Der Arbeitgeber trägt auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund, wenn das betreffende Verhalten des Arbeitnehmers den Tatbestand der üblen Nachrede i.S.v. § 186 StGB erfüllen würde.
[Amtlicher Leitsatz]
BAG, Urt. v. 16.12.2021 – 2 AZR 356/21
I. Der Fall
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten. Die Beklagte, eine Dienstleistungsgesellschaft im Bereich Infopoints/Callcenter kündigte der Klägerin ordentlich mit der Begründung, diese habe bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über Mitarbeiter aufgestellt. Zuvor hatte die Klägerin über die neu installierte Teamleiterin Frau P in einer E-Mail, die mit „Die Mitarbeiter des Infopoints“ unterzeichnet übersandt war, behauptet, unter Frau P gehe es „drunter und drüber“. Nachdem sie von der Geschäftsführung der Beklagten mehrfach aufgefordert worden war, die Vorwürfe zu erläutern und die Urheber der E-Mail zu benennen, nahm die Klägerin mit zwei Schreiben Stellung, die erneut mit „Die Mitarbeiter des Infopoints“ bzw. „Mehrere Mitarbeiter des Infopoints“ unterzeichnet waren und in denen diverse Vorfälle, ihren Ausgang nehmend von einer Durchsuchung des Infopoints durch den Sicherheitsdienst, geschildert wurden. In diesem Zusammenhang habe Frau P die Mitarbeiter wegen angeblicher Verstöße gegen das Datenschutzrecht beschimpft sowie dazu aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“. Frau P wehre, laut den Schreiben, konsequent Meldungen über Fehlverhalten des Sicherheitsdienstes ab.
Gegen die daraufhin ausgesprochene Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklagte. Neben der Klageabweisung beantragte die Beklagte in zweiter Instanz das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Festsetzung einer Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen
Die Beklagte verteidigte die Kündigung damit, die Klägerin habe nicht nur unwahre Tatsachenbehauptungen u.a. über Frau P aufgestellt. Überdies habe sie – wahrheitswidrig – den Eindruck zu erwecken versucht, sämtliche oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints stünden hinter der E-Mail sowie den Schreiben. Der Auflösungsantrag wurde zudem u.a. darauf gestützt, dass die Klägerin – als solches unstreitig – im ersten Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung angegeben habe, Frau K sei weitere Urheberin der E-Mail. Überdies habe die Klägerin einem Geschäftsführer der Beklagten in einer Verhandlungspause mitgeteilt, sie sei bei Gesprächen dabei gewesen, in denen Frau P über sexuelle Belästigungen durch einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes unterrichtet worden sei, ohne dass diese eingegriffen habe. Solche Gespräche hätten aber zu keiner Zeit stattgefunden.
Das Arbeitsgericht (ArbG Hamburg, Urt. v. 12.12.2019 – 15 Ca 295/19) hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG Hamburg, Urt. v. 10.6.2021 – 8 Sa 22/20) hat die Berufung der Beklagten zurück- und ihren Auflösungsantrag abgewiesen.
II. Die Entscheidung
Der 2. Senat das BAG hielt die Revision der Beklagten für begründet, hob das gesamte Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das LAG zurück. Dieses habe dem Kündigungsschutzantrag zu Unrecht mit der Begründung entsprochen, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.
Rechtsfehlerfrei sei zwar die Annahme des LAG, der Versand der E-Mail rechtfertige eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht. Rechtsfehlerhaft sei es jedoch zu der Annahme gelangt, die Klägerin habe durch die von ihr verfassten Schreiben ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht „gravierend“ verletzt. Schließlich soll die Klägerin nach dem Vorbringen der Beklagten bewusst unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben. Zudem fehle es an jeder Begründung, warum in der wahrheitswidrigen Behauptung der Klägerin, es stünden alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints hinter der E-Mail und den Schreiben, keine besonders schwere, unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdende Pflichtverletzung läge. Dies könnte sehr wohl eine Kündigung rechtfertigen.
Daher stelle sich auch die Annahme des LAG als rechtsfehlerhaft dar, der Auflösungsantrag der Beklagten sei abzuweisen. So sei das LAG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, die Behauptung der Klägerin im Rechtsstreit, (einzige) Miturheberin der E-Mail sei Frau K, vermöge die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen, weil sie den möglichen Unrechtsgehalt der Pflichtverletzung nicht ausreichend erhöhe. Tatsächlich habe sie erstmals gezielt Frau K angeführt und damit nicht, wie zuvor, „bloß“ eine „pauschale Verfasserlüge“ aufrechterhalten, sondern sie an die Vorhalte der Beklagten im Rechtsstreit angepasst und auf Frau K konkretisiert. Stelle sich dies als falsch heraus, dann würde dies den Auflösungsantrag rechtfertigen.
Auch gehe das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft davon aus, dass der Vortrag in Bezug auf die sexuelle Belästigung nicht belegt sei. Zwar sei es richtig, dass die Beklagte die primäre Darlegungs- und die Beweislast dafür trage, dass eine entsprechende Information der Zeugin P nicht erfolgt sei. Daran ändere auch nichts, dass das fragliche Verhalten der Klägerin zugleich den Tatbestand der üblen Nachrede i.S.v. § 186 StGB erfüllen könnte.
Allerdings habe das LAG rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin sei der sie treffenden sekundären Darlegungslast in ausreichendem Maß nachgekommen. Diese habe die angeblich in ihrem Beisein erfolgte Unterrichtung über Vorwürfe der sexuellen Belästigung nicht in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht und damit nicht ausreichend i.S.v. § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO substantiiert. Daher hätte das LAG das Vorbringen der Beklagten nach § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO als zugestanden ansehen müssen, P sei nie über die streitgegenständlichen Vorwürfe der sexuellen Belästigung informiert worden. Dies könne sehr wohl auch einen Auflösungsantrag rechtfertigen. Dies könne zudem auch ein ganz erhebliches „Auflösungsverschulden“ darstellen, was dann ggf. abfindungsmindernd zu berücksichtigen sei.
III. Der Praxistipp
Die Entscheidung zeigt zweierlei. Zum einen trägt – wenig überraschend – der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatbestandsvoraussetzungen der Kündigung, unabhängig davon, worum es geht und sei es – wie im vorliegenden Fall, wenn Kündigungsgrund eine vermeintliche Verleumdung ist. Allerdings dreht sich das Blatt, wenn der Arbeitgeber bestreitet, dass die Behauptungen des Verleumdenden zutreffen. Dann nämlich muss der Arbeitnehmer seinen Vortrag substantiieren. Gelingt dies nicht, dann gilt der Vortrag des Arbeitgebers als zugestanden und die Kündigung kann ggf. gerechtfertigt sein.
Zum anderen führt die Entscheidung vor Augen, dass die Früchte bei der Begründung eines Auflösungsantrages zwar hoch hängen, aber nicht unerreichbar sind. So weist das BAG zu Recht darauf hin, dass die Verleumdung anderer Arbeitnehmer durchaus auch einen solchen Antrag rechtfertigen und die festzusetzende Abfindung mindern können.
Dr. Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kamann@michelspmks.de