1. Für den Streit über die Zahlung einer Coronaprämie nach § 150a SGB XI ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.
2. Auch wenn die Coronaprämie für Arbeitnehmer in Pflegeeinrichtungen im SGB XI geregelt ist und der Arbeitgeber die finanziellen Mittel hierfür von der sozialen Pflegeversicherung erhält, ist der Anspruch nach § 150a SGB XI als direkte Verpflichtung gegenüber den Arbeitnehmer ausgestaltet, welcher im rechtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht.
[redaktionelle Leitsätze]
LAG München, Urt. v. 30.7.2021 – 4 Ta 178/21
I. Der Fall
Die Parteien stritten vor dem ArbG München um die Zahlung einer Coronaprämie nach § 150a SGB XI. Die Klägerin war vom 15.2.2020 bis zum 31.5.2020 als Krankenschwester bei dem von der Beklagten betriebenen ambulanten Pflegedienst beschäftigt.
Da die Beklagte die Güteverhandlung am 3.5.2021 nicht wahrnahm, erging durch das ArbG München ein der Klage stattgebenden Versäumnisurteil. Nachdem die Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt hatte, wies der Vorsitzende der erkennenden Kammer darauf hin, dass es sich nach Ansicht des Gerichts um eine Angelegenheit der sozialen Pflegeversicherung handele.
Da der Arbeitgeber aus Sicht des ArbG München hierbei als reine Zahlstelle fungiere, handele es sich nicht um eine arbeitsgerichtliche Streitigkeit, wie auch die Geltendmachung von Zuschüssen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung zeige. Aus diesem Grund beabsichtigte die Kammer, den Rechtstreit an das zuständige Sozialgericht zu verweisen.
Die Klägerin widersprach der beabsichtigten Verweisung. § 150a SGB XI sei echter als Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ausgestaltet. Diese Zahlung sei daher nach dem Sinn und Zweck keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern eine Prämie für die geleistete Arbeit. Wie der Arbeitgeber die Prämie letztlich finanziere, sei für den Rechtsweg unerheblich, wie es auch bei Streitigkeiten der Arbeitsvertragsparteien um die Auszahlung von Kurzarbeitergeld der Fall sei.
Trotz dieser Einwendungen hat das ArbG München den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für nicht eröffnet erklärt und den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15.6.2021 an das Sozialgericht verwiesen (Urt. v. 15.6.2021 – 3 Ca 3180/21). Die Klägerin hat hiergegen am 30.6.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Das ArbG München hat der Beschwerde nicht abgeholfen und den Rechtsstreit dem LAG München zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Entscheidung
Die 4. Kammer des LAG München sah die sofortige Beschwerde der Klägerin als begründet an und änderte den Beschluss des ArbG München vom 15.6.2021 antragsgemäß ab. Nach Ansicht des LAG München sei für die Streitigkeit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.
Nach der Begründung des LAG München handele es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit der Arbeitsvertragsparteien, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem Zusammenhang stehe und für das keine anderweitige Zuständigkeit gegeben sei. Maßgebend für die Bestimmung des Rechtswegs sei die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet werde. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit sei ausgeschlossen, da die Beteiligten weder zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stünden, sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bediene noch ein Sonderrecht des Staates vorliege.
Die vorliegende Streitigkeit stünde nach Ansicht der 4. Kammer auch im rechtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. § 150a Abs. 1 S. 1 SGB XI sei als direkte Verpflichtung der zugelassenen Pflegeeinrichtungen und genannten Arbeitgebern gegenüber ihren Arbeitnehmern ausgestaltet. Dass es sich bei den Arbeitgebern nur um eine „bloße Zahlstelle“ handele, sei dem Gesetzeswortlaut hingegen nicht zu entnehmen.
Sinn und Zweck der Coronaprämie sei außerdem die besondere Wertschätzung der Arbeitsleistung unter den besonderen Anforderungen der Corona-Pandemie. Woher die Arbeitgeber das Geld zur Erfüllung der Verpflichtung aus § 150a SGB XI letztlich erhalten würden, sei für die Qualifikation der Verpflichtung selbst nicht relevant. Die Rechtslage sei insofern mit der Auszahlung des Kurzarbeitergeldes vergleichbar. Auch hier habe der Arbeitnehmer als Anspruchsinhaber keinen Kontakt zur Behörde und müsse sich für die Zahlung des Kurzarbeitergeldes ausschließlich an seinen Arbeitgeber wenden.
Durch die Zuordnung der Streitigkeit an die Arbeitsgerichte werde im Ergebnis auch ein einheitlicher Rechtsweg für die Klage auf die Leistung sowie für eine solche auf Schadenersatz bei Verstößen des Arbeitgebers gegen die bestehenden Berechnungspflichten erreicht.
Schließlich sei auch keine Sonderzuständigkeit der Sozialgerichte gegeben. Zum einen seien keine zusätzlichen Prämien nach landesrechtlichen Vorschriften einschlägig, sodass beispielsweise die Entscheidung des VG Saarland vom 12.8.2020 – 3 K 769/20, nicht einschlägig sei. Zum anderen liege auch kein Ausnahmetatbestand nach § 51 Abs. 2 S. 1 SGG vor, da hierzu erforderlich sei, dass die Grundlage des Rechtsstreits ausschließlich auf Vorschriften der Pflegeversicherung beruhe. Entscheidend sei vorliegend aber das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen den Parteien des Rechtsstreits.
III. Der Praxistipp
Die Entscheidung des LAG München gibt, sofern es sich um die in § 150a SGB XI geregelte Coronaprämie für Arbeitnehmer der Pflegebranche handelt, Rechtssicherheit. Das LAG München schließt sich insofern der Entscheidung des LAG Bremen an, welches bereits am 23.4.2021 entschieden hatte, dass für die Coronaprämie nach dem SGB XI der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist (LAG Bremen, Urt. v. 23.4.2021 – 3 Ta 10/21). Da der Koalitionsvertrag der neuen sog. „Ampelregierung“ bereits die Bereitstellung von einer Milliarde Euro für eine Neuauflage des Pflegebonus für das Kalenderjahr 2021 vorsieht, wird diese Frage voraussichtlich auch im kommenden Jahr wieder relevant werden.
Adrian Mrochen, Rechtsanwalt, Köln