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BAG: Vertragsstatus eines Sportfotografen

1. Soweit § 611a Abs. 1 S. 5 BGB für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anordnet, haben die Gerichte für Arbeitssachen bei ihrer Entscheidung verfassungsrechtlichen Wertungen Rechnung zu tragen. Ist der dienstberechtigte Träger des Grundrechts der Pressefreiheit, kann dies als ein weiterer Umstand i.S.d. § 611a Abs. 1 S. 5 BGB zu würdigen sein. Ein grundsätzlicher Bedarf an Beschäftigung in freier Mitarbeit kann aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei den redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern bestehen.

2. Die Tatsacheninstanzen haben bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus einen weiten Beurteilungsspielraum. Ihre Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie den Rechtsbegriff des Arbeitnehmers selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der Subsumtion den Rechtsbegriff wieder aufgegeben oder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen haben. Dies entbindet das Tatsachengericht jedoch nicht von der Verpflichtung, im Einzelnen darzulegen, ob und gegebenenfalls welches Gewicht es welchen Kriterien beigemessen hat und aus welchen Gründen es zu diesem und nicht zu einem anderen Abwägungsergebnis gelangt ist.

BAG, Urt. v. 30.11.2021 – 9 AZR 145/21

I. Der Fall

Der Kläger ist seit 1990 als Sportfotograf für die Beklagte, ein Unternehmen, dass mehrere regionale Zeitungen herausgibt, tätig. Zunächst schlossen die Parteien für die Tätigkeit des Klägers einen Vertrag, nach dem dieser eine Vergütung auf der Basis der von ihm eingereichten Fotografien erhielt. Im Jahr 1995 wurde eine Vereinbarung getroffen, nach der die Leistung des Klägers pauschal mit einem monatlichen Betrag vergütet wurde. Darüber hinaus erhielt der Kläger von ihm verauslagte Reisekosten und Spesen ersetzt.

In seinen Abrechnungen wies der Kläger Umsatzsteuer aus, die er nach Eingang der Zahlung durch die Beklagte an das zuständige Finanzamt abführte. Er war Mitglied in der Künstlersozialkasse. Mit Bescheid aus dem Juni 2020 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund fest, das Vertragsverhältnis der Parteien begründe kein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis.

Die Beklagte bot dem Kläger Anfang des Jahres 2018 den Abschluss eines neuen Vertrages für freie Mitarbeiter an. Der Kläger lehnte den Abschluss des Vertrages ab, woraufhin die Beklagte das bestehende Vertragsverhältnis fristgerecht kündigte.

Der Kläger ist der Auffassung, bei dem Vertragsverhältnis handele es sich um einen Arbeitsvertrag. Gegen die ausgesprochene Kündigung hat er Kündigungsschutzklage eingereicht. Darüber hinaus hat er, soweit in der Berufungs- und Revisionsinstanz noch von Interesse, die Feststellung eines Urlaubsanspruchs seit 1991 im Umfang von 290 Urlaubstagen begehrt. Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage abgewiesen (ArbG Köln, Urt. v. 15.11.2018 – 10 Ca 4584/18). Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Köln die Entscheidung abgeändert, dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und festgestellt, dass dem Kläger der begehrte Urlaubsanspruch seit dem Jahr 1991 zustehe (LAG Köln, Urt. v. 4.10.2019 – 10 Sa 129/19). Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des LAG nun aufgehoben und zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

II. Die Entscheidung

Das BAG hält in seiner Entscheidung fest, dass im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses implizit das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zu prüfen ist. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses ergeben sich nunmehr aus § 611a Abs. 1 BGB. Die gemäß § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB erforderliche Gesamtbetrachtung mache es dabei erforderlich, dass bei der Entscheidungsfindung verfassungsrechtlichen Wertungen Rechnung getragen wird.

Anders als das LAG, dass die Bedeutung der grundrechtlich geschützten Rechte der Beklagten als Presseorgan nicht berücksichtigt hat, hält das BAG fest, dass ein grundsätzlicher Bedarf für die Beschäftigung freier Mitarbeiter in Presse und Rundfunk bestehe. Dieser Bedarf ergebe sich daraus, dass Mitarbeiter, die redaktionell oder gestalterisch tätig sind und deren Aufgabe auch darin besteht ihre eigenen Auffassungen zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen einzubringen, notwendigerweise weisungsungebunden tätig werden sollen. Feststellungen zu der Frage, ob sich aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG in der Gesamtbetrachtung der Tätigkeit des Klägers ergebe, dass dieser weisungsungebunden zu agieren habe, habe das LAG nicht getroffen.

Der Rechtsstreit war nach Auffassung des BAG nicht entscheidungsreif, da wesentliche Feststellungen durch das LAG nicht getroffen worden seien. Es verweist deshalb den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LAG Köln zurück. Für die weitere Verhandlung weist das BAG darauf hin, dass es der Feststellung aller entscheidungserheblicher Tatsachen bedürfe und sodann eine nachvollziehbare Gesamtabwägung durch das LAG vorgenommen werden müsse. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Fall des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses nicht von Bedeutung sei. Ebenso wenig habe die Mitgliedschaft des Klägers in der Künstlersozialkasse indizielle Bedeutung. Auch die Art der Vergütung, die Erstattung von Reisekosten und Spesen sowie die Abrechnung und Abführung von Umsatzsteuer sei für sich genommen statusneutral.

III. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung des BAG ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einerseits kann es durchaus als ungewöhnlich bezeichnet werden, dass ein von den Arbeitsgerichten möglicherweise als Arbeitsvertrag subsumiertes Rechtsverhältnis im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellung als selbstständige Tätigkeit eingestuft wird. In der Praxis erfolgt – unter Hinweis auf den Unterschied zwischen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung einerseits und einem Arbeitsvertrag andererseits – im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens gemäß § 7a SGB IV häufig, wenn nicht gar regelmäßig die Feststellung der Verpflichtung zur Abführung der Sozialversicherungsabgaben während die Arbeitsgerichte von einem freien Dienstvertrag ausgehen. Andererseits ist auch die Deutlichkeit der Kritik des BAG an den Urteilsgründen des LAG ungewöhnlich.

Inhaltlich macht das BAG nochmals deutlich, dass einzelne Indizien für die Feststellung eines Arbeitsvertrages oder eines freien Dienstverhältnisses nicht ausreichen. Zu jedem in § 611a Abs. 1 BGB festgehaltenen Merkmal hält das Gericht fest, dass dieses erst im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung bedeutsam wird. Explizit weist das Gericht daraufhin, dass häufig als Unterscheidungskriterien verwandte Merkmale, wie beispielsweise die Art der Vergütung oder auch die Abrechnung und Abführung von Umsatzsteuern für die Statusfeststellung nicht von Bedeutung sind.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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