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ZAP-Kolumne: Eine gute Nachricht für Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit

Vorwort der Redaktion: Ein starkes und unabhängiges Bundesverfassungsgericht ist essenziell für unseren Rechtsstaat – insbesondere dann, wenn seine Entscheidungen den Regierenden nicht immer schmecken. Genau darum geht es im folgenden Beitrag, der ursprünglich als Kolumne in der ZAP – Zeitschrift für die Anwaltspraxis (Ausgabe 04/2025, S. 177 f.) erschienen ist. Mit pointierten Beobachtungen und einem klaren Bekenntnis zur Bedeutung einer wehrhaften Verfassungsgerichtsbarkeit zeigt Thomas Offenloch, Richter des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe, auf, warum die jüngsten Änderungen des Grundgesetzes nicht nur notwendig, sondern auch ein starkes Signal für Demokratie und Freiheit sind.

„Ein Verfassungsgericht, das bei den Regierenden beliebt ist, macht seine Arbeit nicht richtig.“

– der Satz stammt nicht von mir. Ich weiß nicht, wann, von wem und in welchem Zusammenhang ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Er ist mir aber in Erinnerung geblieben. Nicht, weil ich ihn vorbehaltlos unterschreiben würde. Denn natürlich haben alle, denen unser freiheitlich und demokratisch verfasster Rechtsstaat am Herzen liegt, ein Interesse daran, dass verfassungsrechtliche Regeln nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch tatsächlich gelebt und eingehalten werden. Dafür braucht es eine unabhängige Institution, die über die Einhaltung dieser Regeln wacht – eine starke Hüterin der Verfassung. Das dürfte jedenfalls bei uns in Deutschland weitgehend Konsens sein.

Auch deshalb genießt das Bundesverfassungsgericht hohes Ansehen, nach meinem ganz persönlichen Eindruck nicht nur in der Bevölkerung, sondern gerade auch in Parlament und Regierung. Und es genießt dieses hohe Ansehen, obwohl seine Entscheidungen gerade dort mitunter schmerzen. Sie schmerzen insb. dann, wenn das Gericht eine gesetzliche Regelung als verfassungswidrig zu Fall bringt, die Regierung und Parlamentsmehrheit für politisch erforderlich und – natürlich auch – für verfassungsrechtlich zulässig gehalten haben.

Als Mitglied des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts denke ich insoweit etwa an das Urteil zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 – das sog. Schuldenbremsenurteil – oder das Urteil zur (fehlenden) Möglichkeit, ein Strafverfahren nach einem rechtskräftigen Freispruch wiederaufzunehmen, selbst wenn aufgrund neuer Erkenntnisse dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass sich der Freigesprochene eben doch wegen Mordes strafbar gemacht hat. Ein Verfassungsgericht kann also durchaus auch dann hohes Ansehen genießen, wenn es seine Aufgabe erfüllt und – soweit verfassungsrechtlich geboten – auch vor schmerzhaften Entscheidungen nicht zurückschreckt.

Trotzdem steckt im eingangs zitierten Satz auch Wahres.

Bescheinigt ein Verfassungsgericht Regierenden oder dem Gesetzgeber, mit einer konkreten Maßnahme oder einem konkreten Gesetz die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten zu haben, wird das von Regierenden, die sich dem freiheitlich und demokratisch verfassten Rechtsstaat verpflichtet fühlen, respektiert. Dass auch sie eine solche Entscheidung mitunter in der Sache kritisieren, freilich ohne ihre Verbindlichkeit oder gar die Autorität des Verfassungsgerichts selbst als Institution infrage zu stellen, steht dem nicht entgegen; denn natürlich ist Kritik auch insoweit legitim.

Politische Kräfte aber, denen die Durchsetzung eigener Ziele wichtiger ist als die Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen, könnten der Versuchung erliegen, „störenden“ Entscheidungen dadurch vorzubeugen, dass sie das Verfassungsgericht als Institution schwächen. Ein möglicher Weg: Änderungen seiner Organisation, die das Gericht für sie steuerbar machen. Bezogen auf das Bundesverfassungsgericht böten etwa die – vielleicht sogar mit einer neuen gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung verbundene – Errichtung eines dritten Senats, die Verkürzung der Amtszeit oder die Herabsetzung der Altersgrenze Möglichkeiten, das Gericht an den entscheidenden Stellen möglichst schnell mit Richterinnen und Richtern zu besetzen, die für „Entscheidungshilfen“ aus der Politik empfänglich erscheinen. Dass solche Gefahren nicht nur theoretischer Natur sind, zeigt ein Blick ins – leider auch europäische – Ausland.

Ich bin dankbar, dass sich der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 93 und 94 GG) und – flankierend – dem Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Untersuchungsausschussgesetzes v. 20.12.2024 dieser Gefahr angenommen hat. Ich bin dankbar, dass der Gesetzgeber etwa mit der Festschreibung von zwei Senaten, einer Amtsdauer der Richterinnen und Richter von zwölf Jahren und der Geschäftsordnungsautonomie für die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts essenzielle Strukturmerkmale auf die verfassungsrechtliche Ebene gehoben, sie damit dem Zugriff einfacher Mehrheiten entzogen und das Gericht damit zweifellos widerstandsfähiger gemacht hat. Zwar glaube ich nicht, dass ohne diese Änderungen der Versuch, das Bundesverfassungsgericht zu beschädigen, unmittelbar bevorgestanden hätte. Wie sonst gilt aber auch hier: Vorsorge muss betrieben werden, bevor die abzuwehrende Gefahr akut wird.

Dass sich die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger verschiedener politischer Richtungen trotz durchaus stürmischer (Vor-)Wahlkampfzeiten zusammengefunden haben, um gemeinsam die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts zu stärken, ist zugleich ein beeindruckendes Zeichen. Und es zeigt erneut: Ein Verfassungsgericht kann eben doch auch dann beliebt sein, wenn es seine Aufgaben ernst nimmt. Ich meine: Das ist eine gute Nachricht, nicht nur für das Bundesverfassungsgericht, sondern vor allem für Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit!

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