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BAG: Konkretisierung des „Schleppnetzantrags“ in der Berufungsinstanz

Führt der Arbeitnehmer eine ihm im Laufe des Berufungsverfahrens zugegangene Kündigung dadurch in das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht ein, dass er einen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 S. 1 KSchG stellt und damit zugleich einen im Berufungsverfahren angefallenen allgemeinen Feststellungsantrag punktualisiert, stellt dies gemäß § 264 Nr. 2 ZPO keine Klageänderung dar. § 533 ZPO findet deshalb keine Anwendung.

[Amtlicher Leitsatz]

BAGUrt. v. 16.12.2021 – 6 AZR 154/21

I. Der Fall

Die Klägerin war seit 1991 als Flugbegleiterin für Air Berlin tätig. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Insolvenzverwalter u.a. das mit der Klägerin bestehende Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 27.1.2018 zum 30.4.2018. Gegen diese Kündigung reichte die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage ein, mit der sie einerseits die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 27.1.2018 begehrte. Darüber hinaus beantragte sie festzustellen, „dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigungen, aufgelöst ist“. Das Arbeitsgericht Berlin wies die Klage insgesamt ab.

Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichtes legte die Klägerin Berufung ein. Mit dieser verfolgte sie den bereits erstinstanzlich gestellten Kündigungsschutzantrag sowie den genannten Feststellungsantrag weiter. Der Beklagte sprach mit Schreiben vom 10.9.2020 eine weitere Kündigung mit Wirkung zum 31.12.2020 aus. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 15.9.2020 nach Ablauf der in dem Berufungsverfahren zu beachtenden Berufungsbegründungsfrist zu.

Mit Schriftsatz vom 11.11.2020 erkannte der Beklagte die Kündigungsschutzklage bezüglich der Kündigung vom 27.1.2018 an. Die Klägerin hat hieraufhin mit Schriftsatz vom 12.11.2020 den Erlass eines Teilanerkenntnisurteils beantragt und darüber hinaus die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 10.9.2020 begehrt.

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen hatte (ArbG Berlin, 29.3.2019 – 25 Ca 2366/18), hat das Landesarbeitsgericht das begehrte Teil- anerkenntnisurteil bezüglich der Kündigung vom 27.1.2018 erlassen und die Klage im Übrigen zurückgewiesen (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.2.2021 – 9 Sa 926/19). Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag, auch die Kündigung vom 10.9.2020 für unwirksam erklären zu lassen, fort. Das Bundesarbeitsgericht hat hieraufhin das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

II. Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht hatte den Kündigungsschutzantrag gegen die Nachkündigung vom 10.9.2020 mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei dem von der Klägerin gestellten Antrag gegen diese Kündigung um eine Klageänderung handele, die nur unter den Voraussetzungen von § 533 ZPO zulässig sei. Der Antrag der Klägerin erfülle diese Voraussetzungen nicht. Hieran ändere auch der in zweiter Instanz ebenfalls gestellte allgemeine Feststellungsantrag, der sogenannte „Schleppnetzantrag“, nichts.

Diese Auffassung bestätigte das Bundesarbeitsgericht nicht. Es stellte fest, dass es sich bei der Konkretisierung des allgemeinen Feststellungsantrags im Hinblick auf eine im Berufungsverfahren ausgesprochene weitere Kündigung um einen Teil des ursprünglich gestellten allgemeinen Feststellungsantrags handelt. Bis zu der „Punktualisierung“ durch die Klägerin sei mit dem umfassenden Feststellungsantrag jede Kündigung, die in den Tatsacheninstanzen ausgesprochen wird, bereits Inhalt des Rechtsstreites geworden. Die konkrete Benennung einer weiteren Kündigung stelle danach keine Klageänderung, sondern lediglich eine Konkretisierung i.S.v. § 264 Nr. 2 ZPO dar.

Nachdem es sich bei der Konkretisierung auf eine später ausgesprochene Nachkündigung nicht um eine Klageänderung handelt, finden die in § 533 ZPO normierten Voraussetzungen für die Zulässigkeit solcher nachträglichen Änderungen des Klagebegehrens keine Anwendung. Voraussetzung für die Zulässigkeit der nachträglichen Einbeziehung einer weiter ausgesprochenen Kündigung in einem bereits anhängigen Berufungsrechtsstreit ist jedoch, dass der Kläger den allgemeinen Feststellungsantrag nicht nur in erster Instanz bei dem Arbeitsgericht gestellt hat, sondern diesen auch im Berufungsverfahren weiterverfolgt. In dem von dem Bundesarbeitsgericht zu entscheiden Sachverhalt war dies der Fall.

III. Der Praxistipp

Mit seiner Entscheidung erleichtert das BAG insbesondere für Arbeitnehmer und deren Prozessbevollmächtigte, dass (rechtzeitige) Vorgehen gegen Kündigungen, die im Laufe des Rechtsstreites ausgesprochen werden. Insbesondere für Kündigungen, die erst während des Berufungsrechtsstreits zugestellt werden, ist mit der Entscheidung klargestellt, dass auch diese von dem gestellten „Schleppnetzantrag“ umfasst sind.

Gleichzeitig werden Arbeitnehmervertreter in diesen Fällen aber zu beachten haben, dass der allgemeine Feststellungsantrag auch Inhalt des zweitinstanzlichen Rechtsstreites wird. Es ist daher abzuwägen, ob die häufig auch von den Arbeitsgerichten angeregte Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags, sofern keine weiteren Kündigungen durch den Arbeitgeber ausgesprochen wurden, erfolgt. Das BAG weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass es nicht ausreichend ist, wenn der Feststellungsantrag nur in erster Instanz gestellt wurde.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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