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I. beA – Rechtsprechung – Das müssen Rechtsanwälte beachten

Ilona Cosack
Fachbuchautorin und Inhaberin der ABC AnwaltsBeratung Cosack, Fachberatung für Rechtsanwälte und Notare

BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – III ZB 72/22 Überwachungspflicht und -verschulden des Rechtsanwalts

Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin trifft daran, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz trotz seines Hinweises nicht rechtzeitig vor Fristablauf an das zuständige Berufungsgericht in Hamburg übermittelt wurde, ein eigenes, seiner Partei zurechenbares Überwachungsverschulden.

Die Mitarbeiterin hatte das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg im beA nicht gefunden und stattdessen nur das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen. Nach Rücksprache mit dem Rechtsanwalt wollte sie diesen Fehler korrigieren. Der Rechtsanwalt könne sich auf das Vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolge, nicht berufen, denn diese habe sich schon dadurch, dass sie trotz richtiger Adressatenbezeichnung im Berufungsbegründungsschriftsatz das falsche Gericht aus der beA-Empfängerliste ausgewählt habe, nicht als hinreichend kompetent und zuverlässig erwiesen, um sie später eigenverantwortlich diesen Fehler korrigieren zu lassen. Vielmehr hätte der Rechtsanwalt diese Korrektur und die richtige Versendung persönlich überprüfen müssen. Einer erfolgreichen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Hanseatische Oberlandesgericht stand dessen Bezeichnung als „Oberlandesgericht Hamburg“ im beA im Übrigen nicht entgegen. Insoweit verweist die Klägerin selbst in ihrem Wiedereinsetzungsantrag darauf, dass von der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten schon zuvor Schriftsätze an dieses Gericht per beA, „allerdings von anderen Rechtsanwaltsfachangestellten“, insbesondere die Berufungsschrift und der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im vorliegenden Rechtsstreit, übersandt worden waren. … Vielmehr ergibt sich daraus, anders als aus der eigenen eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt W., lediglich ein Auftrag an Frau D., das von ihr aus dem Gesamtverzeichnis der beA-Postfächer ausgewählte (falsche) Empfängergericht nochmals zu „prüfen“ und – jedenfalls nach ihrem Verständnis – (nur) „gegebenenfalls“ zu korrigieren, also in eigener Verantwortung über eine Berichtigung zu entscheiden. Auf die Richtigkeit dieses Prüfungsergebnisses hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aber nicht ohne eigene Kontrolle vertrauen dürfen. Nachdem ihm schon zuvor aufgefallen war, dass Frau D. trotz richtiger anderslautender Angabe des Empfängergerichts im Briefkopf des Berufungsbegründungsschriftsatzes fehlerhaft das Oberlandesgericht in Bremen als Empfänger im beA-Verzeichnis ausgewählt hatte, konnte er nicht mehr davon ausgehen, er betraue eine sonst zuverlässige Mitarbeiterin damit, nunmehr „in einem zweiten Anlauf“ eigenverantwortlich den richtigen beA-Empfänger auszuwählen. Dies gilt umso mehr, als Rechtsanwalt W. nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung von Frau D. nicht ohne Weiteres annehmen durfte, dass sie das „Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen“ nur versehentlich, etwa infolge eines „Verrutschens“ des Cursors in der Auswahlmaske, und nicht absichtlich angeklickt hätte. Denn ihre Äußerung, sie werde die von ihr getroffene Auswahl „nochmal prüfen und gegebenenfalls korrigieren“, lässt erkennen, dass sie es weiterhin für möglich hielt, dass das Oberlandesgericht in Bremen der richtige Empfänger sei.

Anmerkung:

Die Auswahl des richtigen Empfängergerichts macht immer mal wieder Schwierigkeiten. Sei es bei den Besonderheiten, dass die Bezeichnung des Gerichts von der Norm abweicht, sei es, dass die Auffindbarkeit im beA durch unterschiedliche Schreibweisen erschwert werden. Das Schleswig-Holsteinische OLG (Beschl. v. 13.10.2022 – 7 U 160/22) hat sogar gefordert, dass bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift das Büropersonal anzuweisen ist, das zuständige Berufungsgericht in der entsprechenden Anwaltssoftware einzupflegen. Auch der VGH München (Beschl. v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286) ging von einem menschlichen und keinem technischen Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung aus, weil der Rechtsanwalt die Adresse des VGH nicht habe eingeben können. Der Rechtsanwalt sei aufgrund nicht ausreichender Schulung bzw. nicht hinreichender vorheriger autodidaktischer Befassung subjektiv nicht in der Lage gewesen, die Übermittlung rechtzeitig vor Fristablauf umzusetzen.

Praxishinweis:

Suchen Sie rechtzeitig vor Fristablauf im beA nach der richtigen Empfängeradresse und speichern Sie diese im Adressbuch des jeweiligen Nutzers. Achtung: Mitarbeitende und Anwälte haben eigene Adressbücher. Legen Sie Regeln fest, wer die Nachricht erstellt, und suchen Sie dann aus dem Adressbuch die korrekte Empfängeradresse aus.

II.

BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – VIII ZB 60/22 Zu den an einen Rechtsanwalt zu stellenden Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Bezeichnung des Empfangsgerichts, wenn der RA die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes selbst ausführt

Ein Rechtsanwalt hat sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Reicht der Prozessbevollmächtigte einen fristgebundenen Schriftsatz selbst bei Gericht ein, hat er auch in diesem Fall geeignete Maßnahmen zu treffen, um einen fristgerechten Eingang zu gewährleisten. Wenn der Rechtsanwalt einen fristgebundenen Schriftsatz per beA übermittelt, entsprechen seine Sorgfaltspflichten dabei denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. In diesen Fällen gehört – neben der Verwendung eines funktionsfähigen Sendegeräts und dem rechtzeitigen Beginn des Übermittlungsvorgangs – die korrekte Eingabe der Empfängernummer zu seinen Sorgfaltsanforderungen.

Anmerkung:

Der Berufungsschriftsatz wurde zwar an das LG Berlin adressiert, ging jedoch am letzten Tag der Rechtsmittelfrist beim AG ein. Nach Weiterleitung vom AG an das LG teilte das LG mit, dass die Frist zur Einlegung der Berufung abgelaufen sei. Bei ihrem Wiedereinsetzungsgesuch begründete die Rechtsanwältin, dass „durch ein unerklärliches Versehen der Mitarbeiterin (…) bei der Auswahl des Empfängers über die globale Adressliste das AG Schöneberg anstelle des LG Berlin ausgesucht worden, obwohl die Berufungsschrift (richtig) an das Landgericht adressiert gewesen sei.“ Die Rechtsanwältin hätte, als sie die Berufungsschrift selbst über das beA versandte, ohne Weiteres und rechtzeitig die Fehlerhaftigkeit der zuvor von ihrer Mitarbeiterin getroffenen Auswahl des AG als Empfänger der Nachricht erkennen können und korrigieren müssen. Der Rechtsanwältin hätte auffallen müssen, dass es sich bei dem ausgewählten AG nicht um das zuständige Gericht für die Einlegung einer Berufung handeln konnte. Sie hätte ohne Weiteres und rechtzeitig erkennen können, dass die Mitarbeiterin nicht das richtige Gericht ausgewählt hatte und hätte dies vor dem Absenden korrigieren müssen.

Praxishinweis:

Unerlässlich ist es, vor dem Versenden den (richtigen!) Empfänger zu überprüfen. Rechtsanwälte, die selbst versenden, müssen vor dem Klick auf den Sendebutton prüfen, ob das im Schriftsatz enthaltene Gericht identisch mit dem beA-Empfängergericht ist. Das ein AG kein Berufungsgericht ist, liegt auf der Hand. Nutzen Sie Checklisten, damit solche Fehler unterbleiben.

III.

BGH, Beschl. v. 30.11.2023 – III ZB 4/23 Kein Drucker für beA-Versand erforderlich

Nun ein Highlight in der Praxis des Elektronischen Rechtsverkehrs (ERV):

Der Workflow des Bevollmächtigten war offensichtlich so gestaltet, dass er nach Erstellung des Schriftsatzes diesen ausdruckte, unterschrieb und wieder einscannte. So hatte er in zwei Parallelverfahren schon gehandelt, als im dritten Verfahren der „ansonsten zuverlässig arbeitende Kanzleidrucker Canon einen bis dahin unbekannten Fehler meldete und den Druckbefehl nicht ausführte“. Er habe sich um Fehlerbehebung bemüht und erkannt, dass dies bis um 24 Uhr nicht zu bewerkstelligen gewesen sei. Deshalb habe er seinen „Backup-Drucker, Modell Brother“ aktiviert, der zuverlässig arbeite, aber im Vergleich mit dem Canon-Druck nur über eine erheblich geringere Druckgeschwindigkeit verfüge. Es folgen weitere Ausführungen, warum er nochmals um Fristverlängerung bat und diesen Schriftsatz aufgrund einer technischen Störung im beA-System erst um 2:04 Uhr habe versenden können. Danach habe er sich weiter um die Fehlerbehebung am Canon-Drucker bemüht und es sei ihm schließlich gelungen, die Berufungsbegründung am 15.7. habe ausfertigen (!) und per beA mit einem weiteren Schriftsatz zur Wiedereinsetzung übermitteln können.

Für diese Erklärungen hatte der BGH kein Verständnis:

„Es wurde nicht einmal der Versuch der Versendung dieses Schriftsatzes unternommen. Der Umstand, dass der Canon-Drucker seinen Dienst versagte, vermag das nicht zu erklären. Die erfolgreiche Übersendung eines Schriftsatzes an ein Gericht per beA setzt eine vorherige „drucktechnische Ausfertigung“ nicht voraus. Nach der ERVV ist ein elektronisches Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln. Zur Herstellung eines Dokumentes im PDF-Format ist es nicht notwendig, es vorher auszudrucken und sodann einzuscannen. Eine PDF-Datei lässt sich unmittelbar elektronisch herstellen. Der vorherige Ausdruck des Dokuments ist auch nicht notwendig, um die erforderliche einfache Signatur anzubringen. Hierfür ist es nicht erforderlich, das Dokument handschriftlich zu signieren und einzuscannen. Vielmehr genügt für die einfache Signatur die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens des Verfassers am Ende des Textes.“

 

Anmerkung:

Im ERV zählt die elektronische Einreichung. Jedes Word-Dokument kann unmittelbar in ein PDF-Dokument umgewandelt / als PDF abgespeichert werden, ohne dass es eines Ausdruckes bedarf. Ggf. hat die Führung von Papierhandakten den Anwalt zu dieser Arbeitsweise veranlasst, notwendig war es nicht. Es bedarf – wenn der Anwalt selbst versendet – lediglich der einfachen Signatur (Name) unter dem Schriftsatz. Sendet ein Mitarbeitender, muss zusätzlich eine qeS vom Anwalt angebracht werden. Sie ersetzt die Unterschrift im ERV.

Praxishinweis:

Nutzen Sie die Zeit und stellen Sie baldmöglichst auf elektronische Aktenführung um. Die Justiz muss zum 1.1.2026 elektronische Akten führen. Warten Sie nicht so lange, so vermeiden Sie überflüssige und fehleranfällige Doppelarbeit.

IV.

BVerwG, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 B 2.23 Unzulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Übermittlung einer als „Entwurf“ gekennzeichneten Beschwerdebegründung

Die elektronisch übermittelte Begründung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die auf allen Seiten in großer Schrift und deutlich erkennbar als „Entwurf“ gekennzeichnet ist, wahrt nicht die erforderliche Schriftform.

Anmerkung:

Mit kurzer und präziser Begründung klärt das BVerwG auf, warum ein als „Entwurf“ gekennzeichneter Schriftsatz trotz einer qeS nicht die Schriftform wahrt:

„Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Es muss aber auch feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Ein solcher (Verkehrs-)Wille kann dem durchgängig als „Entwurf“ gekennzeichneten anwaltlichen Schriftsatz nicht entnommen werden. Sie soll dem elektronischen Dokument insbesondere im Hinblick auf dessen „Flüchtigkeit“ und sonst spurenlos mögliche Manipulierbarkeit eine dem Papierdokument vergleichbare dauerhafte Fassung im Sinne einer „Perpetuierungsfunktion“ verleihen.

Die vom Prozessbevollmächtigten verwendete qualifizierte elektronische Signatur (qeS) tritt dabei von ihren Rechtswirkungen an die Stelle einer eigenhändigen Unterschrift. Die Nutzung einer qeS oder eines sicheren Übermittlungswegs sichert die Identität des Urhebers und die Authentizität des Dokuments.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar auch anerkannt, dass die Unterschrift einem verfassten Schriftstück außerdem die Erkennbarkeit verleiht, als für den Rechtsverkehr bestimmt zu sein, um damit das Entwurfsstadium zu verlassen. Hinterlegt der Prozessbevollmächtigte allerdings auf jeder Seite seines Schriftsatzes großflächig diagonal im Hintergrund des Fließtextes den Begriff „ENTWURF“, steht auch in Ansehung der qeS nicht hinreichend sicher fest, dass er dem Gericht ein prozesserhebliches Schriftstück zuleiten wollte. Ein solches Wasserzeichen dient dazu, ein Dokument als vorläufig und noch nicht für den Rechtsverkehr freigegeben zu kennzeichnen. Das steht im Gegensatz zu dem mit der Unterschrift grundsätzlich einhergehenden und zur Wahrung der Schriftform erforderlichen Bekenntnis zum Schriftsatz.“

 

Und weiter:

„Einen Wiedereinsetzungsantrag hat der Prozessbevollmächtigte gar nicht erst gestellt.“

 

Das Gericht geht von einem klaren Organisationsverschulden aus. Ein Rechtsanwalt habe für die rechtzeitige ordnungsgemäße Einreichung von Schriftsätzen Sorge zu tragen und Bedienungsfehler bei der elektronischen Übermittlung zu verantworten.

Weder vorgetragen noch ersichtlich sei, weshalb der Prozessbevollmächtigte den behaupteten „Scrollfehler“ durch eine – auch in Ansehung der in wenigen Stunden ablaufenden Frist zumutbare – Prüfung der im Ausschnitt vorgelegten Ausfertigungsoberfläche der Kanzleisoftware vor dem Versenden nicht hätte vermeiden können. Zwar dürften prozessuale Fristen bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden; dass ein Verfahrensbeteiligter bis zum letzten Tag der Frist abwarte, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt, könne ihm daher nicht vorgeworfen werden. Schöpfe er allerdings die Begründungsfrist bis zum letzten Tag aus, habe er wegen des damit verbundenen Risikos aber erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf möglicherweise auftauchende Übertragungsprobleme, sondern auch für die Sicherstellung der Formerfordernisse, ohne die die Frist nicht gewahrt werden könne.

Praxishinweis:

Wieder eine Entscheidung, bei der Kanzleisoftware eine Rolle spielt. Der vermeintliche Komfort einer „Entwurf“-Funktion wurde hier zum Verhängnis. Wenn Sie in Ihrer Kanzlei mit solchen „Entwurf“-Wasserzeichen arbeiten muss gewährleistet sein, dass nur Dokumente in den Entwurfsordner des beA geladen werden, die kein „Entwurf“-Wasserzeichen tragen. Sehen Sie das Anbringen der qeS als Qualitätskontrolle: Der Schriftsatz wird erst dann mit einer qeS versehen, wenn neben dem Inhalt auch die Form des Dokuments korrekt ist.

V.

OLG Hamm, Beschl. v. 15.1.2024 – 22 U 13/23 Zur automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO bei Versenden über eine Anwaltssoftware – ein „grünes Häkchen“ reicht nicht aus

1. Die anwaltlichen Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zugangs fristgebundener Schriftsätze bei Versendung über das beA erfordern eine präzise Einweisung des für die Versendung zuständigen Personals durch den Rechtsanwalt. Diese hat sich darauf zu beziehen, wo und wie die automatische digitale Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO in der beA-Webanwendung zu finden ist und welcher Inhalt den ordnungsgemäßen Eingang der elektronischen Nachricht bei Gericht anzeigt.

2. Die erfolgreiche Übermittlung der elektronischen Nachricht an das Gericht über das beA wird in der Webanwendung des Systems durch den Meldetext „Request executed“, dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ angezeigt.

3. Verwendet die versendende Anwaltskanzlei eine Software, die über eine Schnittstelle zur Webanwendung des beA verfügt, kann ein von der Software eigens generiertes Dokument mit der Bezeichnung „Zustellbestätigung“ nur dann ein taugliches Ersatzdokument der automatischen Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO und somit positiver Zustellnachweis sein, wenn es dieselben relevanten Prüfungsmerkmale wie der originäre Nachweis in der Webanwendung des beA aufweist. Die erforderliche anwaltliche Einweisung des für die Versendung zuständigen Personals muss sich in diesem Fall auch auf die Identifizierung dieser Merkmale in dem Ersatzdokument beziehen.

Anmerkung:

Die Begründung der Kanzlei für die Wiedereinsetzung zeigt, dass man sich nicht auf die „grünen Häkchen“ der Kanzleisoftware verlassen sollte. Der rechtzeitig gefertigte, signierte und von der „stets zuverlässigen“ Mitarbeiterin versandte Berufungsbegründungsschriftsatz sei – „wie sich erst durch den Hinweis des Senats herausgestellt habe“ – aufgrund einer Störung des Empfangs elektronischer Post im Bereich der Justiz im Zeitpunkt der Absendung des Schriftsatzes tatsächlich nicht beim Berufungsgericht eingegangen.

Es wird ausgeführt:

„Aufgrund der vorliegenden und von der Mitarbeiterin geprüften „Zustellbestätigung“ habe die Mitarbeiterin auch auf den ordnungsgemäßen Zugang des Schriftsatzes vertrauen dürfen und daher auch keine Veranlassung haben müssen, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Meldung über mögliche Zweifel an der Zustellung zu machen. Dieses Vorgehen über die Prüfung der Zustellbestätigungen und etwaige Rückmeldung bei Zweifeln hieran entspreche auch der Anweisungslage im Büro des Prozessbevollmächtigten, der im Übrigen nicht nur stichprobenartig selbst die Zustellbestätigungen über die Versendung fristgebundener Schriftsätze überprüfe, sondern darüber hinaus mittels des Postausgangs in der verwendeten Kanzleisoftware „RA Micro“ die erfolgreiche Versendung von Schriftsätzen überprüfe, wobei im Falle der Berufungsbegründung vom 6.2.2023 ein „grünes Häkchen“ angezeigt gewesen sei.“

 

Das Gericht sieht in diesem Fall ein klares Organisations- und Anweisungsdefizit, das für die vorliegende Fristversäumnis ursächlich war. Der Prozessbevollmächtigte habe seine verantwortlichen Mitarbeiter nicht hinreichend genug an- und eingewiesen, die maßgeblichen automatischen Eingangsbestätigungen (richtig) zu kontrollieren.

Aus der Antragsbegründung sei ersichtlich, dass die Anweisungen widersprüchlich und eben gerade nicht dazu geeignet seien, den Nachweis des Eingangs fristgebundener Schriftsätze zu führen. Die vorgelegte „Zustellbestätigung“ sei weder allgemein noch ausnahmsweise ein tauglicher Nachweis im Sinne der oben genannten Vorschrift. Zudem sei nicht glaubhaft gemacht, dass es eine konkrete Anweisung der Mitarbeiter der Anwaltskanzlei gab, wie und auf welche Merkmale hin die „Zustellbestätigung“ überhaupt zu überprüfen sei.

Die von der Klägerin vorlegte, nicht im Zusammenhang mit der beA-Webanwendung stehende „Zustellbestätigung“ entspräche den Anforderungen an den Nachweis einer erfolgreichen Übermittlung der elektronischen Post in Bezug auf das Erscheinungsbild und vor allem inhaltlich nicht. Es handele sich jedenfalls ersichtlich nicht um die vom Gesetz und daran anschließend dem BGH und der BRAK in Bezug genommene (positive) Eingangsbestätigung im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO.

„Der Senat geht davon aus, dass es sich dabei um ein automatisch durch die Schnittstellenfunktion der von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin verwendeten Kanzleisoftware „RA Micro“ zum beA generiertes Dokument handelt.“

„… der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dürfte sich nicht ohne generelle Prüfung darauf verlassen, dass die von ihm verwendete Software die im beA hinterlegten Informationen (einschließlich Eingangsbestätigungen im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO) stets vollständig und richtig verarbeitet.“

 

Bemerkenswert ist der Hinweis:

„Vorsorglich merkt der Senat an, dass selbst dann, wenn man – quod non – die offenbar von „RA Micro“ generierte „Zustellbestätigung“ als dem Grunde nach ausreichenden Nachweis im Sinne von § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO ansähe, den Klägervertreter nach eigenem Vorbringen gleichwohl ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden träfe.

Denn dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist zu entnehmen, dass die Anweisungslage in der Kanzlei der Klägervertreter keine konkreten detaillierten Vorgaben dazu vorhält, wie genau und worauf hin denn jene „Zustellbestätigung“ überhaupt seitens der verantwortlichen Mitarbeiter zu kontrollieren ist, aus welchen Angaben des Dokuments speziell sich der erfolgreiche Zugang der elektronischen Post ergibt und auf welche Angaben es hier generell und entscheidend ankommt. Solches wäre aber erforderlich. Denn der Rechtsanwalt muss dem Mitarbeiter vorgeben, an welcher Stelle innerhalb der benutzten Software die elektronische Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu finden ist und welchen Inhalt sie haben muss.

Nicht entscheidend ist auch, dass und ob der Klägervertreter selbst stichprobenartig die „Zustellbestätigungen“ und überdies die eigenen Postausgänge kontrolliert hat. Soweit es um die „Zustellbestätigungen“ geht, sind diese, wie dargelegt, von vornherein als tauglicher Nachweis nicht geeignet. Gleiches gilt für die bei vermeintlich erfolgreichen Postausgängen in der Kanzleisoftware angebrachten „grünen Häkchen“. Die insoweit beschriebene Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin war daher unzureichend und im Ergebnis wirkungslos.“

 

Praxishinweis:

Immer wieder wird das Prüfprotokoll für die qeS mit dem Prüfprotokoll der automatisierten Eingangsbestätigung verwechselt. Exportieren Sie die gesendete Nachricht und überprüfen Sie in der ZIP-Datei die Datei „.export.html“. Diese enthält den Nachweis, welche Dateien von wem zu welchem Zeitpunkt übermittelt wurden sowie unter der Überschrift „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ den Empfänger, den Übermittlungscode „0800“, den Meldungstext „Auftrag ausgeführt, Dialog beendet“ oder „request executed, dialog closed“, die OSCI-Nachrichten-ID (nach der die Justiz auf ihren Servern suchen kann) sowie Tag und Uhrzeit des Zugangs und den Status „kein Fehler“. Kann eine Nachricht nicht versendet werden, bleibt sie im „Postausgang“ stecken und es wird in der beA-Webanwendung bei der Anmeldung angezeigt, dass Handlungsbedarf ist. Leider ist es auch schon passiert, dass bei der Anwaltssoftware ein „grünes Häkchen“ angezeigt wurde, obwohl die Nachricht noch in der beA-Webanwendung „steckengeblieben“ war. Kontrollieren Sie daher – wenn Sie auf der sicheren Seite sein wollen – immer vor Feierabend, ob der Postausgang in der beA-Webanwendung geleert ist.

VI.

BGH, Beschl. v. 17.1.2024 – VII ZB 22/23 Zur Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB)

1. Für die Rücksendung des eEB in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des eEB setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein eEB nicht ausgelöst wird.

2. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt – wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis – gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung.

Anmerkung:

Die Zustellung mit eEB wird in vielen Kanzleien unterschiedlich gehandhabt. Während die einen als Zustelldatum (zur Vereinfachung der Fristennotierung) immer das Eingangsdatum wählen, nehmen die anderen (richtigerweise) das Datum, an dem der Rechtsanwalt das eEB zur Kenntnis nimmt und mit der Abgabe des eEB die Notfrist in Gang setzt. Im vorliegenden Fall hat der Bevollmächtigte jedoch nicht auf das abgegebene Datum abgestellt, sondern auf das Versendedatum, das eben außerhalb dieser Notfrist lag.

Praxishinweis:

Auch wenn in der Justiz Bestrebungen im Gange sind, das eEB abzuschaffen, sollte das eEB, solange es in seiner derzeitigen Art und Weise noch vorhanden ist, so genutzt werden, dass der Anwalt den Zeitpunkt der Kenntnisnahme bestimmt. Mit der Eingabe des Datums im eEB wird allerdings auch das Datum „zementiert“, egal, wann das eEB tatsächlich zurückgesandt wird.

VII.

BGH, Beschl. v. 17.1.2024 – XII ZB 88/23 Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei vorübergehender Unmöglichkeit, die nicht auf technischen, sondern menschlichen Gründen beruht

1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die glaubhaft gemachten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Beteiligten liegenden Gründen beruht.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unzureichender Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO.

Anmerkung:

Die Rechtsanwältin vertrat sich in einer Familiensache selbst, nachdem ihr bisheriger Verfahrensbevollmächtigter das Mandat niedergelegt hatte. Sie hatte zur Glaubhaftmachung geltend gemacht, dass ihr eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich sei, und versicherte dies anwaltlich.

Ihr Fehlbedienungszähler (Anmerkung: PIN-Eingabe) sei abgelaufen. Auch mit Hilfe der BNotK konnte sie das Problem nicht lösen, so dass sie einen Sperrauftrag erteilte und kostenpflichtig eine neue beA-Karte beantragt habe, deren Erstellung und Zusendung aber ein bis zwei Wochen in Anspruch nehmen könnten.

Der BGH vertrat die Auffassung, dass die Antragstellerin offensichtlich den erstmaligen Versuch der Übermittlung eines elektronischen Dokuments an ein Gericht unternommen hatte und diese an der mangelnden Aktualisierung der Betriebssoftware gescheitert sein könnte. Als Ursache für die Fristversäumnis könne nicht ausgeschlossen werden, dass die sich als Rechtsanwältin selbst vertretende Antragstellerin die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente nicht vorgehalten habe, vielmehr die Unmöglichkeit auf Gründen beruhe, die in der Person der Antragstellerin liege.

Praxishinweis:

Der Wert im Güterrechtsverfahren betrug 287.508 EUR, teures Lehrgeld für die Nichtvorhaltung der notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente. Hier wäre zusätzlich zur beA-Karte ein Softwarezertifikat hilfreich gewesen, dann damit hätte die Rechtsanwältin auch ohne beA-Karte selbst das Dokument versenden können.

VIII.

BGH, Beschl. v. 25.1.2024 – I ZB 51/23 Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt

Eine positive Entscheidung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung. In diesem Fall befand der BGH, dass die Rechtsbeschwerde zulässig und begründet sei. Das Berufungsgericht habe der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht verwehrt. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und ohne ein ihr zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert. Sie durfte darauf vertrauen, dass ihr per Telefax (aufgrund vorübergehender technischer Störung) übermittelter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, nicht abgelehnt werde.

Zwar sei der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren könne sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier.

Ohne Einwilligung des Gegners könne die Frist zur Berufungsbegründung um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert werde oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Hier hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit seinem Fristverlängerungsantrag einen konkreten Grund für den Antrag – die Erforderlichkeit der vorrangigen Bearbeitung anderweitiger fristgebundener Angelegenheiten nach einer mehrtätigen Ortsabwesenheit des alleinigen Sachbearbeiters – geltend gemacht. Darin liege ein erheblicher Grund, der eine Fristverlängerung regelmäßig rechtfertige

Der Fristverlängerungsantrag sei auch wirksam gestellt worden. Eine elektronische- und damit formgerechte – Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei hier zwar nicht erfolgt. Allerdings waren entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt.

Das Berufungsgericht habe bereits zu Unrecht angenommen, der Schriftsatz der Klägerin vom 20.4.2023 enthalte keine ausreichende Schilderung der einen Ausnahmefall nach § 130d Satz 2 ZPO begründenden Tatsachen, nach denen es aus vorübergehenden Gründen technisch unmöglich gewesen sei, den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln.

Aus dem Inhalt des per Telefax eingereichten Schriftsatzes der Klägerin vom 20.4.2023 gehe unmissverständlich hervor, dass die Übersendung des Fristverlängerungsgesuchs per Telefax erfolge, weil eine Versendung des Fristverlängerungsantrags auf elektronischem Weg über das beA nicht möglich gewesen sei.

Der Klägervertreter habe in dem per Telefax übermittelten Schriftsatz angegeben, es liege eine Störung des beA vor. Es habe jedoch keine Störung des beA, sondern des EGVP im Justizbereich von Nordrhein-Westfalen gegeben. Diese Ungenauigkeit im Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei jedoch unschädlich. Im Ergebnis habe der Prozessbevollmächtigte mit der Angabe, das beA sei gestört, lediglich die Ursache für die Unmöglichkeit der Übermittlung auf elektronischem Weg unrichtig bezeichnet. In technischer Hinsicht treffe sein Vortrag, eine elektronische Übermittlung über das beA sei nicht möglich gewesen, zu, weil durch die Störung des EGVP eine Übermittlung von Schriftstücken über das beA an die von der EGVP-Störung betroffenen Gerichte nicht erfolgen konnte.

Weiterer Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei nicht erforderlich gewesen. Insbesondere war er, nachdem er die Ersatzeinreichung veranlasst hatte, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen und hierzu vorzutragen. § 130d Satz 2 ZPO stelle auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur hierzu müsse vorgetragen werden.

Das Berufungsgericht habe außerdem die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument überspannt, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns einer solchen Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet hat, ohne den von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten aktuellen Ausdruck der Internetseite bea.expert zu berücksichtigen, aus der die Meldung der Bundesrechtsanwaltskammer betreffend die Störung des EGVP hervorging. Die Vorlage dieses Ausdrucks, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handele, war im vorliegenden Fall geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

Danach komme es nicht mehr auf die Frage an, ob das Berufungsgericht, dem ausweislich des Inhalts des angefochtenen Beschlusses die Störung des EGVP zum Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist bekannt war, diese Störung als gemäß § 291 ZPO offenkundig und damit als nicht beweisbedürftig hätte behandeln können oder ob der Gesetzgeber mit der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO abweichend von § 291 ZPO eine Glaubhaftmachung zur ausnahmslosen Voraussetzung für eine zulässige Ersatzeinreichung gemacht habe.

Der BGH sagt:

„Aus dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin ergibt sich, dass die elektronische Übermittlung des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war. Durch die Übersendung eines aktuellen Ausdrucks der Internetseite bea.expert, auf der eine entsprechende Meldung der BRAK veröffentlicht war, ist glaubhaft gemacht, dass das EGVP seit dem 19.4.2023 nicht erreichbar war, dieser Zustand am 20.4.2023 angedauert hat und nicht abzusehen war, wann die Störung behoben sein würde.“

 

Praxishinweis:

Auf der Seite des beA Support https://portal.beasupport.de/verfuegbarkeit werden geplante Wartungsarbeiten und akute Störungen sowohl bei der Justiz als auch bei beA und auch bei der Fernsignatur der BNotK angezeigt. Die im rechten Bereich dort anklickbare Störungsdokumentation der BRAK https://www.brak.de/fileadmin/02_fuer_anwaelte/bea/beA-St%C3 %B6rungsdokumentation_02.pdf listet den Beginn und das Ende einer Störung / des Ausfalls des beA auf. Hilfreich ist es, im Vorfeld den Newsletter der Justiz unter https://egvp.justiz.de/meldungen/newsletter/index.php zu abonnieren. Dann erhält man sowohl akute Störungen als auch geplante Wartungsarbeiten sowie behobene Störungen für die abonnierten Bundesländer und bundesweite EGVP-Meldungen direkt per E-Mail.

IX.

BGH, Beschl. v. 28.2.2024 – IX ZB 30/23 Auseinanderfallen einfacher Signatur (eeS) und qualifizierter elektronischer Signatur (qeS) ist zulässig bei Anwaltssozietät (Abweichung von bisheriger Rechtsprechung)

Signiert ein Mitglied einer mandatierten Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elektronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für“) bei der einfachen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.

Anmerkung:

Immer wieder gab es bislang Entscheidungen, die sich mit der eeS (Namensangabe unter dem Schriftsatz) und der qeS (Ersetzung der eigenhändigen Unterschrift durch PIN-Eingabe) befasst haben. So hatte das BayObLG (19.1.2023 – 207 StRR 2/23) verlangt, dass eine eeS und eine gleichzeitig angebrachte qeS übereinstimmen müssen. Bereits 2019 hatte sich das BAG (24.10.2019, 8 AZN 589/19) zur Formwirksamkeit eines Schriftsatzes geäußert, bei dem eeS und qeS nebeneinander angebracht waren, aber unterschiedliche Personen auswiesen. Hier wurde zugunsten des Einreichers der qeS entschieden.

Nun hat der BGH der Rechtsbeschwerde stattgegeben und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entschieden, dass der Kläger durch die Verwerfung der Berufung in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, welches es den Gerichten verbiete, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren, verletzt sei.

Der BGH führt aus:

„Gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qeS der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.

Die Bestimmung stellt damit zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung. Zum einen kann der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit seiner qeS versehen. Zum anderen kann er auch nur einfach signieren, muss den Schriftsatz aber sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO einreichen.

Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht. Wird der Schriftsatz hingegen mit einer qeS versehen, entsprechen deren Rechtswirkungen unmittelbar denen einer handschriftlichen Unterschrift des Rechtsanwalts gemäß § 130 Nr. 6 ZPO. Durch die Einreichung eines elektronischen Dokuments mit der qeS eines Rechtsanwalts übernimmt dieser mithin nicht anders als bei einer handschriftlichen Unterzeichnung eines Schriftsatzes die Verantwortung für dessen Inhalt und ist daher verantwortende Person im Sinne von § 130a Abs. 3 Fall 1 ZPO.

Der Übernahme der Verantwortung durch den qualifiziert elektronisch signierenden und von der Partei bevollmächtigten Rechtsanwalt für den Schriftsatzinhalt steht es nicht entgegen, dass das elektronische Dokument am Schluss seiner Ausführungen den Namen eines anderen Rechtsanwalts als Verfasser nennt.“

 

Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung:

„Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war die eigenhändige Unterschrift des Rechtsanwalts Wirksamkeitsvoraussetzung für einen bestimmenden Schriftsatz, wie etwa für eine Berufungsbegründungsschrift gemäß § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO.

Damit sollte die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen.

Für den Anwaltsprozess bedeutete dies allerdings nicht, dass der Schriftsatz notwendig von dem bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst verfasst werden musste. Maßgeblich war vielmehr allein, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt den gegebenenfalls von einem anderen formulierten Schriftsatz nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigte und unterschrieb.

Nach dieser Rechtsprechung verstand es sich zudem für einen unterzeichnenden Rechtsanwalt im Zweifel von selbst, mit seiner Unterschrift zugleich auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen. Schließlich bedurfte es nach dieser Rechtsprechung bei Unterzeichnung eines mit dem maschinenschriftlichen Namen seines Verfassers abschließenden Schriftsatzes durch einen anderen von der Partei bevollmächtigten Rechtsanwalt auch nicht eines klarstellenden Zusatzes, wie etwa der Verwendung des Worts „für“. Denn bereits dem Umstand der Unterzeichnung des Schriftsatzes durch einen anderen Rechtsanwalt an sich lässt sich entnehmen, dass er an Stelle des Verfassers die Unterschrift leisten und damit als weiterer Hauptbevollmächtigter oder Unterbevollmächtigter der Partei auftreten wollte.

Für den elektronischen Rechtsverkehr gilt nichts anderes. Die qeS entspricht der Unterschrift des Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt, der das zuvor von einem anderen verfasste elektronische Dokument, das auch mit dessen Namen und Berufsbezeichnung abschließt, qualifiziert elektronisch signiert, bringt wie mit seiner eigenhändigen Unterschrift ohne weitere Voraussetzungen im Zweifel seinen unbedingten Willen zum Ausdruck, mit seiner qeS auch eine entsprechende Verantwortung für einen bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten als weiterer Hauptbevollmächtigter oder zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten. Auch insoweit bedarf es daher keines klarstellenden Zusatzes eines Vertretungsverhältnisses, insbesondere nicht der Verwendung des Worts „für“.“

 

Der BGH differenziert allerdings bei Entscheidungen in Strafsachen, wenn ein RA nicht als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt ist, nicht als allgemeiner Vertreter des Pflichtverteidigers tätig ist und dem der Angeklagte auch keine Vollmacht als Wahlverteidiger erteilt hatte. Hier könne dieser Rechtsanwalt anders als im Zivilprozess auch nicht als Unterbevollmächtigter des Verteidigers wirksam für den Angeklagten handeln, da die Erteilung einer Untervollmacht durch den Verteidiger im Strafprozess nicht statthaft sei, vielmehr wäre sie unwirksam.

Praxishinweis:

Stellen Sie in Ihrer Kanzlei Regeln für die Anbringung von einfachen Signaturen (Name unter dem Schriftsatz) und qeS auf. Wer vertritt Sie, wenn Sie als Einzelanwältin erkrankt sind oder Urlaub machen? Welche Rollen und Rechte vergeben Sie notwendiger- und sinnvollerweise an Ihre Vertretung? Die Entscheidung des BGH bezieht sich auf die Vertretung innerhalb einer Anwaltssozietät und die Einreichung über das beA des Vertreters. Lassen Sie, wenn möglich, den Vertreter mit eeS und qeS signieren und reichen Sie dann über einen Mitarbeiter den Schriftsatz über das beA des Sachbearbeiters ein. Damit erhöhen Sie die Chance, dass eine weitere Korrespondenz über das Sachbearbeiter-beA erfolgt und die Zuordnung bei der Betreuung mehrerer beA einfacher wird.

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