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Rechtspolitische Vorhaben der „Ampel“-Koalition

Rechtspolitische Vorhaben der „Ampel“-Koalition

Unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ haben die zukünftigen Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP Ende November ihren Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf knapp 180 Seiten formulieren sie darin ihre Ziele für die kommende Legislaturperiode. Unter anderem wollen die „Ampel“-Parteien das Gesetzgebungsverfahren modernisieren und Planungsvorhaben straffen. Auch die Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter, der kollektive Rechtsschutz gestärkt werden. Die Digitalisierung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Papier und auch die Anwaltschaft findet – kurz – Erwähnung. Die wichtigsten rechtspolitischen Punkte aus anwaltlicher Sicht sind nachfolgend kurz umrissen.

  • GesetzgebungDie Qualität der Gesetzgebung soll verbessert werden. Dazu sollen neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutiert werden. Im Vorfeld jedes Gesetzgebungsverfahrens soll die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft werden (sog. Digitalcheck). Außerdem soll ein „Zentrum für Legistik“ geschaffen werden. Ein neues digitales Gesetzgebungsportal soll es u.a. ermöglichen, jederzeit zu sehen, in welcher Phase sich ein Vorhaben befinden; erprobt werden soll dort auch eine öffentliche Kommentierungsmöglichkeit. Gesetzentwürfen der Bundesregierung wird künftig eine Synopse beigefügt, die die aktuelle Rechtslage den geplanten Änderungen gegenüberstellt. Insgesamt sollen Gesetze verständlicher werden.
  • VerwaltungsrechtDie Verfahrensdauer bei Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren soll „mindestens halbiert“ werden, heißt es ausdrücklich im Koalitionsvertrag. Zu diesem Zweck sollen die personellen und technischen Kapazitäten bei den Verwaltungsbehörden und -gerichten erhöht werden. Zudem sollen alle staatlichen Stellen die Verwaltungsverfahren so vereinfachen und verbessern, dass gerichtliche Auseinandersetzungen möglichst vermieden werden. Auch der Rechtsschutz bei Planungsverfahren steht im Fokus der Koalitionäre: Ausdrücklich genannt werden die Verkürzung von Fristen (etwa bei Planfeststellungsbeschlüssen) und die Beschränkung von Einwendungen (etwa nach Planänderungen). Nicht zuletzt sollen die Planungs- und Genehmigungsprozesse zügiger als bisher digitalisiert werden.
  • JustizDie Wahl- und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten sollen reformiert werden und sich stärker an den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt orientieren. Am Bundesverwaltungsgericht wollen die Koalitionäre die Voraussetzungen für zusätzliche Senate im Planungsrecht schaffen. Nach geäußerten Zweifeln seitens des Europäischen Gerichtshofs an der Unabhängigkeit deutscher Staatsanwälte soll jetzt das externe ministerielle Einzelfallweisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften entsprechend angepasst werden. Der Pakt für den Rechtsstaat soll verlängert und um einen „Digitalpakt für die Justiz“ ergänzt werden (zur Kritik der Bundesrechtsanwaltskammer daran vgl. auch den nachstehenden Beitrag). Die Anwaltschaft findet nur an einer Stelle im Koalitionsvertrag ausdrücklich Erwähnung: Im Rahmen der unternehmensrechtlichen Pläne soll u.a. der Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen erweitert werden; offenbar im Gegenzug soll auch die Rechtsanwaltschaft „gestärkt“ werden, indem das Verbot von Erfolgshonoraren modifiziert und das Fremdbesitzverbot überprüft werden.
  • ProzessrechtIm Strafprozess sollen Vernehmungen und die Hauptverhandlung künftig zwingend in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Auch werden die Verständigung im Strafverfahren einschließlich möglicher Gespräche über die Verfahrensgestaltung und das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation neu geregelt. Die Verteidigung der Beschuldigten soll bereits mit Beginn der ersten Vernehmung sichergestellt werden. Gerichtsentscheidungen sollen grds. in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein. Das Verwaltungsgerichtsverfahren soll durch einen „frühen ersten Termin“ beschleunigt werden sowie auch durch ein effizienteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren, in dem „Fehlerheilungen maßgeblich berücksichtigt werden und auf die Reversibilität von Maßnahmen“ abgestellt wird. Klägerinnen und Kläger, deren Rechtsbehelfe zur Fehlerbehebung beitragen, sollen die Verfahren ohne Nachteil beenden können. Der kollektive Rechtsschutz im Zivilrecht soll weiter ausgebaut werden; so wird etwa geprüft, ob weitere Instrumente nach dem Vorbild des Kapitalanleger-Musterverfahrens eingeführt werden können.
  • FamilienrechtDas „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern soll ausgeweitet und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickelt werden, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Ein neues Rechtsinstitut der „Verantwortungsgemeinschaft“ soll es – jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe – zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich gegenseitig Verantwortung zu übernehmen. Schon vor der Empfängnis sollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt ermöglicht werden. Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. Ein neues statusunabhängiges Feststellungsverfahren soll es dem Kind ermöglichen, seine Abstammung gerichtlich klären lassen, ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen. In den familiengerichtlichen Verfahren werden der Kinderschutz und das Prinzip der Mündlichkeit der Verhandlungen gestärkt. Die Hürden für die Nichtzulassungsbeschwerde werden gesenkt. Für Familienrichterinnen und Familienrichter wird ein Rechtsanspruch auf Fortbildung eingeführt. Häusliche Gewalt ist künftig in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen. Unverheirateten Vätern wird es in Fällen, in denen die Eltern einen gemeinsamen Wohnsitz haben, ermöglicht, durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen; widerspricht die Mutter, so soll künftig das Familiengericht über die gemeinsame Sorge entscheiden.
  • Miet- und BaurechtDie Mietpreisbremse wird bis 2029 verlängert. Für Gemeinden über 100.000 Einwohner werden qualifizierte Mietspiegel verpflichtend. Die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen in angespannten Märkten wird auf 11 % in drei Jahren abgesenkt. Für Makler, Miet- und WEG-Verwalter wird ein „echter Sachkundenachweis“ eingeführt. Der Wohnungsbau soll angekurbelt werden; hierzu will man die Baukosten u.a. durch serielles Bauen, Digitalisierung, Entbürokratisierung und Standardisierung deutlich senken. Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 % erneuerbarer Energien betrieben werden müssen. Den Ländern will man es durch eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer – etwa einen Freibetrag – ermöglichen, den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum zu erleichtern.
  • VerbraucherschutzDer Verbraucherschutz soll auf vielen Feldern gestärkt werden. Unter anderem sollen bei Darlehen die Kosten für Vorfälligkeitsentschädigungen auf das „Angemessene“ begrenzt und ein fairer Zugang zu einem Basiskonto sichergestellt werden. Die behördliche Aufsicht für Inkassounternehmen will die neue Koalition bündeln. Für langlebige Güter wird eine flexible Gewährleistungsdauer eingeführt, die sich an der jeweiligen Lebensdauer des Produkts orientiert. Es soll auch künftig ein „Recht auf Reparatur“ geben. Dazu soll der Zugang zu Ersatzteilen und Reparaturanleitungen sichergestellt werden. Hersteller müssen während der üblichen Nutzungszeit Updates für ihre Produkte bereitstellen. Bei Dauerschuldverhältnissen über die Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- und Warenleistungen werden Angaben zu den durchschnittlichen monatlichen Kosten zwingend. Abo-Verträge müssen künftig immer auch mit einer Mindestlaufzeit von höchstens einem Jahr angeboten werden. Für telefonisch geschlossene Verträge wird eine „allgemeine Bestätigungslösung“ eingeführt.

Last but not least: Die neuen Bundesministerien/Ressorts stehen zwischenzeitlich fest: Das Bundesjustizministerium (BMJ) wird z.B. nun von Marco Buschmann (FDP) geführt.

[Red.]

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