Stellt das Gericht einem Verteidiger umfangreiche Akteninhalte in digitaler Form zur Verfügung, dann kann dieser später keine Dokumentenpauschale für den ebenso umfangreichen Ausdruck verlangen. Dies entschied kürzlich das OLG Nürnberg und verwehrte dem Rechtsanwalt damit die beantragte Erstattung der Kosten für von ihm erstellte tausende Schwarz-Weiß- und Farbkopien aus der Prozessakte (OLG Nürnberg, Beschl v. 25.9.2024 – Ws 649/24).
Der Hintergrund: Einem Angeklagten, der sich in Untersuchungshaft befand, war ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser erhielt vom Gericht den vollständigen Akteninhalt digital zur Verfügung gestellt, zum Teil auf CDs und DVDs, zum Teil mittels Einsicht in das Justizportal. Da er – wie er später geltend machte – keinen Laptop besaß und auch weil er gewohnt war, im Mandantengespräch Notizen auf der Papierakte anzubringen, entschied er sich, aus der digitalen Akte 5.240 Seiten in Schwarz-Weiß und weitere 2.087 Seiten in Farbe auszudrucken. Nach Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beantragte der Pflichtverteidiger u.a. die Festsetzung und Anweisung von Kosten für die Ablichtung der gesamten Akte i.H.v. 1.872 €. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bezweifelte die Notwendigkeit des Kopieraufwandes; zudem war sie der Auffassung, dass sich schon rein rechnerisch allenfalls ein um mehrere Hundert EUR niedrigerer Betrag ergeben könne. Auf die Erinnerung des Verteidigers hin kam es schließlich zur Erstattung des von der Urkundsbeamtin errechneten Betrages von 1.464,60 €. Damit war wiederum der zuständige Bezirksrevisor nicht einverstanden und legte Beschwerde gegen die Festsetzung ein; das Oberlandesgericht gab dieser Beschwerde statt und verweigerte jegliche Erstattung von Kopierkosten.
Zur Begründung seiner Entscheidung verwies der Senat auf die Kostenvorschrift der Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a VV RVG. Danach entsteht eine Dokumentenpauschale für Kopien und Ausdrucke aus den Gerichtsakten nur, soweit deren Herstellung „zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten“ ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt sei, beurteile sich im Einzelfall nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen sachkundigen Dritten, führt das Gericht weiter aus. Auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts komme es deshalb für die Erfüllung des Gebührentatbestandes nicht an. Aus der gebotenen objektiven Sicht ergebe sich, dass bei Überlassung von digitalen Daten(trägern) an den Anwalt vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung auch im Justizbereich ein Ausdruck nicht (mehr) nötig sei. Der Umgang mit elektronischen Akten sei inzwischen Alltag im gerichtlichen und anwaltlichen Berufsleben geworden. Auch seien Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 5 BORA verpflichtet, die für ihre Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen vorzuhalten, wozu mittlerweile auch die technische Ausstattung zur Bearbeitung elektronischer Akten gehöre. Der Einwand des Verteidigers im vorliegenden Fall, nicht über einen Laptop zu verfügen, greife deshalb nicht durch.
Auch dass es ein Rechtsanwalt als praktikabler oder einfacher empfinde, bei der Besprechung mit seinen Mandanten Anmerkungen auf den Papierausdrucken anbringen zu können, stelle aus objektiver Sicht keinen Grund dar, der den Ausdruck der Akte erforderlich mache. Zum einen sei auch in einem elektronischen Dokument das Anfertigen von Anmerkungen möglich. Zum anderen könne der Verteidiger bei Besprechungen gleichwohl Anmerkungen in Papierform erstellen und sich die dazugehörige Blattzahl der Akte vermerken. Sollte im Einzelfall der Ausdruck einzelner Aktenteile, etwa von Protokollen von Zeugenaussagen, erforderlich sein, rechtfertige dies jedenfalls nicht den Ausdruck der gesamten Akte mit über 7.000 Seiten.
Mit dieser Sichtweise schließt sich der Senat – unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung – einer im Vordringen befindlichen Auffassung an, die mittlerweile bei Überlassung von auf digitalen Datenträgern gespeicherten Akten deren Ausdruck ohne Vorliegen besonderer Umstände grds. nicht mehr mit der Dokumentenpauschale vergüten will (so auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 3.4.2018 – 2 Ws 1/18; OLG Rostock, Beschl. v. 4.8.2024 – 20 Ws 193/14).
[Quelle: OLG Nürnberg]