Wird ein Leiharbeitnehmer kurzzeitig in einem Betrieb eingesetzt, bedarf dieser Einsatz nicht nur der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG; auch die Zuordnung des Leiharbeitnehmers in ein bestehendes Schichtsystem ist gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig.
Verlangt ein Betriebsrat vom Arbeitgeber Unterlassen, weil dieser ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats missachtet haben soll, so handelt es sich um einen anderen Verfahrensgegenstand als den Verstoß des Arbeitgebers gegen eine Betriebsvereinbarung.
[Redaktionelle Leitsätze]
BAG,Beschl.v.22.10.2019–1 ABR 17/18
I. Der Fall
Die Arbeitgeberin ist ein Textilhandelsunternehmen. In ihrer Filiale in München besteht eine „Betriebsvereinbarung zu Beginn und Ende der Arbeitszeit, Beginn und Ende der Pausen, Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, besondere Tage, Überstunden sowie Gestaltung des Personaleinsatzplanes“. Diese sieht u.a. vor, dass eine Änderung der und Abweichungen von der Personaleinsatzplanung durch den Arbeitgeber mindestens eine Woche im Voraus schriftlich beim Betriebsrat beantragt und durch diesen genehmigt werden müssen. Ist dies aus dringenden betrieblichen Gründen – z.B. kurzfristige Erkrankung von mehreren Beschäftigten der gesamten Filiale – nicht möglich, ist der Betriebsrat bzw. ein Betriebsratsmitglied unverzüglich mündlich und zusätzlich schriftlich unter Angabe von Gründen zu benachrichtigen. Von ihrem Geltungsbereich her soll die Betriebsvereinbarung „für alle Beschäftigten“ der Filiale gelten.
Am 10.2.2016 beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung von fünf Leiharbeitnehmern am Folgetag, dem 11.2.2016, „von 10:00 Uhr bis 20:00 Uhr“. Zur Begründung führte die Arbeitgeberin aus, dass die Filiale aufgrund aktueller personeller Engpässe dringend Unterstützung bedürfe. Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass der Arbeitgeber gegen das Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen habe. Insbesondere unterfielen die Leiharbeitnehmer nicht dem Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung. Entsprechend stütze er sein Unterlassungsbegehren auf den allgemeinen Unterlassungsanspruch, hilfsweise auf § 23 Abs. 3 BetrVG.
Das im Beschlussverfahren geltend gemachte Unterlassungsbegehren des Betriebsrats blieb in allen drei Instanzen erfolglos (Vorinstanzen: ArbG München, Urt. v. 14.2.2017 – 41 BV 124/16; LAG München, 7.12.2017 – 4 TaBV 30/17).
II. Die Entscheidung
Das BAG geht davon aus, dass der Unterlassungsantrag des Betriebsrats unbegründet ist.
Ein Verstoß der Arbeitgeberin gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG liege nicht vor. Dies ergebe sich jedoch nicht bereits daraus, dass bei der erstmaligen Zuordnung neu eingestellter (Leih)Arbeitnehmer in ein bestehendes Schichtsystem der Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitzubestimmen habe. Die Mitbestimmung des Betriebsrats greife auch hinsichtlich neu eingestellter Arbeitnehmer. Es fehle insoweit weder an einem kollektiven Tatbestand noch werde das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 BetrVG durch das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten verdrängt. Ebenso wenig setze es die Aufnahme der Arbeit durch einen neu eingestellten Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber zugewiesenen Arbeitsplatz voraus. Diese Grundsätze gölten auch für Leiharbeitnehmer bei kurzzeitigen Einsätzen.
Das Begehren des Betriebsrats scheitere allerdings daran, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht missachtet habe. Das Mitbestimmungsrecht sei vielmehr verbraucht. Dies habe der Betriebsrat mit der bestehenden Betriebsvereinbarung ausgeübt.
Auch Leiharbeitnehmer unterfielen der Betriebsvereinbarung. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, wonach die Betriebsvereinbarung „für alle Beschäftigten“ gelten solle. Bei einer solchen Definition ohne weitere Differenzierung sei davon auszugehen, dass Leiharbeitnehmer umfasst würden. Dem stehe auch nicht entgegen, dass einzelne Regelungen der Betriebsvereinbarung (etwa zur Zeiterfassung und zum Arbeitszeitkonto, zu Überstunden und deren Abbau) für Leiharbeitnehmer gegenstandslos seien.
Die Arbeitgeberin habe allerdings gegen die Betriebsvereinbarung verstoßen. Sie berufe sich zu Unrecht auf die Eilfallregelung. Hiernach müssten Modifikationen der Personaleinsatzplanung – also der konkreten Einteilung von Beschäftigten in eine rahmenmäßig festgelegte Schicht – mindestens eine Woche im Voraus schriftlich beim Betriebsrat beantragt und durch diesen genehmigt werden. Für den Fall, dass dies aus näher beschriebenen Gründen nicht möglich sei, greife die Regelung, wonach die Arbeitgeberin den Betriebsrat bzw. ein Betriebsratsmitglied unverzüglich mündlich und zusätzlich schriftlich unter Angabe von Gründen zu benachrichtigen habe.
Richtig sei allerdings das Verständnis des Arbeitgebers, dass in derartigen Eilfällen lediglich eine Unterrichtung des Betriebsrats entsprechend den Vorgaben der Betriebsvereinbarung zu erfolgen habe, nicht jedoch ausdrücklich die Zustimmung des Betriebsrats eingeholt werden müsse. Hierauf deute der Wortlaut und der systematische Zusammenhang der Regelung. Die Arbeitgeberin solle hiernach berechtigt sein, in bestimmten eilbedürftigen Situationen Änderungen der Personaleinsatzplanung vorzunehmen und den Betriebsrat hierüber lediglich in einer bestimmten Art und Weise zu informieren haben. Jedenfalls in einer Betriebsvereinbarung, die nicht auf einem Einigungsstellenspruch beruhe, dürften die Betriebsparteien eine „Vorabzustimmung“ des Betriebsrats für eng begrenzte, hinreichend konkret beschriebene Fallgestaltungen vorsehen.
Die Arbeitgeberin habe gleichwohl gegen die Betriebsvereinbarung verstoßen, da die Begründung des Eilfalls nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Zudem sei zweifelhaft, ob überhaupt ein Eilfall im Sinne der Betriebsvereinbarung vorliege. Die Betriebsvereinbarung spreche beispielhaft von kurzfristigen Erkrankungen von Mitarbeitern. Vorliegend habe die Arbeitgeberin sich unspezifisch auf personelle Engpässe berufen, sodass schon nicht ersichtlich sei, ob ein Eilfall gegeben sei.
Ein solcher Verstoß gegen eine bestehende Betriebsvereinbarung rechtfertige grundsätzlich einen hierauf gestützten Unterlassungsanspruch im Sinne eines Durchführungsanspruchs. Einen solchen habe der Betriebsrat vorliegend jedoch nicht geltend gemacht. Der Betriebsrat habe sich vielmehr auf einen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG berufen, der jedoch aus den genannten Gründen nicht bestehe.
III. Der Praxistipp
Die Entscheidung des BAG ist sowohl für Betriebsräte als auch Arbeitgeber lehrreich:
Betriebsräte sollten darauf achten, ihr Unterlassungsbegehren sorgfältig zu formulieren. Es muss klar herausgestellt sein, ob der Betriebsrat einen Verstoß des Arbeitgebers gegen eine bestehende Betriebsvereinbarung oder gegen ein bestehendes Mitbestimmungsrecht rügt. Kann dies im Vorfeld nicht rechtssicher festgestellt werden – etwa weil wie hier Zweifel hinsichtlich des Geltungsbereichs der Betriebsvereinbarung bestehen – sollte der Betriebsrat gegebenenfalls mit Haupt- und Hilfsantrag mehrere Unterlassungsanträge stellen.
Zudem ergeben sich aufgrund dieser Entscheidung effektivere Rechtsschutzmöglichkeiten des Betriebsrats beim Einsatz von Leiharbeitnehmern, insbesondere in Schichtbetrieben. Die Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern ist nämlich häufig ein stumpfes Schwert. Der Arbeitgeber kann den Einsatz des Leiharbeitnehmers als vorläufige Maßnahme im Sinne von § 100 BetrVG durchführen und somit die an sich zustimmungspflichtige Maßnahme unterlaufen. Hingegen ist für die Zuordnung eines Leiharbeitnehmers in ein bestehendes Arbeitszeit- bzw. Schichtsystem die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich, die nur durch das zeitintensive und kostenträchtige Einigungsstellenverfahren ersetzt werden kann.
Arbeitgeber hingegen sind gut beraten, wenn sie in Betriebsvereinbarungen über die Arbeitszeit Notfall- bzw. Eilregelungen vorsehen, die ihnen flexibles Handeln – notfalls auch ohne Zustimmung des Betriebsrats – in eng definierten Einzelfällen ermöglichen. Die Zulässigkeit solcher „Vorabzustimmungen“ wird durch das BAG vorliegend ausdrücklich bestätigt, wobei nach den Ausführungen des BAG fraglich ist, ob auch eine Einigungsstelle eine solche Regelung vorsehen dürfte. Das BAG hat diese Frage offengelassen.
Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln