „gelbe Schein“ vollkommen ausgedient hat. Er wird lediglich nur noch für den Arbeitnehmer zu Beweiszwecken ausgestellt, falls es zu Übermittlungsfehlern kommen sollte. Gem. § 5 Abs. S. 2 EFZG muss sich der Arbeitnehmer diese auch aushändigen lassen.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht für alle Arbeitnehmer und auch nicht für alle behandelnden Ärzte gilt. Die gesetzlichen Neuerungen stellen auf Vertragsärzte und gesetzlich versicherte Arbeitnehmer ab. Folglich gilt für privat Versicherte und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Ärzten, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, weiterhin die analoge Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Da Ärzte im Ausland nicht an der deutschen vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, gilt auch für diese weiterhin die Papierform. Von den Neuregelungen sind zudem auch geringfügig Beschäftigte, die in Privathaushalten beschäftigt werden, ausgenommen.

All dies ist jedoch abzugrenzen von der Anzeigepflicht über die Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tag, die weiterhin unabhängig für alle Arbeitnehmer gilt gem. § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG. Wie bereits erwähnt ist diese sogar wichtiger geworden, denn ohne die Anzeige, kann der Arbeitgeber nicht die Arbeitsunfähigkeitsmeldung abrufen, da er hierfür die voraussichtliche Dauer und den Umstand der Arbeitsunfähigkeit kennen muss.

III.

Abgrenzung zur Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die elektronische Krankschreibung ist allerdings nicht mit der Online-Krankschreibung zu verwechseln.

Bei der elektronischen Krankschreibung sucht der Arbeitnehmer den Arzt tatsächlich physisch auf. Bei der Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sucht der Arbeitnehmer den Arzt hingegen nicht physisch auf, sondern führt lediglich ein (Video)-Telefonat mit dem behandelnden Arzt, wobei einige Startups sogar hierauf gänzlich verzichten und ein paar Mausklicks für eine Krankschreibung genügen lassen.

Inwiefern eine Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt, ist seit dem Aufkommen im Jahr 2020 hoch umstritten und bislang nicht gerichtlich geklärt. Es gibt jedoch eine starke Tendenz, den Beweiswert einer Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln. Dies gilt jedoch gerade nicht für die elektronische Krankschreibung, da der Arbeitnehmer sich hier physisch untersuchen lässt.

Dies birgt jedoch Risiken für den Arbeitgeber dahingehend, dass dieser durch das neue Meldesystem nicht mehr den behandelnden Arzt erkennen kann. Er muss sich folglich darauf verlassen, dass die Krankenkassen die Krankschreibungen sorgfältig kontrollieren und Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kritisch hinterfragen.

IV.

Fazit und Ausblick

Für die meisten Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber keine Arbeitsunfähigkeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform mehr verlangen, da diese nun von der digitalen Feststellung komplett abgelöst wird. Da von den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gem. § 12 EFZG nicht zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann, bleibt für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform festzuhalten. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet werden dürfen, zusätzlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.

Praktisch bedeutet dies vor allem, dass der Arbeitgeber den behandelnden Arzt nicht mehr ohne weiteres in Erfahrung bringen kann, da dies aus der digitalen Meldung nicht mehr hervorgeht. Wenn es Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers gibt, kann der Arbeitgeber daher nicht mehr ohne weiteres aufgrund des behandelnden Arztes den medizinischen Dienst der Krankenkasse beauftragen lassen.

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat zudem auch direkte Auswirkungen auf das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG. Dieses hat der Arbeitgeber nur, sofern der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch tatsächlich einreichen muss. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn sie wegen der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur noch die Arbeitsunfähigkeit feststellen lassen müssen.

Da der Arbeitgeber auch keine vertraglichen Regelungen in Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen aufnehmen darf, die ihn dazu verpflichten, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform zu erhalten, bleibt ihm hier wenig Spielraum. Dies gilt jedoch, wie bereits dargestellt, nur für die gesetzlich versicherten Beschäftigten.

Solange Privatärzte und privat Versicherte nicht an dem Online-Meldesystem teilnehmen, bedeutet dies für Arbeitgeber zunächst eine doppelte Verwaltungsstruktur. Er muss wegen der gesetzlich Versicherten gewährleisten, dass bei den jeweiligen Krankenkassen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgerufen werden und es bei den restlichen Arbeitnehmern bei der Papierform bleibt. Der Versicherungsstatus wird zudem auch Auswirkungen auf die jeweiligen Meldepflichten und damit auch auf eventuelle Pflichtverletzungen haben, sodass es innerhalb desselben Betriebes zu zwei Handlungsmaßstäben führen wird.

Da aber der Arbeitnehmer zu Beweiszwecken die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ggf. dennoch in Papierform erhält, kann von Papierlosigkeit noch keine Rede sein.

Hela Ben Mansour, Rechtsanwältin, Düsseldorf, benmansour@michelspmks.de

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