Ist ein Mandant mit der Arbeit seines Rechtsanwalts nicht zufrieden, macht er seinem Unmut manchmal verbal (oder sogar tätlich, s. dazu auch ZAP 2025, 64 f.) Luft. Aus Sicht des betroffenen Anwalts wird dabei nicht selten die Grenze zur Beleidigung überschritten. Aber selbst wenn der Mandant starke Worte gebraucht, die den Rechtsanwalt in seiner beruflichen Ehre treffen, muss nicht unbedingt eine strafbare Handlung vorliegen. Einen solchen Fall hatte kürzlich das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden (Beschl. v. 16.1.2025 – 1 BvR 1182/24).
Hintergrund der Entscheidung war ein Strafprozess gegen eine aus Polen eingewanderte und inzwischen eingebürgerte Frau, die einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung eines versicherungsrechtlichen Mandats betraute. Mit seiner Mandatsbearbeitung war die Mandantin in der Folge nicht einverstanden. In mehreren E-Mails warf sie ihm in ungelenken Worten vor, zu langsam zu arbeiten und sogar zu versuchen, ihr absichtlich Schaden zuzufügen; dabei verwendete sie auch die Begriffe „Inkompetenz“, „Gelderschleichen“ und „Betrug“. Zugleich beschwerte sie sich bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer über ihren Anwalt. Auf dessen Strafanzeige hin verurteilte das Amtsgericht die seinerzeit als Haushaltshilfe arbeitende Frau wegen Beleidigung in mehreren Fällen (§ 185 StGB) zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 €. Auf die Berufung der Verurteilten hin bestätigte das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil, wobei es in seiner Entscheidung im Wesentlichen nur die erstinstanzlichen Ausführungen wiederholte. Im anschließenden Revisionsverfahren bestätigte auch das Oberlandesgericht die Verurteilung; in seiner Entscheidungsbegründung führte es lediglich formelhaft aus, es hätten sich keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführerin ergeben.
Mit diesem „kurzen Prozess“ gegen die Mandantin war das BVerfG nicht einverstanden. Auf die Verfassungsbeschwerde der Frau hin hoben die Karlsruher Richter die Verurteilung auf und verwiesen den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Insbesondere bemängelten die Verfassungsrichter, dass sich die Strafgerichte nicht mit der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit der bis dahin nicht vorbestraften Mandantin auseinandergesetzt hätten. Ihren Richterkollegen warfen sie sogar einen „nahezu vollständigen Abwägungsausfall“ vor.
Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung, so führt der 1. Senat aus, setze im Regelfall voraus, dass etwaige Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre – als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – auf der einen Seite und die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG auf der anderen Seite vom Richter gegeneinander abgewogen werden. Von einer solchen Abwägung könne ausnahmsweise nur abgesehen werden, wenn es sich bei der fraglichen Tat um eine Formalbeleidigung, eine Schmähung oder einen Angriff auf die Menschenwürde handele. Davon sei hier aber nichts ersichtlich, da die Äußerungen der Verurteilten weder schwerwiegende Schimpfworte enthalten hätten noch besonders gehässig gewesen seien.
Ansonsten müssten sich die Strafrichter mit dem konkreten Hintergrund des Einzelfalls und der Situation, in der die fragliche Äußerung erfolgt sei, auseinandersetzen. Dabei hätten sie sich auch mit dem Gesamtkontext des Mandatsverhältnisses, dem Sprach- und Ausdrucksvermögen der aus Polen stammenden Mandantin sowie dem ggf. von ihr abweichend verstandenen Bedeutungsgehalt der verwendeten Vokabeln befassen müssen. In der anschließenden Abwägung der Grundrechte der Mandantin und des Rechtsanwalts hätten sie des Weiteren klären müssen, welche Gründe die Mandantin zu ihren Äußerungen veranlasst haben; dazu hätten sie auch Feststellungen zur Mandatsführung des Rechtsanwalts treffen müssen. Diese Feststellungen und die anschließende Abwägung auf Grundrechtsebene vermissten die Verfassungsrichter im vorliegenden Fall nahezu vollständig. Die in den fachgerichtlichen Urteilen stattdessen enthaltenen Ausführungen, wonach es der Beschwerdeführerin unbenommen gewesen wäre, ihren Rechtsanwalt auf nicht beleidigende Weise zu kritisieren, seien ein bloßer Zirkelschluss und könnten jedenfalls eine grundrechtlich gebotene Abwägung nicht ersetzen.
Mit ihrer Entscheidung haben die Verfassungsrichter eine klare Linie für die strafrechtliche Verfolgung von ehrrührigen Mandantenäußerungen vorgegeben. Eine strafrechtliche Verfolgung und Ahndung haben sie damit nicht ausgeschlossen oder wesentlich erschwert. Allerdings verlangen sie vom Strafrichter, sich in den Urteilsgründen nicht mit formelhaften Ausführungen zu begnügen; soll eine strafgerichtliche Verurteilung eines Mandanten wegen Beleidigung seines Rechtsanwalts Bestand haben, muss das Gericht nach den Vorgaben aus Karlsruhe die Gesamtumstände des Tatvorwurfs hinreichend aufgeklärt sowie vor diesem konkreten Hintergrund die Meinungsfreiheit des Mandanten und das Persönlichkeitsrecht des Rechtsanwalts nachvollziehbar gegeneinander abgewogen haben.
[Quelle: BVerfG]