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Von analog zu digital – Kanzleiorganisation im Wandel

Unaufhaltsam schreitet der digitale Wandel voran und macht auch vor Kanzleien keinen Halt. Nicht nur die verpflichtende Nutzung des beA oder die Einführung des elektronischen Urkundenarchivs sorgen dafür, dass gewohnte Abläufe notwendigerweise angepasst werden müssen. Auch gestiegene Ansprüche von Mandanten an schnellere Kommunikation sowie vielfältige Angebote zu juristischen Dienstleistungen im Rahmen von Legal Tech erhöhen den Druck auf Mitarbeitende sowie Berufsträger. Es gilt, das kanzleieigene Dienstleistungsangebot zu überdenken und Arbeitsweisen und Prozessabläufe entsprechend anzupassen.

Eines Vorweggenommen: Die Digitalisierung wird Kanzleien und ihre Mitarbeitenden nicht ersetzen können. In vielen Bereichen werden neue Technologien Abläufe allerdings noch mehr unterstützen, erleichtern und/oder beschleunigen. Der Angst von Arbeitnehmern, ihre Arbeitsplätze könnten ganz oder teilweise der Digitalisierung zum Opfer fallen, sollten Kanzleien aktiv positiv entgegentreten und Veränderungen im Rahmen von Change-Management-Konzepten begleiten.

Fakt ist, ohne Digitalisierung ist die Arbeitswelt in Zukunft nicht mehr denkbar. Daher ist es für jede Kanzlei geradezu eine Pflicht, sich rechtzeitig und umfassend mit den Folgen der Digitalisierung für die eigene Kanzlei und die perspektivische Ausrichtung und Organisation zu befassen.

 

Bestandsaufnahme

Am Anfang jeder Veränderung steht eine Bestandsaufnahme. Es muss ermittelt werden, welche Prozessabläufe es in der Kanzlei generell gibt und in welchem Rahmen diese bereits digital bzw. elektronisch vollzogen werden (Beispiele: Posteingangsbearbeitung, Rechnungserstellung, Mahnwesen, Aktenführung etc.). Wichtig ist, dass tatsächlich alle Abläufe ermittelt und auf den Prüfstand gestellt werden! Auch, wenn die Frage aufkommt, warum vermeintlich Altbewährtes („Das haben wir schon immer so gemacht!) nun plötzlich hinterfragt und ggfs. für nicht mehr passend erachtet wird, ist eine Gesamtbetrachtung absolut wichtig. So gesehen ist eine Kanzlei im besten Fall ein gut funktionierendes Zahnradsystem, bei dem ein Ablauf den anderen bedingt, unterstützt oder diesem notwendigerweise folgt. Lässt man Abläufe bei der Bestandsaufnahme außen vor, besteht die Gefahr, dass sich dadurch (Medien-) Brüche ergeben, die suboptimal sind oder fehlerträchtig.

Die meisten Kanzleien werden bereits in größerem Maße softwarebasiert arbeiten. Dabei wurden historisch gesehen nach und nach immer mehr Prozessabläufe, die papierbasiert waren, durch die Technik erleichtert und ersetzt oder bestehen noch parallel nebeneinander. Diese Entwicklung hat sich in der Regel eher „nebenher“ vollzogen. Möchte eine Kanzlei den Digitalisierungsgrad deutlich erhöhen, indem beispielsweise gänzlich auf die Papierhandakte verzichtet werden soll, so ist dies ein relativ hoher Einschnitt in den Arbeitsalltag jedes Kanzleimitglieds und bedarf sorgfältiger Vorbereitung, Schulung und Begleitung. Es ist eine Sache, Abläufe neu zu definieren, aber bis althergebrachte Arbeitsweisen durch neue Routinen sicher ersetzt sind, kann es u. U. einige Zeit dauern. Dies ist bei der Planung zu berücksichtigen.

 

Mit guter Planung zum Ziel

Sind sämtliche Prozessabläufe der Kanzlei festgestellt worden geht es mit einer Priorisierung bzw. Abgrenzung weiter. Es muss geklärt werden, welche Bereiche der Kanzlei digitaler aufgestellt werden sollen (beispielsweise zunächst bestimmte Referate/Dezernate, Buchhaltung) oder ob die Digitalisierung tätigkeitsbezogen umgesetzt werden soll. Also z. B. dass ab einem bestimmten Stichtag die papierbasierte Eingangspost gescannt und in die elektronische Handakte und in den virtuellen Postkorb des jeweiligen Sachbearbeiters gespeichert wird; das interne Mahnwesen automatisiert erfolgen soll, oder Mandantenkommunikation über elektronische Aktenzugänge („webakte“) ermöglicht wird.

Tipp: Es empfiehlt sich, neue Abläufe zunächst in einer Projektgruppe oder einem kleinen Bereich durchzuspielen, auszuprobieren und auf Praxistauglichkeit hin zu prüfen. Erst wenn sich neue Abläufe „im kleinen Rahmen“ über ein paar Wochen bewährt haben, erfolgt das Roll-out für die gesamte Kanzlei.

Die Analyse des Ist-Zustands sollte aufzeigen, in welchen Prozessabläufen es Medienbrüche gibt, die geschlossen werden können. Werden elektronisch eingehende Rechnungen ausgedruckt und in Papierform durch die Buchhaltung verarbeitet? Oder erfolgt zwar eine elektronische Kommunikation mit dem Steuerberater, aber für Mitarbeitende wird die monatliche Gehaltsabrechnung noch ausgedruckt? Werden E-Mails von Mandanten Berufsträgern ausgedruckt vorgelegt? Werden Sende- und Prüfprotokolle aus dem beA ausgedruckt in Papierakten verwahrt etc.?

Hier bieten sich viele Anhaltspunkte, wie Abläufe gänzlich elektronisch erfolgen könnten. Weiter sollten Abläufe dahingehend geprüft werden, ob sie bei bisheriger Verfahrensweise unnötig viel Zeit in Anspruch nehmen, indem Tätigkeiten u. U. doppelt ausgeführt werden müssen, z. B. die Führung von Papier- und elektronischen Handakten, das Erfassen von Daten in Software und auf Papieraktendeckeln, Bearbeitung von Wiedervorlagen und Fristen durch Reitersysteme oder Papierkalender etc.

Zur Verbesserung der Abläufe ist es hilfreich, wenn (nach Optimierung) nachfolgende Fragen positiv beantwortet werden können.

  • Nimmt die Schnelligkeit des Prozessablaufs zu?
  • Werden Personalressourcen entlastet?
  • Sind maßgebliche berufsrechtliche, steuerrechtliche oder verfahrensrechtliche Vorgaben erfüllt?
  • Erhöht sich der Automatisierungsgrad der Tätigkeit?
  • Erhöht sich die Mandanten- und Mitarbeiterzufriedenheit?
  • Werden Kosten gesenkt (Papier, Büromaterial, Porto, Personal etc.)?

Daneben ist zu klären, ob die Kanzlei – wenn noch nicht etabliert – perspektivisch auch das Arbeiten außerhalb der Kanzleiräume möglich machen möchte, z. B. im Homeoffice oder bei Gerichtsterminen oder auswärtigen Besprechungen. Denn diese Fragen ziehen u. U. die Notwendigkeit nach sich, das Projekt „Digitalisierung“ umfangreicher zu gestalten und Experten hinzuzuziehen, die bei der Umsetzung unterstützen sollten. Hierzu gehören IT-Berater*innen, Software- und Hardwareanbieter*innen, Steuerberater*innen, Datenschutzbeauftragte usw.

Tipp: Möglicherweise wurden coronabedingt bereits Homeoffice-Plätze geschaffen. Aufgrund der Kürze der Zeit und der Dringlichkeit, die Kanzlei im 1. Lockdown am Laufen zu halten, wurde jedoch seinerzeit vielleicht nicht bis ins Detail geprüft, ob die Plätze bei Mitarbeitenden zuhause neben den wichtigen Datenschutzgesichtspunkten auch alle Anforderungen an optimaler technischer Ausstattung erfüllen und auch Formalia, wie die Aufnahme von Homeofficearbeitsplätzen im Verarbeitungsverzeichnis und den TOM‘s der Kanzlei nach DSGVO, nachgekommen wurde. Es lohnt sich daher, auch bereits bestehende Homeoffice-Plätze bzw. die Nutzung von Tablets außerhalb der Kanzlei bzw. digitale Prozesse im Allgemeinen (erneut) auf den Prüfstand zu stellen.

Nicht unbeachtet bleiben darf die zeitliche und kostenmäßige Planung der Digitalisierungsmaßnahmen. Gerade größere Umstellungen ziehen nicht nur einen erheblichen Zeitaufwand nach sich, sondern machen gerade durch das Hinzuziehen von Experten und Investitionen in technische Ausstattung (Netzwerk, Server, Lizenzen, Software, Hardware, etc.) sowie Schulungen und Prüfung von Angeboten zu Cybercrime-Versicherungen (werden immer wichtiger in Zeiten permanenter Bedrohung durch Hackerangriffe, Trojaner, Ransomware etc.) auch eine detaillierte Budgetplanung notwendig! Ist beispielsweise die Erweiterung oder Neuanschaffung von Serverkapazitäten, Netzwerkstruktur oder auch Arbeitsplatzausstattung mit Hardware notwendig, können schnell fünfstellige Investitionssummen zusammenkommen. Perspektivisch gesehen, ist es zwingend notwendig, gut kalkulierte Rücklagen für den IT-Bereich zu bilden, damit die Kanzlei regelmäßigem und notwendigem technischen Fortschritt auch finanziell entspannt begegnen kann.

Nochmal: bisherige technologische Fortschritte konnten sich in Kanzleien vielfach sukzessive aufbauen. Dies wird in den meisten Kanzleien im Rahmen von Digitalisierungsprojekten künftig nicht der Fall sein, sondern eher große, einschneidende Veränderungen nach sich ziehen, die nicht „nebenher“ und daher auch nicht ohne Planung, Vorbereitung und Struktur in der Vorgehensweise ablaufen. Der Erfolg jeder Maßnahme ist entscheidend davon abhängig, wie gut die Kanzlei planerisch vorgeht. Insofern ist der generelle Aufwand eher großzügig zu bemessen. Ein Digitalisierungsprojekt sollte also niemals über das Knie gebrochen werden!

Mancher Kanzlei fehlt es an Ideen, wie analoge Prozesse beispielsweise durch Software gut unterstützt oder sogar ersetzt werden können. Hier lohnt es sich, bei vorhandener Kanzleisoftware, das entsprechende Unternehmen anzusprechen. Gerne wird man hier Ideen und Perspektiven aufzeigen und vielfach auch beratend und begleitend tätig sein. Interessant kann es jedoch auch sein, sich von weiteren Softwareherstellern ergänzende Produkte vorstellen zu lassen, um auf diese Weise den eigenen Horizont zu erweitern und kluge Ideen und Visionen zu sehen, wie Digitalisierung in einer Kanzlei aussehen könnte. Selbstredend muss jedes Konzept auch tatsächlich zur Kanzlei passen. Nicht alles was möglich ist, ist auch für jede Kanzlei sinnvoll.

 

Fazit:

Die zunehmende Digitalisierung ist im Kanzleialltag nicht mehr wegzudiskutieren. Daher muss jede Kanzlei sich genügend Zeit nehmen und Ressourcen schaffen, alle bestehende Abläufe zu hinterfragen und ggf. auf neue Füße zu stellen. Auf diese Weise wird die Kanzlei zukunftsorientiert arbeiten können und durch den effizienten Einsatz von Technologie Mitarbeitende sowie Berufsträger in vielen Bereichen entlasten. Daneben schafft Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten den Bereich Mandantenbetreuung noch besser aufzustellen.

Es lohnt sich also bzw. ist für eine moderne Kanzlei zwingend notwendig, sich diesem Thema anzunehmen.

 

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