Mammutprogramm an Gesetzen verabschiedet
In den vergangenen Wochen haben Bundestag (BT) und Bundesrat (BR) zahlreiche Gesetzesvorhaben verabschiedet. Einige davon sind auch für die Anwaltschaft von eminenter Bedeutung, da sie das Berufsrecht teils tiefgreifend umgestalten. Die wichtigsten der Gesetzesvorhaben sind nachstehend kurz wiedergegeben.
Am 9. und am 10. Juni hat der Bundestag eine ganze Reihe wichtiger Gesetze beschlossen, darunter das Lieferketten-Gesetz, eine verbesserte Insolvenzabsicherung von Pauschalreisenden, ein verstärktes Vorgehen gegen Steueroasen und – für die Anwaltschaft besonders wichtig – eine Reihe von Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht:
- BRAO-Reform: Mit der Reform des anwaltlichen Berufsrechts wurde insb. das Recht der Berufsausübungsgesellschaften in der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und dem Steuerberatungsgesetz umfassend neu geregelt. Ziel ist es, den Rechtsanwälten und den Steuerberatern gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit zu gewähren, weitgehend einheitliche und rechtsformneutrale Regelungen für alle anwaltlichen, patentanwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften zu schaffen und die interprofessionelle Zusammenarbeit zu erleichtern. Nicht zuletzt wird damit jetzt die Berufsausübungsgesellschaft als zentrale Organisationsform anwaltlichen, patentanwaltlichen und steuerberatenden Handelns anerkannt.
- Legal Tech-Gesetz: Verabschiedet hat der Bundestag auch das – noch in der Sachverständigenanhörung im Bundestagsrechtsausschuss (s. Anwaltsmagazin ZAP 12/2021, S. 581 f.) stark umstrittene – „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ (auch „Legal Tech-Gesetz“ genannt). Mit ihm soll insb. für eine „kohärentere“ Struktur zwischen Rechtsdienstleistern und Rechtsanwälten gesorgt werden. So sollen u.a. bestimmte anwaltliche Berufspflichten auch für Rechtsdienstleistungsunternehmen gelten. Zu den Stimmen aus der Anwaltschaft zu den Reformen im Berufsrecht vgl. auch den nachstehenden Beitrag (s. unten S. 631 f.).
- Patentrechtsreform: Mit der Reform sollen Unternehmen vor einer missbräuchlichen Verwendung des Patentschutzes bewahrt werden. Dazu wird das Recht von Patentinhabern, einen Unterlassungsanspruch gegen Patentverletzer durchzusetzen, eingeschränkt. Bislang konnten Patentinhaber bei mutmaßlichen Patentverstößen eine Unterlassung beanspruchen noch bevor in dem eigentlichen Rechtsstreit ein Urteil gesprochen wurde. Künftig können Gerichte entscheiden, ob diese frühe Durchsetzung des Patentrechts verhältnismäßig ist oder ob dadurch dem mutmaßlichen Patentverletzer eine unverhältnismäßige Härte droht.
- Lieferkettengesetz: Für große Unternehmen werden besondere Sorgfaltspflichten eingeführt: Sie sollen künftig dafür Sorge tragen, dass die importierten Produkte nicht auf Kinder- bzw. Zwangsarbeit oder Umweltzerstörung zurückzuführen sind. Das Gesetz gilt von 2023 an, und zwar zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern, von 2024 an auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern.
- Absicherung von Pauschalreisen: Die Insolvenz des Reisekonzerns Thomas Cook hatte offengelegt, dass das bisherige Sicherungssystem per Versicherungslösung in der Reisebranche unzulänglich ist; am Ende musste der Staat einspringen, um geschädigte Pauschalurlauber zu entschädigen. Nun soll ein neu eingerichteter Fonds, in den die Reiseveranstalter selbst Beiträge einzahlen, künftige Insolvenzen von Reiseunternehmen besser absichern (vgl. näher dazu Anwaltsmagazin ZAP 5/2021, S. 211).
- Vorgehen gegen Steueroasen: Ein neues Gesetz soll die Kapitalflucht in sog. Steueroasen unattraktiver machen. Es sieht vor, dass Betriebs- und Werbungskosten bei grenzüberschreitenden Geschäften nur noch dann steuerlich geltend gemacht werden können, wenn sich die jeweiligen Staaten an internationale Steuerstandards halten. Zudem werden Regelungen zur Quellensteuer verschärft, die bei Kapitalerträgen im Ausland anfällt.
- Transparenzregister: Um Geldwäsche und Terrorfinanzierung effektiver zu bekämpfen, soll das Transparenzregister erweitert und international besser verknüpft werden. Durch zusätzliche Meldepflichten für die Wirtschaft soll es für die Behörden einfacher werden, Briefkastenfirmen aufzuspüren und die Hintermänner verschachtelter Firmenkonstrukte zu identifizieren. Gleichzeitig sollen sich seriöse Unternehmen besser davor schützen können, mit fragwürdigen Geschäftspartnern in Kontakt zu kommen.
- Verbraucherschutz bei „Kaffeefahrten“ und „Online-Marktplätzen: Die Teilnehmer an sog. Kaffeefahrten sollen besser gegen „Abzocke“ geschützt werden. Deshalb wird der Verkauf von Versicherungen, Bausparverträgen, Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln auf solchen Veranstaltungen grds. untersagt. Auch müssen die Teilnehmer solcher Fahrten besser über ihre Rechte aufgeklärt werden. Verschärft werden auch die Vorschriften für Online-Marktplätze, um die dortigen Angebote transparenter zu machen. So müssen Vergleichsplattformen im Internet künftig angeben, nach welchen Kriterien sie Waren und Dienstleistungen bewerten.
Bereits Ende Mai hatte auch der Bundesrat in seiner 1005. Sitzung geradezu ein Mammutprogramm absolviert. Er winkte – neben etlichen Regelungen, die sich auf die grassierende Corona-Pandemie beziehen – insgesamt 44 geplante Neuregelungen durch, darunter die Urheberrechtsnovelle und eine Anpassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, eine effektivere Bilanzkontrolle und das Baulandmobilisierungsgesetz zum Schutz von Mietern gegen Verdrängung. Die wichtigsten der Neuregelungen, die alle kurzfristig in Kraft treten sollen, sind nachstehend zusammengefasst:
- Novelle zum Urheberrecht: Grünes Licht gab es u.a. für die vom Bundestag beschlossene Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes. Die Neuregelung war aufgrund von EU-Vorgaben nötig geworden. Künftig sind die Internet-Plattformen für die öffentliche Wiedergabe hochgeladener Inhalte nun grds. selbst urheberrechtlich verantwortlich und können sich nur dadurch von ihrer Haftung befreien, dass sie den konkret geregelten Sorgfaltspflichten nachkommen. Die Kreativen erhalten für lizenzierte Nutzungen einen Direktvergütungsanspruch gegen die Plattformen.
- Effektivere Bilanzkontrolle: Zugestimmt haben die Länder auch dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität. Mit ihm sollen Konsequenzen aus dem Bilanzskandal beim Finanzdienstleister Wirecard gezogen und deshalb die Bilanzkontrolle verbessert werden. Diese wird künftig bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin gebündelt.
- Baulandmobilisierungsgesetz: Der BR hat außerdem den BT-Beschluss zur Mobilisierung von Bauland gebilligt. Ziel des Gesetzes ist es, schneller Bauland zu aktivieren, bezahlbaren Wohnraum zu sichern und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu beschränken. Gemeinden können künftig brachliegende Flächen leichter für Wohnungsbau nutzbar machen, indem ihr Vorkaufsrecht gestärkt wird (vgl. näher zum Vorhaben bereits Anwaltsmagazin ZAP 22/2020, S. 1158).
- Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Mit dem neuen Betriebsrätemodernisierungsgesetz soll insb. der Abnahme der Zahl von Betriebsratsgremien entgegenwirkt werden. Zur Förderung und Vereinfachung von Betriebsratswahlen erweitert das Gesetz die Möglichkeiten für ein vereinfachtes Wahlverfahren. Zudem verbessert es den Kündigungsschutz der Beschäftigten.
- Unfallversicherungsschutz im Homeoffice: Eine weitere Regelung betrifft das in der derzeitigen Pandemie verbreitete Arbeiten im Homeoffice: Anders als bislang beschränkt sich der Unfallversicherungsschutz bei der Heimarbeit künftig nicht mehr auf sog. Betriebswege, etwa zum Drucker in einem anderen Raum, sondern wird auf Wege im eigenen Haushalt zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang ausgeweitet. Darüber hinaus wird er bei Homeoffice-Tätigkeit auch auf Wege ausgedehnt, die die Beschäftigten zur Betreuung ihrer Kinder außer Haus zurücklegen.
- Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Gebilligt hat die Ländervertretung auch die vom BT beschlossene Änderungen an dem seit 2017 geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Diese sollen die Bekämpfung von Hatespeech im Internet und den sozialen Medien erleichtern. Das Gesetz verbessert die Nutzerfreundlichkeit der Meldewege von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte, die sich in der Praxis zum Teil noch als zu kompliziert oder versteckt erwiesen haben.
- Rechtsrahmen für autonome Fahrzeuge: Zugestimmt hat der BR – in verkürzter Frist – auch einem Gesetzesbeschluss des BT, nach dem autonome Fahrzeuge künftig bundesweit ohne physisch anwesende Fahrer*innen in festgelegten Betriebsbereichen des öffentlichen Straßenverkehrs fahren können. Erlaubt wird nun die Einführung entsprechender Systeme im Regelbetrieb. Bislang ist im öffentlichen Straßenverkehr rechtlich lediglich die Erprobung autonomer, führerloser Fahrzeuge zulässig.
- Digitalisierung im Gesundheitswesen: Das von den Ländern gebilligte Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege sieht eine Weiterentwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen, den Ausbau der Telemedizin, zusätzliche Einsatzmöglichkeiten in der Telematikinfrastruktur wie etwa elektronische Medikationspläne und die Förderung der digitalen Vernetzung vor. Gesundheits-Apps können künftig auch in der Pflege zum Einsatz kommen. Digitale Pflegeanwendungen sollen helfen, mit speziellen Trainingsprogrammen die eigene Gesundheit zu stabilisieren oder den Austausch mit Angehörigen oder Pflegefachkräften zu erleichtern.
[Quellen: Bundestag/Bundesrat]