Beitrag

Neue Regelungen beim Statusfeststellungsverfahren seit dem 1.4.2022

Unabhängig, ungebunden, flexibel und frei – Solo zu sein hat viele Vorteile nicht nur als Beziehungsstatus, sondern auch im Wirtschaftsleben. Eine beachtliche Anzahl der Selbstständigen in Deutschland (ca. 2.300.000) wird als sog. Solo-Selbstständige tätig, wobei die Ausgestaltung und Motivation der Berufstätigkeit dabei sehr unterschiedlich ist. Doch attraktive Singles wecken Begehrlichkeiten bei anderen und während man bei Single-Apps, Partnerbörsen oder Singlepartys den Avancen durch eindeutige Zurückweisung noch entgehen kann, um seinen Status zu erhalten, ist dies bei Betriebsprüfungen der DRV ungleich schwerer. Gerade wenn es darum geht, die Beitragsgemeinschaft z.B. der Sozialversicherung zu erweitern (bzw. nicht kleiner werden zu lassen) sind die einziehenden Stellen sehr bestrebt, auch die Solo-Selbstständigen ihrem Regime unterzuordnen.

Die Folge sind nicht nur sozialgerichtliche Verfahren, die zur Klärung der nicht immer einfachen Abgrenzungsfragen (z.B. „selbstständig vs. abhängig beschäftigt“) beitragen müssen, sondern auch hohe Risiken insbesondere für die Auftraggeber der Selbstständigen. Denn eine fehlerhafte Einordnung des Status als „Selbstständig“ ist für Unternehmen nicht unerheblich. Bei einer nachträglichen Aufdeckung von „Scheinselbstständigkeit“ im Rahmen einer Betriebsprüfung trägt der Auftraggeber sowohl ein strafrechtliches als auch ein wirtschaftliches Risiko. So ist er für die Zahlung der nicht abgeführten Beiträge rückwirkend bis zu vier Jahre, bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre verantwortlich. Er hat dabei sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil zu tragen; letzteren kann er sich nur für die letzten drei Monate durch Verrechnung mit dem (dann) Arbeitslohn unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen „zurückholen“ (§ 28g Abs. 1 S. 2 und 3 SGB IV), allerdings nicht bei Vorsatz. Überdies gilt das im Rahmen des Auftrags gezahlte Entgelt (Werklohn, Dienstlohn,) als Nettoarbeitsentgelt. Dies bedeutet, dass die auf den Nettobetrag entfallende Lohnsteuer sowie die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers hochzurechnen sind. Schließlich sind noch für jeden angefangenen Monat der Säumnis kraft Gesetzes Säumniszuschläge von 1 % des rückständigen Betrags zu zahlen. Es droht ein bis zu verfünffachtes Beitragsrisiko.

Die fehlerhafte Einordnung von Scheinselbstständigen kann auch strafrechtliche Sanktionen für Vorstand oder Geschäftsführung nach sich ziehen. Denn durch die Scheinselbstständigkeit werden Sozialversicherungsbeiträge für den vermeintlich freien Mitarbeiter vorenthalten, was nach § 266a StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden kann. In besonders schweren Fällen beträgt die Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahre.

Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV verfolgt insofern ein hehres Ziel. Es soll Erwerbstätige und ihre Auftraggeber vor den Risiken einer falschen Statuseinschätzung schützen. Eine der letzten Amtshandlungen der großen Koalition war es, das in die Jahre gekommene Statusfeststellungsverfahren neu zu fassen, was im Rahmen eines sog. „Omnibusgesetz(es)“ zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen geschah. Dieser Beitrag stellt die seit dem 1.4.2022 geltenden, wesentlichen Neuerungen und ihre Auswirkungen auf das Statusfeststellungsverfahren dar.

I.

Prüfung des Erwerbsstatus

Bisher war es so, dass aufgrund der dazu ergangenen Urteile des Bundessozialgerichts (z.B. v. 11.3.2009 – B 12 R 11/07 R oder 26.2.2019 – B 12 R 8/18 R) in den Verfahren nach § 7a SGB IV nicht über das Vorliegen einer Beschäftigung isoliert entschieden werden durfte, sondern ausschließlich über die Versicherungspflicht (aufgrund abhängiger Beschäftigung) in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Dies hat der Gesetzgeber nunmehr mit der Begründung geändert, dass die bisherige Regelung dazu geführt habe, dass die Beteiligten bei Antragstellung umfangreiche Angaben machen müssten, die nicht den Erwerbsstatus, sondern eine mögliche Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung betrafen, obwohl sie doch eigentlich vorrangig das Interesse hätten, den Erwerbsstatus abschließend klären zu lassen (vgl. BT-Drucks 19/29893, 28). Seit dem 1.4.2022 dient das Statusfeststellungsverfahren daher der Entscheidung über die Frage des Erwerbstatus.

Woher die Einschätzung kommt, dass die Beteiligten vorranging den Erwerbsstatus, nicht aber die Versicherungspflicht festgestellt haben möchten, lässt der Gesetzgeber offen. Dies ist jedenfalls einmal fraglich. Die Aufwandsverringerung, die fraglos mit der Neuregelung einhergeht, wird jedenfalls dann wieder keine sein, wenn im Nachgang Schwierigkeiten in Bezug auf die tatsächliche Versicherungspflicht gegenüber den Einzugsstellen auftreten und entsprechende Nachweise und ggf. sich daran anschließende Verwaltungs- und Gerichtsverfahren anschließen.

II.

Statusfeststellung bei Drei-Personen-Verhältnissen

Nicht selten sind beim Einsatz von Fremdpersonal nicht nur zwei Parteien (Auftragnehmer und Auftraggeber), sondern drei Parteien beteiligt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein IT-Dienstleister (Auftraggeber) zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten gegenüber einem Kunden (Dritter) projektbezogen einen externen IT-Spezialisten (Auftragnehmer) einsetzt. Wollte man bisher sowohl den Status im Verhältnis Auftraggeber und Auftragnehmer als auch zwischen Drittem und Auftragnehmer prüfen lassen, so mussten meist auch zwei Statusverfahren eingeleitet werden. In solchen Dreiecksverhältnissen hat die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) nunmehr die Kompetenz, eine Tätigkeit umfassend und nicht nur begrenzt auf jeweils ein Rechtsverhältnis zu beurteilen. Stellt die DRV demnach grundsätzlich ein Beschäftigungsverhältnis fest, ermächtigt der neu eingefügte Satz 2 deshalb zu der weiteren Feststellung, ob dieses Beschäftigungsverhältnis zu dem Dritten besteht. Voraussetzung ist dabei, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Auftragnehmer in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt, wenn er also bei Feststellung einer Beschäftigung als Verpflichteter für die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in Betracht kommt.

Zu beachten ist, dass der Dritte bei Vorliegen von Anhaltspunkten im Sinne des Satzes 2 (Eingliederung in die Arbeitsorganisation und Weisungsabhängigkeit) ebenfalls ein Statusfeststellungsverfahren einleiten kann. Leider bleiben sowohl Gesetzestext als auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 19/29893, 29) im Unklaren darüber, wann diese Anhaltspunkte vorliegen. Es wird also weiterhin darauf ankommen, die von der Rechtsprechung in vielen Einzelfallentscheidungen aufgestellten Indizien zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Zur Vereinfachung trägt diese Neuerung daher nur sehr bedingt bei. Der Praxis werden zwar weitere Werkzeuge an die Hand gegeben, wie und wann genau sie aber einzusetzen sind, dazu verhält sich das Gesetz auch weiterhin nicht. Es verbleiben daher nicht unerhebliche Unsicherheiten für die Beteiligten. Es stellt sich zudem die Frage, ob zukünftig tatsächlich Dritte ein solches Statusverfahren einleiten, zumal sie nicht nur ihre Vertragspartner (ggf. unwillentlich) in ein solches Verfahren drängen, sondern auch, weil dadurch nicht unerhebliche Weiterungen (z.B. § 16 I Nr. 1 a AÜG oder § 266a StGB) drohen. Jedenfalls in laufenden Vertragsbeziehungen werden viele von der Möglichkeit einer Selbstbelastung zurückschrecken. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass, insbesondere aus Compliance Gründen, zukünftig zu Beginn einer solchen Vertragsbeziehung ein Statusverfahren auch vom Dritten eingeleitet wird, wobei eine Prognoseentscheidung (siehe dazu unter III.) von ihm nicht verlangt werden kann.

III.

Antragsverfahren bereits vor Aufnahme der Tätigkeit

Bislang war es so, dass ein Statusfeststellungsverfahren erst nach Aufnahme der Tätigkeit eingeleitet und durchgeführt werden konnte. Schließlich wurde stets darauf abgestellt, dass für die Beurteilung, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, das gelebte Vertragsverhältnis entscheidend sei, sofern dies von den vertraglichen Vereinbarungen abweicht. Dies ist zwar auch weiterhin der Regelfall. Dennoch sollen laut Gesetzesbegründung die Beteiligten auf Antrag bereits vor Aufnahme der Tätigkeit – und damit frühzeitiger als bisher – durch eine Entscheidung der Clearingstelle Rechtssicherheit über den Erwerbsstatus erlangen können. Dies ist begrüßenswert und insbesondere bei der Anbahnung von Vertragsbeziehungen auch aus praktischer Sicht durchaus wünschenswert, um nicht erst ein Vertragsverhältnis aufnehmen zu müssen, in der Unsicherheit über den Erwerbsstatus herrscht, sondern diesen schon vorab klären zu können.

Das Gesetz verlangt allerdings, dass nicht nur vertraglichen Bedingungen vorgelegt werden, sondern im Antrag auch Angaben dazu gemacht werden, wie das Vertragsverhältnis konkret ausgefüllt und gelebt werden soll. Die Beteiligten haben daher bei Antragstellung die tatsächlichen Umstände der Tätigkeit zu antizipieren (BT-Drucks 19/29893, 30). Wie konkret und umfassend die Antizipation sein soll, dazu schweigt das Gesetz. Die dazu bereits angepassten Formulare der Clearingstelle orientieren sich an den üblichen Kriterien, wie Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Auftragsausführung, Vorgabe von Arbeitszeiten und Arbeitsort sowie etwaige Anhaltspunkte für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation oder die Teilnahme an Dienstbesprechungen, Teamarbeit, Aufnahme in Dienstpläne, Tragen von Dienstkleidung, Teilnahme an Schulungsmaßnahmen. Ermöglichen die antizipierten und angegebenen Umstände keine abschließende Beurteilung, zum Beispiel, weil sie zu ungenau oder nicht ausreichend sind, kann die Rentenversicherung den Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus vor Aufnahme der Tätigkeit ablehnen oder eine Entscheidung erst nach Aufnahme der Tätigkeit treffen.

Ändern sich die schriftlichen Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung bis zu einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, so bestimmt § 7a Abs. 4 S. 3 und 4 SGB IV, dass die Beteiligten dies der DRV unverzüglich mitzuteilen haben. Diese kann, sollte sich eine wesentliche Änderung ergeben, die Entscheidung sodann wieder aufheben. Welche Änderungen und Modifikationen mitzuteilen sind, bleibt offen. Aus pragmatischer Sicht wird dies aber nur bei wesentlichen Änderungen der Fall sein, insbesondere wenn sich der antizipierte Einsatz in der Praxis doch deutlich anders darstellt als zunächst gedacht und angegeben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des SGB X erfolgt die Abänderung und Anpassung an das tatsächlich gelebte Vertragsverhältnis grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft. Nur im Fall, dass sie ihre Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht unverzüglich erfüllt und damit eine zeitnahe Korrektur der Entscheidung über den Erwerbsstatus verhindert haben, soll die Entscheidung rückwirkend aufgehoben werden.

IV.

Gruppenfeststellung (§ 7a Abs. 4b SGB IV)

Bei gleichen Auftragsverhältnissen war es bislang in der Regel erforderlich, für jeden Auftrag eine Statusfeststellung zu beantragen. Mit gleichen Auftragsverhältnisse sind solche Vertragsverhältnisse gemeint, bei denen die vereinbarten Tätigkeiten ihrer Art und den Umständen der Ausübung nach übereinstimmen und ihnen einheitliche vertragliche Vereinbarungen zugrunde liegen. Dies gilt z.B. bei Identität zwischen den Vertragsbeteiligten (wie bei Rahmenverträgen zwischen einem Auftraggeber und einem Auftragnehmer) oder aber wenn ein Auftraggeber gegenüber unterschiedlichen Auftragnehmern im Wesentlichen einheitliche Bedingungen vorgibt.

Durch die neu eingeführte Gruppenfeststellung gibt es nunmehr für diese Konstellationen eine Vereinfachung. Das neue Instrument der Gruppenfeststellung ist dabei allerdings nicht als Verwaltungsakt ausgestaltet, sondern als gutachterliche Äußerung ohne Bindungswirkung (BT-Drucks 19/29893, 31). Der Gesetzgeber ist allerdings der Auffassung, dass davon auszugehen sei, dass der einmal geprüfte Sachverhalt nicht anlasslos einer erneuten Prüfung unterzogen und anders beurteilt werde. Ob dies tatsächlich der Fall sein, bleibt abzuwarten. Allerdings sind die Beteiligten insoweit durch § 7a Abs. 4b SGB IV für die Vergangenheit geschützt. Sollte doch ausnahmsweise anlasslos eine andere Beurteilung getroffen werden, so tritt die Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe des entsprechenden Bescheides ein.

V.

Fazit

Die Reform des Statusfeststellungsverfahrens ist ein erster, richtiger Schritt. Es bleibt abzuwarten, ob die damit verbundenen Hoffnung des Gesetzgebers, Rechts- und Planungssicherheit für alle Vertragsbeteiligten früher, einfacher und schneller als bisher herzustellen, tatsächlich erfüllt wird. Insgesamt bleibt noch viel Luft nach oben. Es wäre in einem zweiten Schritt wünschenswert, wenn der Gesetzgeber für mehr Klarheit in Statusabgrenzungsfragen sorgen würde, die durch eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen schon lange nicht mehr vorhanden ist.

Ob die Reformen sich in der Praxis bewähren und von den Beteiligten genutzt werden, wird man sehen. Das Gesetz jedenfalls wurde zur Erprobung zeitlich begrenzt bis zum 30.6.2027 in Kraft gesetzt. Zuvor soll die Deutsche Rentenversicherung Bund bis zum 31.12.2025 einen Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung der wichtigsten neuen Verfahrensvorschriften vorlegen. Es bleibt also spannend.

Dr. Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kamann@michelspmks.de

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…