Gerichtstermine wegen Krankheit des Bevollmächtigten kurzfristig verlegt zu bekommen, ist oft eine heikle Sache. Der BFH hat zuletzt mit zwei Entscheidungen kurz hintereinander hervorgehoben, dass es einen Unterschied macht, ob ein Anwalt am Vortag des Gerichtstermins oder direkt am Prozesstag beantragt, krankheitsbedingt zu verlegen. Wichtig ist zudem, wie die interne Vertretung in Kanzleien organisiert ist. Landet auf dem Richtertisch ein Attest des Anwalts, kann es noch kritischer werden: Denn das, worauf es ankommt, steht oft nicht drin.
Nicht fit für den Sitzungssaal? Gerichte entscheiden stets im Einzelfall. Von denen wimmelt es in der Rechtsprechung aber
Mitten in der Post-Corona-Zeit wird schnell vergessen, wie viele extreme Krankheitsverläufe und Todeszahlen die Epidemie global verursacht hat. In Gerichtsgebäuden wurde nicht nur Maske getragen, sondern auch über Verlegungsanträge entschieden. Da musste der Anwalt mitunter schnell das Ergebnis eines Schnelltests vorlegen, damit das Gericht neu terminierte. Mit der zurückgekehrten Normalität pendelt sich das Maß wieder ein: Akute Krankheitsbilder, Unfälle oder notwendige medizinische Eingriffe bilden das unerfreuliche Trio, das einen Anwalt zwingen kann, um neue Terminierung zu bitten. Allerdings betrachten die Richter jeden Fall individuell und es gibt keine Garantie, dass eine Verlegung gewährt wird, selbst wenn medizinische Gründe vorliegen.
Dass Anwälte sich hier in einem hochsensiblen Bereich bewegen, bestätigt Rechtsanwalt Dr. Joachim Ramm, der aufmerksam die Linie der Gerichte beobachtet. „Die Ausgangssituation für einen Anwalt, der kurzfristig erkrankt, ist recht kompliziert. Die Rechtsprechung zeigt zahlreiche, unterschiedlichste Entscheidungen, wie streng oder vergleichsweise anwaltsfreundlich Gerichte bei kurzfristigen Terminsverlegungen handeln. Jedes Gericht entscheidet im Einzelfall, ob ihm die Angaben des Anwalts zu der konkreten Erkrankung schlüssig genug sind, um den Termin zu verlegen.“ Der eine Richter hat viel Verständnis für die Anwaltschaft und vertraut auf Erklärungen der Anwälte, der andere wiederum ist skeptischer, hakt nach und schaut deutlich kritischer hin, bevor er den Kalender zückt.
Wenn der Anwalt keine Vertretung für den Termin sicherstellen konnte, kommt es darauf an, das Gericht zu überzeugen, dass ihn die Krankheit so außer Gefecht gesetzt hat, dass er nicht vor Gericht erscheinen kann. Ob die Erkrankung nun einige Tage oder kurz vor Verhandlungsbeginn auftritt, kann eine Menge ausmachen.
Der BFH wertet Zeiträume. Ein Tag vor der Verhandlung ist nicht „kurzfristig“. Der Ball liegt dann beim Gericht.
In einer vor dem FG Sachsen anhängigen Sache hatte der Anwalt einen Tag vor der anberaumten Verhandlung am 25.10.2022 beantragt, den Gerichtstermin zu verlegen. Sein Antrag ging am 24.10.2022 bei Gericht während der Dienstzeit um 12:49 Uhr per Telefax ein. Trotzdem verhandelte das Gericht und entschied sodann mit Urteil. Eine Revision ließ es nicht zu. Die Beschwerde des Bevollmächtigten gegen die Nichtzulassung hatte allerdings Erfolg. Das Gericht hatte sich einen Verfahrensfehler erlaubt, so der BFH. Der grundrechtliche Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird verletzt, wenn die Partei einen krankheitsbedingten Antrag auf Verlegung nicht in letzter Minute stellt und das Gericht dann einfach den Termin durchführt, ohne weitere Angaben vom Anwalt zu verlangen (Beschl. v. 21.04.2023, Az. VIII B 144/22). Allerdings: Den Antrag am Vortag des Termins zu stellen, klingt zunächst einmal schon wie auf den letzten Drücker, wird vom BFH aber nicht als „kurzfristig“ oder „in letzter Minute“ gewertet. Daher galten auch keine erhöhten Anforderungen für den Anwalt, sich zu erklären.
Korrekterweise hätte das Gericht daher vom Anwalt gem. § 227 Abs. 2 ZPO abgesehen von der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weitere Angaben zur Erkrankung fordern müssen. Da das Gericht dies nicht tat, hätte es auch nicht einfach die Verhandlung durchführen dürfen. Unaufgefordert von sich aus war der Anwalt nicht verpflichtet, weitere Dokumente vorzulegen oder konkreter zu seiner Krankheit zu berichten.
Schwierig, wenn der Anwalt erst am Verhandlungstag erkrankt. Dann bleiben zwei Optionen: Attest oder präzise Glaubhaftmachung
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Attest, Arztbericht – ist doch irgendwie alles dasselbe? Leider nicht, und in diese Falle sind schon einige Juristen getappt. AU-Bescheinigungen bzw. Atteste mögen Diagnosen und Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit belegen. Das sagt aber nichts darüber aus, ob der Betroffene auch reise- bzw. verhandlungsunfähig ist. Hierauf kommt es aber an. Häufig sind auch nicht die konkreten Bezeichnungen der Erkrankung bzw. gesundheitlichen Einschränkungen angegeben, sondern sogenannte ICD-Diagnoseschlüssel. Diese lassen sich zwar decodieren, allerdings ist dies nicht der Job des Gerichts. Nicht umsonst steht in vielen Urteilen: Bei einer beantragten Terminsverlegung muss das Gericht die gesundheitlichen Gründe ohne weitere Nachforschungen erkennen und beurteilen können.
Unabhängig davon, ob die Bescheinigung genaue Angaben zu Art und Schwere der Krankheit enthält, müssen sich die ärztlichen Angaben ausdrücklich auf die Frage der Verhandlungsfähigkeit am Terminstag beziehen, so der BFH in einem weiteren Fall nur wenige Monate später (Beschl. v. 07.06.2023, Az. IX B 11/23).
Strenge Maßstäbe bei „Last-Minute-Verlegung“. Der Antrag muss von Anfang an sitzen. Für Ergänzungen und Rückfragen ist die Zeit zu knapp
Wer am Verhandlungstag erkrankt, hat im Grunde nur einen Schuss frei: Bei kurzfristig gestellten Anträgen sind die Hürden für die Glaubhaftmachung besonders hoch. Nun gilt: Nicht mehr das Gericht muss ggf. beim Anwalt weitere Angaben verlangen, sondern der Anwalt muss unaufgefordert seine Erkrankung so präzise darstellen, dass sich das Gericht ein Bild machen kann. Ist dann auch ein (aussagekräftiges) Attest Pflicht? Wäre nachvollziehbar, der BFH hat dies aber nicht explizit gesagt, sondern zwei Optionen offengelassen: Entweder eine ärztliche Bescheinigung wie oben beschrieben, oder aber ersatzweise eine so genaue Schilderung, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung als schwer genug anzusehen ist. Tatsache ist allerdings: Wer gesundheitlich angeschlagen ist, wird vielleicht Mühe haben, ad hoc sein Krankheitsbild unter Zeitdruck in einem Schriftsatz zusammenzufassen. Letztendlich hängt es auch vom Gericht ab, ob es sich mit den Angaben darin zufriedengibt oder nicht. Und die Rechtsprechung zeigt unzählige Entscheidungen, bei denen die Richter schlussendlich doch Zweifel an den Angaben des Anwalts hatten. Das können auch ganz banale Gründe sein, beispielsweise wenn das Gericht es merkwürdig findet, dass Diagnosen durch fachfremde Ärzte gestellt werden (z.B. HNO-Arzt diagnostiziert Bewegungsstörungen; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.01.2023, Az. 1 A 25/21).
Fazit: Vertretung first. Auf Nummer sicher gehen heißt: obligatorisch ärztliche Bescheinigung vorlegen
Der BGH hat Leitlinien erarbeitet, wie Anwälte überhaupt auf den plötzlichen Ausfall der eigenen Arbeitskraft reagieren müssen (Beschl. v. 16.04.2019, Az. VI ZB 44/18). Dabei geht es um grundsätzliche Sicherheitsmechanismen und Notfallpläne, die in die Kanzleiorganisation zu implementieren sind. „Grundsätzlich muss ein Anwalt sicherstellen, dass er entweder Vertreter in der Kanzlei hat, die bei Krankheit Termine wahrnehmen, oder aber, sofern er Einzelanwalt ist, ein Netzwerk hat, unter dem sich auch ein vertretungsbereiter Anwalt befindet. Mit diesem sollte eine Vereinbarung bestehen, dass er in krankheitsbedingten Notfällen kontaktiert werden kann, um bei Gericht aufzutreten bzw. Termine wahrzunehmen“, so Rechtsanwalt Ramm.
Weiterhin gilt eine ärztliche Bescheinigung mit Hinweisen zu Reise- und Verhandlungsfähigkeit als sicherstes Mittel. Wer plötzlich in die Arztpraxis oder Klinik muss, sollte die Kanzlei informieren oder vom eigenen Laptop aus den Arztbericht direkt an das Gericht oder an die Kanzlei senden, die ihn weiterleitet. Darüber hinaus sollten Mustervorlagen/Textbausteine für einen Verlegungsantrag vorgehalten werden, die leicht krankheitsbezogen individualisiert werden können.
Besonders empfiehlt sich, den Sachverhalt direkt und telefonisch mit dem zuständigen Richter zu besprechen, um eine klare Darstellung zu gewährleisten. So können etwaige Details und Rückfragen bezüglich der Erkrankung schnell besprochen werden. Es ist ratsam, dass der Anwalt – soweit möglich – das Telefonat zumindest grob protokolliert. Aber auch hier gerät ein Jurist schnell aufs falsche Gleis: „Auf jeden Fall muss er sicherstellen, dass er den zuständigen Richter auch ans Telefon bekommt. Nur jemanden bei der Geschäftsstelle des Gerichts zu erreichen, genügt nicht“, so Ramm.