Das Lesen einer offensichtlich an einen anderen Adressaten gerichtete E-Mail sowie das Kopieren und die Weitergabe des E-Mailanhangs (privater Chatverlauf) an Dritte kann im Einzelfall eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn eine Zugriffsberechtigung auf das Emailkonto für dienstliche Tätigkeiten vorliegt.
[Amtliche Leitsätze]
LAG Köln, Urt. v.2.11.2021 – 4 Sa 290/21
I. Der Fall
Die Klägerin ist Mitarbeiterin einer evangelischen Kirchengemeinde, die ihrerseits Teil eines Kirchenkreises ist, der durch einen Superintendenten vertreten wird. Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte es u.a., die Buchhaltung für die Kirchengemeinde durchzuführen. Hierzu war ihr die Möglichkeit eingeräumt, auf die E-Mails der Kirchengemeinde auf einem dienstlich zur Verfügung gestellten Computer zuzugreifen.
Neben der Klägerin waren in der Kirchengemeinde der Pfarrer und eine weitere Person beschäftigt. In der Kirchengemeinde war einer Ausländerin Kirchenasyl gewährt worden. Zwischen dieser und dem Pfarrer soll eine Beziehung bestanden haben, deren Umfang zwischen den Parteien streitig ist. Der Klägerin war bekannt, dass gegen den Pfarrer ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren geführt wurde, dessen Anlass ein möglicherweise strafrechtlich relevantes Fehlverhalten im Umgang mit der Ausländerin war. Im Oktober 2019 unternahm die psychisch erkrankte Ausländerin einen Suizidversuch, was der Klägerin bekannt war.
Im November 2019 las die Klägerin eine E-Mail des Vertreters des Kirchenkreises an den Pfarrer. In dieser E-Mail wurde dem Pfarrer mitgeteilt, dass sich die Ausländerin zwischenzeitlich im Kirchenasyl einer anderen, konkret genannten Gemeinde befinde. Darüber hinaus berichtete der Vertreter der Beklagten in dieser E-Mail über das gegen den Pfarrer geführte Ermittlungsverfahren. Für die Klägerin erkennbar stand die Nachricht in keinerlei Verbindung zu den ihr übertragenen Buchhaltungsaufgaben. In einer weiteren E-Mail, die sich im E-Mail-Account der Beklagten befand, war eine Datei angefügt, die bezeichnet war als „Chatverlauf“ zwischen dem Pfarrer und der Ausländerin. Diesen Anhang kopierte die Klägerin auf einen USB-Stick.
Sowohl den Ausdruck als auch die auf dem USB-Stick gesicherte Datei gab die Klägerin an eine Person weiter, die zwar Mitglied der Kirchengemeinde war, in dieser allerdings keinerlei offiziellen Aufgaben wahrnahm. Der Klägerin war bekannt, dass diese Person in einem Vertrauensverhältnis zu der betroffenen Ausländerin stand. Mit der Weitergabe der Informationen wollte die Klägerin nach eigenem Vortrag die Ausländerin schützen und bezüglich der vorherigen Kommunikation mit dem Pfarrer etwaige Beweise für dessen Fehlverhalten sichern. Nachdem die Beklagte von der Weitergabe der E-Mail und des Chatverlaufs erfuhr, kündigte sie nach Anhörung der Mitarbeitervertretung das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis außerordentlich fristlos.
Auf die Kündigungsschutzklage der Klägerin hat das Arbeitsgericht Aachen die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung festgestellt (Urt. v. 22. 4.2021 – 8 Ca 3432/20). Es war der Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin zwar „an sich“ den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigen könne. Bei der Entscheidung sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit der Weitergabe der Informationen an eine Vertraute der Ausländerin diese unterstützen und vor weiterem Schaden bewahren wollte. Die hiergegen vor dem Landesarbeitsgericht Köln erhobene Berufung war erfolgreich.
II. Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht hält zunächst, wie auch das Arbeitsgericht, fest, dass das Verhalten der Klägerin einen erheblichen Verstoß gegen deren arbeitsvertragliche Pflichten darstellt. Nach den bestehenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien beschränkte sich das Zugriffsrecht der Klägerin auf die E-Mails der Beklagten auf Nachrichten im Zusammenhang mit dem übertragenen Aufgabengebiet. Unabhängig davon, ob die Klägerin die streitgegenständlichen Nachrichten zufällig gefunden oder danach gesucht hat, sei sie nicht berechtigt gewesen, diese zu öffnen. Auch wenn ihr der Inhalt der E-Mails erst später ersichtlich gewesen sei, so wäre in jedem Fall das Ausdrucken und das Speichern einer angefügten Datei zu Unrecht erfolgt.
Anders als das Arbeitsgericht sah das Landesarbeitsgericht das Verhalten der Klägerin durch die von ihr vorgetragenen Gründe für die Weitergabe an eine unbeteiligte Dritte nicht als gerechtfertigt an. Die Weitergabe sei bereits nicht geeignet gewesen, die von der Klägerin genannten Ziele zu erreichen. Das wäre allenfalls dann möglich gewesen, wenn die Klägerin die Daten an eine dafür zuständige Stelle, entweder innerhalb der Kirche oder an die ohnehin ermittelnde Staatsanwaltschaft weitergegeben hätte. Eine Weitergabe von zu Unrecht erlangten Daten, die darüber hinaus geschützte Informationen über zwei Personen enthielten, die der Datenweitergabe nicht zugestimmt haben, sei danach selbst bei den als zutreffend unterstellten Absichten der Klägerin nicht zu rechtfertigen.
III.Der Praxistipp
Die Entscheidung des LAG verdeutlicht, dass die Weitergabe von zu Unrecht erlangten Daten durch Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn anstelle der für die Verarbeitung solcher Informationen zuständigen Stelle, unabhängig ob es sich dabei um eine betriebsinterne Zuständigkeit handelt oder um die externe Zuständigkeit einer Ermittlungsbehörde, Daten an eine unbeteiligte dritte Person weitergegeben werden. Der Entscheidung ist zuzustimmen. Wenn bereits die Weitergabe von zu Unrecht erlangten Daten an staatliche Ermittlungsbehörden, die für die Entgegennahme solcher Informationen zuständig sind, kritisch gesehen wird und sich daraus ergebende arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft werden müssen, muss das umso mehr gelten, wenn die Daten an unter keinen Umständen für die Entgegennahme der Informationen zuständige Personen weitergegeben werden.
Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de