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„Wat hett de Richter seggt?“

Mit ihrem Roman Mittagsstunde über den Niedergang eines Dorfes schob sich Dörte Hansen nach oben in die Bestsellerlisten. Ein Jurist fand sich unter den fiktiven Dorffiguren nicht. Anwälte auf dem Land findet man natürlich trotzdem. Rolf-Michael Eggert aus Trantow zum Beispiel. Mit seiner Rechtsanwaltsfachangestellten ist Eggerts Kanzlei Anlaufstelle für alle juristischen Fragen. Und für alles andere eigentlich auch. Deshalb stehen manchmal auch abends Mandanten vor dem Haus. Dem einzigen, auf dessen Grundstück noch Schafe grasen. Ein Gespräch über Plattdeutsch vor Gericht, problematische Windräder und warum es Anwälten wie Landärzten geht: Nachfolger zu finden, ist und bleibt extrem schwer.


Trantow in Mecklenburg-Vorpommern, bekannt für sein traditionelles Eisbeinessen. Vor Corona saß dann auch Rechtsanwalt Rolf-Michael Eggert am Tisch. Eggert, 62, geboren in Greifswald, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Tief verwurzelt in der Region, seine Familienchronik in dem 277-Seelen-Ort reicht genau 100 Jahre zurück.


WIE VIELE ANWÄLTE IN LÄNDLICHEN REGIONEN SUCHEn SIE EINEN NACHFOLGER. BLEIBT IHR REFERENDAR, DEN SIE KÜRZLICH HATTEN?

Das ist noch unklar. Er war bis Ende Februar in meiner Kanzlei, hat hier auch seine Wurzeln und dem gefällt es hier auch. Er ist aber zuletzt lange in Berlin gewesen. Und von der Großstadt in ein kleines Dorf - das ist nicht für jeden etwas. Wie viele andere Dörfer hier haben wir nicht mal mehr eine Gaststätte. Dafür aber wunderbare Natur, den Amazonas des Nordens, die Peene. Wenn man Natur und Schönheit als Wert ansieht, dann ist man sicherlich auch zufrieden. Will man mal raus, braucht man aber eine halbe Stunde bis Greifswald. Und viele wünschen sich einfach ein anderes Lebens- und Arbeitsumfeld, ich will das gar nicht kleinreden.


LEBT MAN SICH LEICHT EIN?

Man sollte hier schon fest verankert sein, muss auch die plattdeutsche Mundart im Wesentlichen beherrschen. Sonst kriegt man mit den älteren Damen und Herren hier Probleme und kann sich nicht so richtig verständigen. Selbst in der Gerichtsverhandlung muss man als Übersetzer für Plattdeutsch auftreten können. Bei mir erinnern die Leute gleich meine Familie, der Großvater und Vater Gärtner, der Sohn eben Anwalt. Das ist gewachsen über Jahrzehnte.

Ein Anwalt ist hier auch Gesprächspartner für Alltagssorgen, kümmert sich, wenn Ämter irgendetwas wollen, ist auch ein wenig Sozialarbeiter. Wenn der Anwalt das leisten kann, dann gehört das schon dazu, dass man über die rechtliche Seite hinaus einen menschlichen Rat gibt. Man nimmt da auch manchmal die „Rolle“ eines Pastors an.


So wie in Ihrem Erbfall VOR EINIGEN JAHREN?

Da stritten sich ein Vater und dessen Sohn über ein Bild mit einem röhrenden Hirsch, das im Wohnzimmer hang. Der Vater war in eine Pflegeeinrichtung gekommen und wollte das Bild mitnehmen, der Sohn es aber nicht hergeben. Der Vater hörte nicht nur schwer, weshalb man auch möglichst laut und deutlich sprechen musste. Er schimpfte dann immer mehr auf seinen Sohn, und dass er ihm doch schon in den fünfziger Jahren ein Motorrad geschenkt habe. Der Richter meinte dann, dass das in der jetzigen Verhandlung nun weniger eine Rolle spiele. Und ich übersetze dann, also „De Richter seggt, dat mit dat Motorrad, dat höört hier gornich mehr to.“


KÖNNTE ALSO DOCH NOCH DAUERN, BIS SIE AUFHÖREN

Ich bin jetzt 62, die Situation ist vergleichbar mit der von Ärzten auf dem Land. Obwohl im Rentenalter arbeiten die oft auch weiter, denn sie finden einfach niemanden, der die Praxis übernimmt. Auch die Bereitschaft, eigenverantwortlich eine eigene Kanzlei hier zu unterhalten, die ist oft nicht vorhanden. Der Altersdurchschnitt in unserem Landesverband liegt bei Ende 50. Strukturell bleibt es sehr schwierig.


WAS LANDET AUF IHREM SCHREIBTISCH?

Da gehört alles dazu, mal wird zu schnell gefahren, dann wieder ein Unfall, das schaue ich mir mit den Mandanten dann auch zusammen an. Also wo ein Blitzer stand oder die Unfallstelle lag. Man soll dann auch mitkommen. Und natürlich gehören auch Hausbesuche dazu. Ein Anwalt hier muss für die Einwohner anschaubar und greifbar sein. Man ruft an oder schaut einfach in der Kanzlei vorbei, wenn was ist. Das kann dann auch mal abends um neun sein, die Leute wissen ja, dass man zuhause ist.


WINDRÄDER SIND IN LÄNDLICHEN REGIONEN EIN GROSSES THEMA

Mit der Materie habe ich auch zu tun und sehe die damit einhergehenden Schwierigkeiten. Lässt man den energiepolitischen Aspekt einmal beiseite, sind Windräder aus Naturschutzsicht hochproblematisch. Konflikte um Windkraftanlagen beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Vögel wie der Rotmilan kommen zwischen den Rotorblättern um. Der VGH Hessen hat kürzlich entschieden, dass auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Regel ein Mindestabstand von 1.500 Metern zwischen einem Rotmilanhorst und einer Anlage zu empfehlen ist. Für die Windkraftbranche ist die Entscheidung ein Problem. Ich habe schon mehrmals am Fuße eines Windrades gestanden, und wer dann im Umkreis die Menge an toten Vögeln, Fledermäusen oder Insekten sieht, versteht erst einmal das ganze Ausmaß. Den Rückgang der Bienenpopulation spüren wir hier auch ganz deutlich.


AUCH WIRTSCHAFTLICH SEHEN SIE SCHWIERIGKEITEN?

Die Branche bietet gutes Geld für Grundstücke, auf denen sie Windräder aufstellen darf. Das sind allerdings oft GmbHs ohne großes haftendes Kapital. Eines der großen Räder mit einer Nabenhöhe von 170 Meter kostet circa drei Millionen. Man muss dann auch einbeziehen, ob der Erhalt und Rückbau der Anlage gesichert ist. Die Rotorblätter bestehen aus komplexen Verbundstoffen, die nur äußerst schwer wiederzuverwerten sind, die sind dann Sondermüll. Ich berate daher hier in der Region auch Personen, die Angebote bekommen und erkläre dann juristische Einzelheiten dazu.


MIT CORONA SIND DIGITALE KOMMUNIKATIONSFORMEN NOCH WICHTIGER GEWORDEN. WIE SIEHT ES MIT DER ANBINDUNG AN DAS GLOBALE DORF AUS?

Internet war hier lange ein Problem, mit den alten Leitungen wäre datenintensives Streaming oder Ähnliches nicht drin, aber die elektronischen Anwaltspostfächer, E-Mail und die Standardanwendungen waren kein Problem. Über Funk ging es teilweise noch besser und mit dem 5-G-Ausbau können wir bald gleichziehen und die technischen Arbeitsbedingungen sind dann optimal. Das ist auch hier die Zukunft in der Kommunikation mit Mandanten. Es gibt hier immer noch die Zwei- oder Drei-Generationen-Haushalte, und wenn ein älteres Familienmitglied mit der Technik nicht umgehen kann, sind die Enkel da und erklären denen das, das ändert sich und wird auch auf einem anderen Niveau fortgeführt werden.


DER BERUFLICHE AUSTAUSCH KLAPPT DIGITAL EBENSO GUT?

Ich hatte erst jetzt wieder ein gutes, über den Anwaltverein organisiertes Webinar, wie man Schulungen und Mitgliederversammlungen unter Corona gestaltet. Wenn man die Potenziale der Technik ausschöpft, also zum Beispiel sogar Wahlen online durchführen kann, ist das genauso effektiv, als wenn man sie sich wie früher im Vereinslokal zusammenfindet.

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